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Vor der französischen Botschaft liegen Blumen in Gedenken an den ermordeten Lehrer Samuel Paty.

© Kira Hofmann/dpa

Nach Ermordung von Lehrer Samuel Paty: Berliner Schulen befürchten Störungen bei Schweigeminute

Heute soll es eine Schweigeminute für den französischen Lehrer Paty geben. Schulleiter und Lehrer begrüßen das. Doch vor dem Gedenken gibt es auch Sorgen.

Mit einer Mischung aus Solidaritätsgefühl und Sorge sehen Berlins Schulen der Schweigeminute für den ermordeten französischen Lehrer Samuel Paty an diesem Montag entgegen. Die Sorge gilt vor allem jenen muslimischen Schülern, die zu Hause oder in ihren Communities mehr Wut über das Zeigen der Mohammed-Karikaturen als Betroffenheit über den Mord vermittelt bekommen. Etliche Schulen überlegen, wie sie Störungen während der Schweigeminute vermeiden oder abfangen können.

„Es wird mit Widerstand gerechnet“, berichtet etwa Martin Wagner von der Interessenvertretung Berliner Schulleiter. Er hätte es besser gefunden, wenn es zur Vorbereitung einen Projekttag gegeben hätte, an dem man mit den Schülern das Geschehen hätte aufarbeiten können.

Dazu allerdings war keine Zeit, denn die von der französischen Regierung ausgegangene Anregung zur Schweigeminute war nach Tagesspiegel-Informationen erst am Freitagvormittag über die Präsidentin der Kultusministerkonferenz in den Bildungsministerien der Länder angekommen. Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) wie auch andere Amtskollegen hatten den Impuls aufgenommen und an die Schulen weitergegeben. Die Bildungsverwaltung lade alle weiterführenden Schulen ein, sich an der Schweigeminute zu beteiligen, hieß es in dem Schreiben, das Senatorin Scheeres am Freitag an die Schulleitungen verschickte. Es war dann aber nicht mehr möglich, Schüler und Lehrer noch am Freitag vorzubereiten, weil sie längst zu Hause waren.

Die Schulen sind daher gezwungen, das Gedenken unvorbereitet abzuhalten. Zwar kam ausdrücklich Unterstützung vom Landeselternausschuss. Bei der praktischen Umsetzung sind die Schulen aber auf sich allein gestellt – wohl wissend, dass nicht nur die vom türkischen Staat gelenkten Medien, sondern auch Moscheen und arabische Sender Stimmung gegen den französischen Staat und Lehrer wie Paty machen.

Dass die Schweigeminute eine heikle Angelegenheit werden kann, ist vor allem den Lehrern klar, die unter ihren Schülern Beifall für die Attentäter vom 11. September 2001 erlebten und Verständnis für die Männer, die ihre Schwester Hatun Sürücü wegen ihres „westlichen Lebensstils“ am 7. Februar 2005 ermordeten. Derart massiv war damals die Unterstützung für die Mörder, dass dies den Ausschlag gab, das Fach Ethik in Berlin verpflichtend einzuführen.

Jugendliche brauchen Auseinandersetzung und Vermittlung

„Ohne eine pädagogische Vorarbeit besteht die Gefahr, die Schweigeminute zu einem teilnahmslosen Akt der Formerfüllung zu reduzieren“, gibt Dervis Hizarci zu bedenken, der sich als Lehrer jahrelang für die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA) stark gemacht hat, bevor er 2019/20 Antidiskriminierungsbeauftragter der Bildungsverwaltung war. Jugendliche müssten „verstehen und aus diesem Verständnis heraus handeln“. Dafür brauche es Auseinandersetzung und Vermittlung: „Diese Mühen müssen Lehrerinnen und Lehrer auf sich nehmen“, sagte Hizarci dem Tagesspiegel.

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Der Bildungspolitiker und ehemalige Grünen-Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu nannte die Schweigeminute für Paty eine „wichtige und notwendige Geste der Solidarität“. Er wünsche sich, dass viele Berliner Schüler aus Überzeugung teilnähmen und besonders viele muslimische Schüler mitmachten.

Aber eine Schweigeminute reiche nicht: „Unsere Schulen müssen mehr Raum und Zeit schaffen für die Diskussion und Auseinandersetzung mit gesellschaftlich relevanten Themen“, ist Mutlu überzeugt. Auch über den Ethikunterricht hinaus müssten Schulen Diskurse ermöglichen und den Dialog fördern: „Nur so können wir die Schülerinnen und Schüler gegen Fundamentalismen unterschiedlicher Art wappnen.“

Im Bildungsausschuss des Abgeordnetenhauses, der mit einer Schweigeminute für Samuel Paty begonnen hatte, kam am Donnerstag eine Einschätzung des Geschichtslehrerverbandes zur Sprache, wonach Schulleitungen mit Verweis auf „religiöse Identitätsbildungsprozesse zur Wahrung des Schulfriedens bestimmte Exkursionen verbieten“. Die FDP-Fraktion hatte daraufhin wissen wollen, ob dem Senat dazu Hinweise vorliegen. Laut Bildungsstaatssekretärin Beate Stoffers (SPD) gibt es solche Hinweise nicht, der Senat nehme aber „die Sorgen der Berliner Geschichtslehrer „sehr, sehr ernst“.

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