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Regierungschef Michael Müller (SPD) ist wohl zum Ende seiner Amtszeit in eine handfeste Justizaffäre verwickelt.

©  Markus Schreiber/dpa/AP

Nach Strafantrag von Berlins Regierungschef: LKA durchsuchte rechtswidrig Wohnung von Zehlendorferin – Amtsmissbrauch?

Michael Müller hat ein rechtswidriges Strafverfahren angezettelt – wegen einer Meinungsäußerung. Drückte die Berliner Justiz aufs Ermittlungstempo? 

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) ist in eine Justizaffäre verwickelt – und mit ihm geraten auch die Staatsanwaltschaft und ein Strafrichter am Amtsgericht Tiergarten ins Zwielicht. Weil Müller sich an einem Facebook-Post störte, den man politisch geschmacklos finden mag, der aber zulässig ist, ging die Justiz mit aller Härte gegen eine Berlinerin vor. Ihre Wohnung wurde durchsucht, Handys und Tablets wurden beschlagnahmt. Am Ende erklärte das Landgericht die Razzia für rechtswidrig.

Es geht um einen Regierungschef, der offenbar geglaubt hat, in eigener Sache die Justiz für sich einspannen zu können. Und es geht um Staatsanwälte und einen Richter, die – so könnte es gedeutet werden – möglicherweise für Müller überaus engagiert waren.

Der Fall, den „Die Welt“ publik gemacht hat, löst nun Unruhe in der Politik aus, der Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses befasst sich damit, die Opposition will Müller zur Sitzung am Mittwoch zitieren. In der Justiz selbst ist die Rede von Obrigkeitshörigkeit. Es sei aber auch ungewöhnlich, dass sich ein Senatsmitglied mit seiner Strafanzeige direkt an den Leiter der Staatsanwaltschaft, Jörg Raupach, wende.

Der Fall reicht zurück ins Frühjahr 2019. Eine Frau, die dem Bericht zufolge in Zehlendorf wohnt, hatte vor zwei Jahren am 14. April, einem Sonntag, bei Facebook ein Bild gepostet. Der brandenburgische AfD-Kreisverband Dahme- Spreewald teilte es auf seiner Seite. Das Bild zeigt Müller mit einem Schild in der Hand. Ursprünglich hatte es die Senatskanzlei im Januar 2019 bei Twitter verbreitet, es ging um Kältehilfe für Obdachlose. „Karina Fitzi“, wie der Username der Frau bei Facebook lautete, hatte das Bild verändert. Statt der Telefonnummer des Kältebusses stand dort nun: „Alle nach #Berlin“.

Es folgte ein „Strafantrag des Dienstvorgesetzten“

Im Begleittext warf sie Müller vor, alle auf dem Mittelmeer geretteten Bootsflüchtlinge nach Berlin holen zu wollen. Wörtlich schrieb sie: „Bürgermeister Müller von #Berlin will alle #Bootsflüchtlinge und zeigt damit ein absolutes Desinteresse, was in der Hauptstadt gerade vor sich geht. Egal ob letztes Wochenende 1000de Menschen wegen der explodierenden Mietpreise auf die Straße gehen. Er will sie alle! #NiewiederSPD.“

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Der Kommentar wurde von den Medien aufgegriffen und in den sozialen Netzwerken diskutiert, von Fake News nach AfD-Manier war die Rede. Die Senatskanzlei reagierte tags darauf, am 15. April, und erklärte bei Twitter: „Das Foto ist eine Fälschung. Die Senatskanzlei prüft rechtliche Schritte.“ Die AfD Dahme-Spreewald löschte den geteilten Post von „Karina Fitzi“ aus Vorsicht und schrieb: „Die Fotomontage suggerierte, dass der Bürgermeister alle Migranten und Flüchtlinge nach Berlin einlädt. Auch wenn er dies vermutlich nicht gesagt hat, ist das genau seine Politik.“

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Wieder einen Tag später, am 16. April, schaltete Müller die Justiz ein. Dann ging alles sehr schnell in den sonst überlasteten Behörden. Mit dem Briefkopf des Regierenden Bürgermeisters schrieb Müller „persönlich“ an den Leitenden Oberstaatsanwalt Jörg Raupach, im Betreff stand: „Strafantrag des Dienstvorgesetzten“.

Vorsorglich stellte er neben der Bitte um strafrechtliche Prüfung gleich einen Strafantrag, der bei sogenannten Antragsdelikten wie Beleidigung nötig ist. Raupach leitete das Schreiben weiter an die für Delikte gegen Amtsträger zuständige Abteilung. Dort sind schnell mögliche Straftaten vermerkt worden – etwa üble Nachrede auch „gegen Personen des politischen Lebens“.

Am 2. Mai 2019 verfügte ein Staatsanwalt, dass die Staatsschutzabteilung des Landeskriminalamtes (LKA) die „erforderlichen Ermittlungen“ aufnehmen solle. Gesucht wurden „Hinweise zu verantwortlichen Personen“. Ihnen solle rechtliches Gehör gewährt werden.

Hausdurchsuchungen sind schwere Eingriffe in die Grundrechte

Die Ermittler fanden heraus, wer sich hinter „Karina Fitzi“ verbirgt. Sie hätten sie befragen können. Doch die Staatsanwaltschaft beantragte für ihre Wohnung einen Durchsuchungsbeschluss beim Amtsgericht Tiergarten. Den stellte ein Richter am 10. Januar 2020 aus. Es sollten Speichermedien sichergestellt werden, um „Aufschluss über den Nutzer des Facebook-Profils Karina Fitzi“ zu bekommen. Obwohl die Ermittler es längst wussten und es nicht um eine schwere Straftat ging, entschieden sie sich für diesen schweren Eingriff in das Grundrecht der Frau – nämlich die Unverletzlichkeit der Wohnung: Am 20. Februar 2020 durchsuchten LKA-Beamte ihre Räume.

Die Frau wehrte sich und legte Beschwerde beim Landgericht ein. Dieses entschied im Oktober 2020, dass die Durchsuchung rechtswidrig war. Nicht einmal der nötige Tatverdacht habe vorgelegen, der für einen Durchsuchungsbeschluss Voraussetzung ist. Der Facebook-Kommentar beinhalte „im Kern den harmlos formulierten Vorwurf, der Regierende Bürgermeister interessiere sich nicht für die Hauptstadt“, weshalb die Verfasserin die SPD nicht mehr wähle. Die Äußerung überschreite nicht die Grenze zur Herabwürdigung. Es sei eine Meinungsäußerung und keine ehrverletzende Tatsachenbehauptung. Die Staatsanwaltschaft, die das selbst hätte feststellen können, stellte die Ermittlungen ein.

Ein Sprecher der Behörde sagte, auf Grundlage des Strafantrags habe ein Staatsanwalt einen Anfangsverdacht erkannt, die Rechtsauffassung habe der Ermittlungsrichter geteilt. Für den Antrag auf Hausdurchsuchung sei von der Staatsanwaltschaft und vom Richter geprüft worden, ob dies recht- und verhältnismäßig sei. Und der Sprecher weist den Eindruck zurück, die Staatsanwaltschaft sei auf Druck von oben und wegen Müller besonders energisch vorgegangen: „Es hat keine Veranlassung gegeben, die Behördenleitung einzubinden. Kontakt zwischen dem Staatsanwalt und dem Anzeigenerstatter hat es nicht gegeben.“

Die Opposition im Abgeordnetenhaus zeigt sich entsetzt

Auch eine Gerichtssprecherin erklärte: „Welche Funktion ein Antragsteller außerhalb des Strafverfahrens bekleidet, ist irrelevant. Entscheidend ist nur, ob die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind.“ Ansonsten sei es nicht ungewöhnlich und Wesen des Rechtsstaats, dass höhere Instanzen anders entscheiden als untere. „Insbesondere die Abgrenzung zwischen zulässiger Meinungsäußerung und ehrverletzender Tatsachenbehauptung im Rahmen der Beleidigungsdelikte ist sehr komplex und füllt ganze Bücherregale“, erklärte sie. Während Ermittlungsrichter am Amtsgericht „jeden Tag über zahlreiche Fälle dieser Art allein zu entscheiden haben, entscheidet das Landgericht nur über einzelne Beschwerden jeweils mit drei Berufsrichtern“. Dabei könne es bei intensiverer Prüfung zu unterschiedlichen Einschätzungen kommen.

Die Opposition im Abgeordnetenhaus ist entsetzt. „Sollte sich der Eindruck bestätigen, dass auf Druck eines Regierungsmitglieds strafrechtlich gegen eine zulässige Meinungsäußerung vorgegangen wird, beschädigt es das Vertrauen der Bürger in Demokratie und Rechtstaat“, sagt CDU-Rechtsexperte Sven Rissmann. „Es wurde offenbar in einem Rekordtempo gehandelt, das man sich sonst bei schweren Straftaten wünschen würde.“ Die Liberalen wittern Amtsmissbrauch – und dass „das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung beschnitten wurde“. Es gehe um den Anschein, dass Müller seine Stellung als Regierender genutzt habe, um direkt mit dem Chef der Staatsanwaltschaft „Ermittlungen am normalen Verfahrensweg vorbei in Gang zu setzen“, sagte FDP-Rechtsexperte Holger Krestel.

Müllers Regierungssprecherin lehnte eine Stellungnahme trotz mehrfacher Nachfragen ab. Das Land Berlin muss „Karina Fitzi“ für die rechtswidrige Durchsuchung entschädigen. Auf den Kosten für ihren Anwalt bleibt sie aber sitzen, weil die Staatsanwaltschaft noch keine Anklage erhoben hatte.

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