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Franziska Giffey (SPD) will trotz ihres Rücktritts als Bundesfamilienministerin im Herbst Berlins Regierende Bürgermeisterin werden.

© Christoph Soeder/dpa

Nach Giffeys Rücktritt: Der Berliner Wahlkampf wird ein Krieg um die Bilder im Kopf

Ihre Partei stellt sich hinter sie, die Konkurrenz reagiert zurückhaltend. Trotzdem könnte die Familienministerin im Wahlkampf beschädigt sein.

Sie stand mit dem Rücken zu Wand und der Blick nach vorn bot auch nicht viele Optionen. Aber zumindest aus ihrer Sicht war es das jetzt. Franziska Giffey hat schließlich Wort gehalten, so heißt es aus der SPD und aus ihrem Umfeld: Weil die 43-Jährige allem Anschein nach davon ausgeht, ihren Doktortitel nun doch wegen Plagiaten von der Freien Universität (FU) aberkannt zu bekommen, ist sie am Mittwoch als Bundesfamilienministerin zurückgetreten.

Genauso deutlich erklärte sie aber per Pressemitteilung: „Die Berliner SPD und die Berlinerinnen und Berliner können sich auf mich verlassen. Dazu stehe ich. Mein Wort gilt.“ Soll heißen: Ich will weiter Regierende Bürgermeisterin werden. Trotzdem.

Es ist ein Risikospiel um politische Glaubwürdigkeit, das Giffey da eingeht und das bis zum Wahltag am 26. September nicht enden wird. Bei jeder Rede wird nicht nur die beliebte Kandidatin Franziska Giffey zu den Menschen sprechen, sondern auch die wegen Plagiaten in ihrer Doktorarbeit zurückgetretene Ministerin.

Es wird ein Krieg der Bilder im Kopf: Reumütige oder Betrügerin? Die Konkurrenz wird alles geben, dass die Berliner:innen die zweite Version im Kopf haben. Umso einhelliger stellte sich am Mittwoch die Berliner SPD hinter ihre Kandidatin.

Ihr Co-Landesvorsitzender Raed Saleh sagte dem Tagesspiegel: „Nach überaus erfolgreichen drei Jahren als Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat Franziska Giffey gezeigt, wie man Wort hält und damit höchste Ansprüche an politische Integrität definiert. So kennt Berlin Franziska Giffey – regierungserfahren und erfolgreich sowie verbindlich und konsequent.“ Giffey konzentriere sich nun voll auf Berlin, sagte er.

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Auch Innensenator Andreas Geisel, der als einziger SPD-Senator nach der Wahl weitermachen will, teilte gleich mit: „Das ist Franziska Giffey, wie wir sie kennen. Sie steht fest zu ihrem Wort und bleibt sich treu. Sie verkörpert Aufbruchstimmung, die Menschen mögen ihre herzliche und offene Art.“

Giffey könne anpacken, stehe für ein soziales, modernes und offenes Berlin, fügte Geisel noch gleich einen Wahlkampfspruch an. „Jetzt erst recht.“ Von der kleinsten Lokalebene bis hinauf zu Außenminister Heiko Maas bemühten sich die Sozialdemokrat:innen den Schritt einer ihrer letzten Hoffnungsträgerinnen als konsequente und mutige Entscheidung darzustellen.

Die Berliner SPD als zielorientierte Schicksalsgemeinschaft

Im linken Parteiflügel der Berliner SPD herrschte öffentlich eher Schweigen. Allerdings wächst dort die Sorge, das Mitte-Programm der Spitzenkandidatin umsonst mitzutragen. Es ist ja eher eine zielorientierte Schicksalsgemeinschaft als Herzenssache zwischen Giffey und der starken Berliner SPD-Linken.

Man habe sich mehr und frühere Selbstkritik gewünscht, eine Analyse der eigenen Fehler, hieß es dann auch im Hintergrund. Von einem „schweren Schlag im Wahlkampf“ redeten einige, andere von Vertrauen, das man sich nun neu erkämpfen müsse.

Aber auch Giffeys Kritiker:innen können Umfragen lesen: Zuletzt stieg die SPD auf 20 Prozent, so hoch wie lange nicht. Giffeys persönliche Umfragewerte waren, zumindest vor dem Rücktritt, sehr gut – trotz der jahrelangen Hängepartie um die Plagiate in der Doktorarbeit. Es bleibt den Genoss:innen keine andere Wahl vor der Wahl.

Der Berliner SPD fehlen die personellen Alternativen, der Wahlkampf ist komplett auf Giffey zugeschnitten, und eine mögliche Entscheidung zur Aberkennung des Titels war schon ihrer Kandidatur mit eingepreist.

Deshalb hatte sie vor ihrer Nominierung als Spitzenkandidatin erklärt, den Titel nicht mehr zu führen, auch wenn das juristisch keinen Unterschied macht. „Wir müssen da jetzt durch und uns aufs Politik machen konzentrieren“, sagte ein einflussreicher Sozialdemokrat dem Tagesspiegel.

Wie reagiert die Konkurrenz auf den Rücktritt?

Wird die politische Konkurrenz nun zum Angriff auf die SPD-Kandidatin blasen? Eher nicht. Eine verhaltene, eher analytische Reaktion kam vom grünen Koalitionspartner.

„Nach dem Hin und Her der letzten Zeit war der heutige Schritt mehr als überfällig“, teilte die Landesvorsitzende Nina Stahr mit – und verwies dabei auf „Vertrauen und Ehrlichkeit“ als Grundlagen guter Politik. „Halbherziges und unklares Vorgehen beschädigt dieses Vertrauen.“

Als „im Ergebnis unumgänglich“ bezeichnet der Generalsekretär der Berliner CDU, Stefan Evers, den Rücktritt. „Es ist klar, dass man nach einem Vorgang wie dem absehbaren Entzug des Doktortitels ein bedeutendes politisches Spitzenamt wie das der Bundesfamilienministerin nicht einfach weiter bekleiden kann.“ Mit ihrem Rücktritt erspare Giffey dem Land „eine quälende Diskussion“.

Die Spitzenkandidierenden von CDU und Grünen wollten sich am Mittwoch nicht äußern. Denn das gleiche Spiel, das Giffey nun in den kommenden vier Monaten spielen muss, spielen auch die Hauptkonkurrenten: Werden Angriffe auf Giffey als berechtigte Attacken auf eine Betrügerin gewertet oder als Angriffe, um einer reuigen Politikerin zu schaden?

Sehr vieles weist daraufhin, dass über den Sitz auf dem Thron im Roten Rathaus entscheidet, welches der Bilder von Giffey die Berliner:innen in der Wahlkabine im Kopf haben. Der Kampf darum beginnt erst.

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