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So kennen die meisten Rheinsberg. Doch auf die Idylle fällt ein Schatten.

© Foto: Bernd Settnik/dpa

Nach Massenschlägereien: Rheinsberg hüllt sich in verdächtiges Schweigen

Verbindungen ins rechte Milieu: In einer WhatsApp-Gruppe äußern sich die mutmaßlichen Täter. Öffentlich sprechen will keiner – nicht einmal der Bürgermeister.

Es ist ein warmer Sommerabend. Auf dem zentralen Triangelplatz stehen etwa 40 Neonazis. Darunter bekannte Kader aus Wittstock, Neuruppin und Mecklenburg-Vorpommern. Die NPD Neuruppin hat zur Kundgebung aufgerufen. Eines ihrer Banner ist in englischer Sprache verfasst: „Rapefugees not welcome“ steht darauf, rape heißt auf englisch vergewaltigen.

Als hätten die Rechten auch an die Touristen gedacht, die wegen des berühmten Schlosses häufig hierherkommen in die Ostprignitz nördlich von Berlin. Gegenüber, zu Füßen der evangelischen St. Laurentiuskirche, hat sich der Gegenprotest formiert. Etwa 150 Menschen wollen ein Zeichen für ein buntes, tolerantes Rheinsberg setzen.

„Rheinsberg, verliebe dich …“, lautet der Marketingslogan der Kleinstadt mit rund 10.000 Einwohnern. Dass es selbst den Rheinsbergern gerade nicht leichtfällt, ihre eigene Stadt zu lieben, verdeutlicht eine dritte Menschenansammlung an diesem Dienstagabend. Etwa 50 Personen, darunter Touristen und Bewohner der Stadt, stehen etwas abseits und beobachten die Szenerie aus sicherer Distanz.

Rheinsberg wirkt in diesen Tagen verunsichert, verängstigt, gespalten. Die Stimmung ist gereizt, seit es am vergangenen Donnerstag zu einer Massenschlägerei zwischen einer deutsch-polnischen Männergruppe und Dutzenden Menschen tschetschenischer Abstammung kam.

Noch immer ist unklar, was der Auslöser für die Eskalation des Konflikts im östlichen Wohnviertel „Am Stadion“ war. Im Internet kursieren Videos, sie zeigen zunächst ein Wortgefecht beider Parteien, als die Situation durch einen Schubser in eine brutale Schlägerei mündet. Acht Tatverdächtige, fünf Deutsche und drei Polen, werden von der Polizei festgenommen.

Gerüchte zu Verbindungen mit „Grauen Wölfen" bestätigen sich nicht

Am Folgetag versammeln sich mehr als hundert Menschen der tschetschenischen Community im Rheinsberger Osten, viele davon sind aus Hamburg, Berlin oder Potsdam angereist. Offenbar hatte die am Vortag involvierte Gruppe Verstärkung mobilisiert. Die Polizei stellt die Identitäten von 61 Personen fest, zwei Syrer werden wegen Widerstands gegen Beamte in Gewahrsam genommen.

Gerüchte von Verbindungen mehrerer angetroffener Tschetschenen zu den „Grauen Wölfen“, einer Organisation türkischer Rechtsextremer, bestätigten sich jedoch nicht. Zwar weist mindestens ein Social-Media-Konto Verbindungen zu den „Grauen Wölfen“ auf, intensiverer Kontakt konnte jedoch nicht festgestellt werden. Andere Social-Media-Profile belegen aber nationalistische, islamistische und gewaltverherrlichende Tendenzen.

Am vergangenen Sonnabend treffen sich alle beteiligten Parteien in der Polizeidienststelle in Neuruppin. Darunter der Inhaber eines Rheinsberger Bootsverleihs, Anton Müller (Name geändert). Ein Angriff auf einen seiner Mitarbeiter soll der Massenschlägerei am Donnerstag vorausgegangen sein.

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In den sozialen Netzwerken heißt es, Müllers Angestellter hätte einen Tschetschenen lediglich „falsch angeguckt“. Die Polizei äußert sich nicht dazu. Neben dem Bootsverleiher sind in Neuruppin auch Vertreter der tschetschenischen Community geladen, darunter ein in der Gemeinschaft anerkannter „Streitschlichter“. In Anwesenheit der Polizei soll eine Lösung gefunden werden.

Und tatsächlich: Noch am Abend teilt der Bootsverleiher in einem Facebook-Statement mit: „Wir möchten euch mitteilen, dass alle Unklarheiten mit den tschetschenischen Mitbürgern geklärt wurden.“ Eine von polizeilicher Seite betreute Streitschlichtung ist ein eher ungewöhnlicher Vorgang, das sagt auch Ariane Feierbach, Polizeisprecherin der Direktion Nord. „Dies bedeutet natürlich nicht, dass wir unsere Ermittlungen in der Angelegenheit einstellen.“ Die Schlichtung habe der „weiteren Gefahrenabwehr“ gedient, sagt sie. Die Polizei schätzt die Lage als brisant ein.

Eine zerrissene Stadt

Und so fühlt es sich an, wenn man dieser Tage durch Rheinsberg läuft. Es ergibt sich das Bild einer zerrissenen Stadt, einer Stadt in Angst. Niemand möchte gern zitiert werden. Und die Probleme sind offenbar lange bekannt.

Dem Tagesspiegel liegen Sprachnachrichten aus einer Whatsapp-Gruppe vor, in denen sich mutmaßliche Beteiligte der Schlägerei äußern. Die verwendeten Namen und das enthaltene Täterwissen weisen darauf hin, dass die Aufnahmen echt sind. In einer Nachricht erzählt ein mutmaßlicher Beteiligter detailliert die Hintergründe der Schlägerei. „Wir haben in U-Haft gesessen, 23 Stunden, weil wir die plattgemacht haben, die Syrer ...“, und weiter: „wir sind da gestern eingeritten mit Mike (Name geändert) und ein paar anderen“.

Die Gruppe rechnete offenbar nicht damit, dass die Tschetschenen nicht nur mit Fäusten, sondern auch mit Stichwaffen reagieren würden. Der Polizei ist über eventuell eingesetzte Waffen nichts bekannt, „durch Stichwaffen verursachte Verletzungen wurden nicht festgestellt“, sagt Polizeisprecherin Feierbach. Auf dem im Internet veröffentlichten Video ist jedoch tatsächlich ein stichwaffenartiger Gegenstand in der Hand eines Tschetschenen zu erkennen, offenbar ein Messer.

„Die wollten uns abstechen, wir haben die Beine in die Hand genommen und sind um unser Leben gerannt“, heißt es dazu in der Sprachnachricht. Auch um den Ursprung des Konflikts geht es in einer der Aufnahmen. Erneut heißt es, dass zum wiederholten Male Syrer auf Personen losgegangen seien, darunter einen Angestellten des Bootsverleihs.

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Der Name Anton Müller fällt an verschiedenen Stellen der Aufnahme, unter anderem in dem Kontext, dass der Bootsverleiher jetzt angeblich unter Polizeischutz stehe, da ihn die Tschetschenen „kaltmachen wollten“. Auch der Schlichtungsversuch bei der Polizei wird angesprochen. „Wenn die das da nicht geklärt bekommen, dann ist hier Krieg. Dann sind morgen die Rot-Weiß Banditen Cottbus (schwer verständlich) hier.“ Bei den Rot-Weiß Banditen Cottbus könnte es sich um eine in der Lausitz agierende Rockergruppe handeln.

Der Absender der Sprachnachricht schließt ab mit den Worten: „Ich lass mich nicht aus meiner eigenen Stadt vertreiben.“ Weitere genannte Namen deuten auf eine Gruppe von Männern in der Ostprignitz hin, von denen zumindest einige durch eine rechtsextreme Gesinnung auffallen.

Polizei schloss fremdenfeindlichen Hintergrund aus

Die Polizei hatte direkt nach den Vorfällen der vergangenen Woche einen fremdenfeindlichen Hintergrund ausgeschlossen. Angesprochen auf die Recherchen des Tagesspiegels ließ die Behörde mitteilen, dass bei den festgenommenen Personen keinerlei Anzeichen eines rechtsextremen Hintergrunds vorlagen.

Bereits vor zwei Jahren berichteten Lokalzeitungen über tschetschenische Clanstrukturen in Wittstock, Kyritz und Neuruppin. Und auch in Rheinsberg sind Schwierigkeiten mit Geflüchteten aus dem Nordkaukasus der Politik schon länger bekannt. Im Wohnviertel „Am Stadion“ sei es mehrfach zu Konflikten gekommen, berichtet die Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler in der Stadtverordnetenversammlung, Petra Pape. Dabei gehe es meist um dieselben zwei, drei tschetschenischen Familien. Andere Geflüchtete würden sich klar von diesen Strukturen abgrenzen und seien teilweise hervorragend integriert, sagt Pape.

Doch nicht nur die Probleme mit einigen tschetschenischen Gruppen sind stadtbekannt, auch der in den Audioaufnahmen vielfach genannte Bootsverleiher Anton Müller. Nur zitiert werden möchte niemand, nicht mal Stadtverordnete.

Angst ums Image der Stadt

Es gibt viele Rheinsberger, die Angst haben um das Image ihrer Stadt. Der Ort ist ein Touristenmagnet: das Schloss, die berühmte Oper und die Kutschfahrten bestimmen seit Jahren das Bild märkischer Idylle. Doch nicht nur die Eskalationen der vergangenen Woche überschatten dieses Image. Bürgermeister Frank-Rudi Schwochow (BVB/Freie Wähler) ist in der Vergangenheit wiederholt kritisiert worden, er grenze sich nicht nach rechts ab.

Zu seinem Wahlsieg gratulierten ihm vor zwei Jahren auch AfD-Politiker, die Glückwünsche anzunehmen, sei eine Selbstverständlichkeit, zitierte ihn damals die „Märkische Allgemeine“. Auf der Liste der Freien Wähler in Rheinsberg stand auch ein AfD-Politiker. In der Tourismusinformation der Stadt arbeitet seit Jahren AfD-Mitglied Daniel Pommerenke, der Mitglied einer freien Kameradschaftsvereinigung in Magdeburg gewesen sein soll und der Identitären Bewegung nahesteht, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

Auch gewaltbereite Neonazis werden erwartet

Auch Bürgermeister Schwochow taucht am Dienstagabend bei der Gegendemonstration gegen die NPD im Zentrum Rheinsbergs auf. Mehrfach wird ihm das Mikrofon angeboten, mehrfach lehnt er es ab zu reden. „Mein Amtsvorgänger hat ja gesprochen, da hätte ich mich nur wiederholt“, erklärt er auf Nachfrage. Und außerdem habe er vermeiden wollen, Position zu beziehen, denn er sei als Mediator tätig, der zwischen den Konfliktparteien vermittelt. Es scheint, als hätte die ganze Stadt eine Schweigepflicht vereinbart: bloß nichts öffentlich ansprechen.

Kurz vor dem Beginn der Demonstrationen verursacht eine weitergeleitete Textnachricht Aufregung. Es wird davor gewarnt, die bunte Gegendemonstration zu besuchen, da auch gewaltbereite Neonazis von außerhalb erwartet würden. Konkret ist von einer Person aus Wittstock die Rede, die angeblich für den Brandanschlag auf einen Dönerimbiss verantwortlich sein soll.

Und tatsächlich sprechen Beobachter davon, dass viele sonst engagierte junge Rheinsberger der Kundgebung fernbleiben. Stattdessen seien vor allem Protestierende aus Neuruppin und Umgebung gekommen.

Die Rheinsberger halten sich zurück.

Julius Geiler

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