zum Hauptinhalt
Immer wieder liefern sich junge Männer in PS-starken Autos illegale Rennen mitten durch die Innenstadt, gerne auf Ku’damm und Tauentzienstraße.

© picture alliance / Paul Zinken/dpa

Nach Ku'damm-Raser-Urteil: Zwischen „wird schon gutgehen“ und „und wenn schon“

Die Ku’damm-Raser handelten nicht mit Vorsatz, urteilte der BGH. Eine juristische Nachbetrachtung.

Von Fatina Keilani

Sie sind jung, fahren schnelle Autos und rasen durch die Stadt, obwohl das verboten ist. Solche Fälle sind bundesweit ein Problem. Vor einem Jahr verurteilte das Landgericht Berlin zwei Raser wegen Mordes – ein außerordentlich strenges Urteil. Das war neu und bundesweit erstmalig.

Doch jetzt hob der Bundesgerichtshof (BGH) das Urteil auf. Es sei nach den dort bisher getroffenen Feststellungen kein Tötungsvorsatz nachzuweisen. An die Urteilsfeststellungen der Berliner Schwurgerichtskammer ist der BGH gebunden. Er kann in der Revision nur Verfahrens- und Rechtsfehler feststellen.

Der Fall

Die beiden Kudamm-Raser Hamdi H. und Marvin N., damals 24 und 26 Jahre alt, haben bei einem nächtlichen Autorennen in der Innenstadt vor zwei Jahren einen Mann getötet. Der 69-Jährige war mit seinem Auto aus der Nürnberger Straße von rechts kommend auf die Tauentzienstraße gefahren, wo der Wagen von Hamdi H. mit 170 Stundenkilometern in ihn hineinprallte. Der Fahrer starb.

Das Landgericht verurteilte die beiden zu lebenslanger Haft. Der Bundesgerichtshof hob dieses Urteil auf. Eine andere Kammer des Landgerichts muss nun entscheiden. Eine erneute Verurteilung von Hamdi H. wegen Mordes ist zwar denkbar, sie gilt aber als unwahrscheinlich.

Die Begründung des Bundesgerichtshofs für die Aufhebung des Urteils hat speziell bei Nichtjuristen durchaus für Unverständnis gesorgt. Wenn man in der Innenstadt Auto fährt, dabei viel zu schnell ist und rote Ampeln missachtet, dann nimmt man doch in Kauf, dass jemand, der einem im falschen Moment in die Quere kommt, dabei getötet wird, oder nicht? So empfinden viele.

Wann ist es Vorsatz?

Der Unterschied zwischen Fahrlässigkeit und Vorsatz ist der zwischen „wird schon gutgehen“ und „und wenn schon“.

Bei „wird schon gutgehen“ erkennt der Täter die Gefahr, vertraut aber darauf, dass sie sich nicht verwirklicht. Im Bremer Fall, der am selben Tag vom BGH entschieden wurde, war das so. Ein Motorradfahrer hatte mit viel zu hohem Tempo einen 75-jährigen Fußgänger totgefahren.

Unterschied zu Berlin: Der Fußgänger ging bei Rot, der Motorradfahrer machte sofort eine Vollbremsung. Er wurde wegen fahrlässiger Tötung verurteilt, außerdem wegen (vorsätzlicher) Gefährdung des Straßenverkehrs.

Bei „und wenn schon“ nimmt der Täter die Folge „billigend in Kauf“, der jugendliche Autofahrer etwa das Totfahren eines Menschen. Dieser so genannte bedingte Vorsatz ist die schwächste Form des „Wissen und Wollen“, sein Vorliegen reicht, um für eine Vorsatztat verurteilt zu werden.

Allerdings muss hinreichend klar sein, dass der Täter den Vorsatz auch wirklich hatte. Die Tatsache, dass er sich mit seinem Fahrverhalten auch selbst in Gefahr bringt, wird dabei als Indiz gegen das Vorliegen eines Vorsatzes gewertet.

Da diese beiden Schuldformen nahe beieinander liegen, ist es für den Tatrichter besonders bedeutsam, festzustellen, was im Täter vorging.

Das Landgericht hatte sich in seinem Urteil darauf gestützt, vergleichbare Fahrer würden sich in ihren Fahrzeugen sicher fühlen „wie mit einem Panzer oder in einer Burg“ und unter anderem damit das Vorliegen des Vorsatzes begründet. Das ließ der BGH jedoch nicht durchgehen. Diese Annahme sei im konkreten Fall nicht belegt, und einen Erfahrungssatz dieses Inhalts gebe es nicht.

Wirklich Mittäter?

Das Landgericht hat beide Fahrer wegen mittäterschaftlich begangenen Mordes verurteilt, obwohl sie in zwei Autos saßen und nur einer in das Auto des 69-Jährigen gerast ist. Die Verabredung, gemeinsam ein illegales Straßenrennen auszutragen, habe einen anderen Inhalt als den gemeinsamen Tatentschluss, einen anderen Menschen zu töten, so der BGH. Für die Annahme eines mittäterschaftlichen Tötungsdelikts reiche das nicht aus. Marvin N. muss also gar keinen Vorwurf eines Tötungsdeliktes mehr befürchten.

Autorennen verboten

Seit Oktober 2017 gilt ein neuer Paragraph des Strafgesetzbuches, der solche Autorennen verbietet. Stirbt dabei jemand, sind bis zu zehn Jahre Haft vorgesehen. Auch die Fahrlässigkeit ist strafbar. Dies musste eigens geregelt werden, denn grundsätzlich sind nur Vorsatztaten strafbar, außer wenn die Strafbarkeit fahrlässigen Handelns ausdrücklich im Gesetz geregelt ist.

Der neue Paragraph 315d kann auf Hamdi H. und Marvin N. nicht angewandt werden, wenn demnächst eine andere Strafkammer des Landgerichts sich erneut mit dem Fall befasst, da das Gesetz zum Zeitpunkt der Tatbegehung noch nicht existierte. Davon kommen sie trotzdem nicht, denn es bleibt eine Gefährdung des Straßenverkehrs. Hamdi H. hat auch mit dem Vorwurf der fahrlässigen Tötung zu rechnen.

Zur Startseite