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Zwei Passanten gehen nahe des Brandenburger Tors zwischen Bäumen (Symbolfoto).

© Christoph Soeder/dpa

Nach Tod von vermisstem Vater Tim W.: Wie gute Freunde einer Familie durch die schwerste Zeit helfen wollen

Im September verschwand ein Familienvater, vergangene Woche wurde er tot gefunden. Freunde suchten ihn einen Monat lang und wollen jetzt seinen Kindern helfen.

Von Sandra Dassler

„Wind of Change - das war unser Lied”, erzählt Axel K.: „Da waren wir vielleicht acht oder neun Jahre alt. Wir haben es ganz phantasievoll performt, um damit in der Mini-Playback-Show aufzutreten und lange geübt - oft auch in Tims Elternhaus.” Axel K. kannte Tim W. von der 1.Klasse an, Daniel M. und Christian W. kamen etwas später durch den Sport dazu, sie spielten erst Street- und später Eishockey. Jedenfalls waren die lütten ostfriesischen Jungs eine ganze Kindheit lang unzertrennbar.

Auch später verloren sie sich nie aus den Augen und so zögerten Christian, Axel und Daniel keinen Augenblick, als sie erfuhren, dass Tim W., der inzwischen in Berlin lebte, kurz nach der Geburt seines zweiten Kindes spurlos verschwunden war.

Über die sozialen Medien organisierten sie eine riesige Suchaktion. Mehr als 40.000 Menschen abonnierten die Facebook-Seite „Wir suchen Tim”, 3500 Menschen aus 19 Ländern registrierten sich als Suchhelfer, Zigtausende bangten mit ihnen und boten ihre Unterstützung an. 

Ihren Freund haben sie dennoch nicht retten können: In der vergangenen Woche, genau einen Monat nach seinem Verschwinden, wurde der 39-jährige Familienvater - wie berichtet - tot in Charlottenburg aufgefunden. Die Untersuchungen zur Todesursache laufen noch, allerdings deutet vieles auf einen tragischen Unglücks- beziehungsweise Krankheitsfall hin.

Das hatte Tims Frau von Anfang an befürchtet, denn sie wusste, dass ihr Mann nicht einfach so verschwinden, sondern sich wahrscheinlich in einer schlimmen Notlage befinden würde. Auf Facebook hatte sie den vielen Menschen, die sich an der Aktion „Wir suchen Tim” beteiligten, geschrieben: „Bitte helft uns weiter..., dass Tim endlich gefunden wird. Dass sein Sohn wieder mit seinem Papa spielen und knuddeln kann und er seinem Papa den Purzelbaum zeigen kann, den sie noch zusammen in den letzten Wochen geübt haben. Dass seine kleine Tochter ihren Papa richtig kennenlernen darf und ich meine bessere Hälfte endlich wieder umarmen kann.”

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Über zehntausend Nachrichten gingen an die Familie

Doch das alles wird nicht geschehen. Tims Frau hat ihre große Liebe verloren, Tims Kinder werden ohne ihren Vater aufwachsen. Seine Freunde, die von der schlimmen Nachricht ebenso tief betroffen waren wie seine Familie, erhielten in den vergangenen Tagen über zehntausend Kommentare, private Nachrichten, Lieder oder Fotos von Kerzen, die irgendwo im In- und Ausland für den verstorbenen Berliner und seine Familie angezündet wurden.

„Die Anteilnahme von eigentlich fremden Menschen ist unglaublich”, sagt Christian W., „und viele schreiben auch, dass sie gern für Tims Familie spenden möchten.” Die Freunde berieten lange darüber, zumal Tims Frau zuerst nichts davon wissen wollte. „Aber wir finden, dass es eine gute Idee ist, wenn Tims Kinder ein wenig Geld für ihren Lebensweg haben”, sagt Axel K.: „Deshalb haben wir einen Notar damit beauftragt, die Spenden einzig und allein für die Kinder zu verwalten.”

[Wenn es Ihnen nicht gut geht oder Sie daran denken, sich das Leben zu nehmen, versuchen Sie, mit anderen Menschen darüber zu sprechen. Das können Freunde oder Verwandte sein. Es gibt aber auch eine Vielzahl von Hilfsangeboten, bei denen Sie sich melden können. Der Berliner Krisendienst ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr erreichbar. Die Telefonnummern variieren nach Bezirk, die richtige Durchwahl für Ihren Bezirk finden Sie hier.

Weiterhin gibt es von der Telefonseelsorge das Angebot eines Hilfe-Chats. Außerdem gibt es die Möglichkeit einer E-Mail-Beratung. Die Anmeldung erfolgt – ebenfalls anonym und kostenlos – auf der Webseite. Informationen finden Sie unter: www.telefonseelsorge.de]

Seither sind bereits mehr als 40 000 Euro eingezahlt worden - meist anonym, oft Beträge um die zehn Euro. Manchmal spenden auch Vereine oder Organisationen, nicht nur aus Berlin. „Wir sind einfach nur überwältigt”, sagt Axel K. und erzählt, dass manche auch andere Hilfe anbieten: „So hat etwa der Vorstand eines Steglitzer Schwimmvereins beschlossen, Tims Kindern die Schwimmausbildung zu finanzieren - total rührend.”

Die Freunde überlegen auch, ob sie ihre bei der Suche nach Tim gesammelten Erkenntnisse irgendwie weiter nutzen können. „Wir haben viele Anfragen von Menschen bekommen, die in der gleichen Situation waren”, sagt Daniel M.: „Es ist unerträglich, einen Menschen zu vermissen und nichts tun zu können. Vielleicht helfen ja unsere Erfahrungen weiter.” Dazu gehören nach Ansicht der Freunde Fragen wie „Was ist in den ersten 48 Stunden zu tun?“, „Wie setzt man eine Vermisstenanzeige auf?” oder „Welche technischen Tools können bei der Suche helfen?”

Aber zunächst wollen sich die Freunde in den kommenden Tagen an einem Ort treffen, den sie mit Tim verbinden. Ob es die alte Heimat Ostfriesland ist, verraten sie nicht: „Wir möchten uns nach den vielen Wochen des virtuellen Zusammenseins sehen und gemeinsam Abschied nehmen”, schreiben sie auf Facebook. Nun nicht mehr unter „Wir suchen Tim”, sondern: „Wir haben ihn gefunden. Ruhe in Frieden.”

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