zum Hauptinhalt
Berlins Innensenator Andreas Geisel (l, SPD) und Polizeipräsident Klaus Kandt im April 2017.

© picture alliance / Britta Peders

Nach Entlassung von Polizeipräsident Kandt: Berliner Polizei befindet sich im Umbruch

Polizeipräsident Klaus Kandt muss gehen, weil sich mit ihm die Pannen und Skandale der Vergangenheit verbinden. Innensenator Andreas Geisel (SPD) fordert nun einen Neustart.

Von

Ein Abschied in Ehre und Würden war das nicht. Am Morgen bestellte ihn Innensenator Andreas Geisel (SPD) kurzfristig ein, verkündete, er werde in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Ein letzter öffentlicher Auftritt als Polizeipräsident des Landes Berlin, um Abschied zu nehmen – der war Klaus Kandt nicht vergönnt. Wie auch, als politischer Beamter kann er jederzeit entlassen werden.

Kurze Zeit später kamen die ersten Meldungen über Kandts Rausschmiss. Der ließ sich bei der „Welt“ mit den Worten zitieren, er sei überrascht, akzeptiere aber den innenpolitischen Neuanfang, wobei die Berliner Polizei gut aufgestellt sei. Und überhaupt werde mit der nächsten Polizeilichen Kriminalstatistik, die dann von Geisel vorgestellt wird, die „Ernte meiner Arbeit eingefahren“.

Ermittlungsfehler und katastrophale Arbeitsbedingungen

Vergangenheit und Zukunft – darum geht es, als Geisel mittags vor die Presse tritt. „Ich habe mir die Frage gestellt, ob ich das Vertrauen habe, dass Herr Kandt die Chance bekommt, glaubwürdig als Neuanfang wahrgenommen zu werden. Und die Frage habe ich mir mit Nein beantwortet“, sagt Geisel.

Die Vergangenheit, das ist der Terroranschlag des Islamisten Anis Amri auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz im Dezember 2016. Das sind die haarsträubenden Ermittlungsfehler und katastrophalen Arbeitsbedingungen im Landeskriminalamt. Das ist die Affäre um die Gesundheitsgefahr in den Schießständen, in denen Beamte durch giftige Schwermetalle an Krebs erkrankten – weshalb gegen Kandt und Polizeivizepräsidentin Margarete Koppers wegen Körperverletzung im Amt durch Unterlassung ermittelt wird.

Aber das sind auch die Partybeamten von den Hundertschaften beim G20-Gipfel in Hamburg und eine Polizeiakademie, die Koppers umstrukturieren ließ, die plötzlich mit weniger Personal deutlich mehr Polizeischüler ausbilden muss, darunter fast die Hälfte aus Migrantenfamilien. Anonyme Briefe berichteten von Disziplinlosigkeiten, mangelhaften Deutsch- Kenntnissen und Verbindungen der Polizeischüler ins kriminelle Milieu. Auch wenn Kandt die Vorwürfe als „definitiv falsch“ zurückwies, wird nun auch die Führung der Polizeiakademie ausgetauscht. Pannen, Fehler und die Folgen der Sparjahre in Berlin: Das ist alles, wofür Kandt in den Augen des Innensenators steht.

Nach fünf Jahren fehlte die Wertschätzung

Ein harter Kerl mit viel Erfahrung mit dem Polizeialltag, befanden Polizeigewerkschafter noch bei Kandts Ernennung Ende 2012. Von der Wertschätzung blieb nach mehr als fünf Jahren wenig übrig. Die Polizei hätte einen Präsidenten verdient, der sich beim Senat und in der Öffentlichkeit für die Behörde einsetzt, monierte die Gewerkschaft der Polizei vor einigen Monaten – und auch am Montag.

Was die Personalvertreter enttäuscht, war für die Innensenatoren als Dienstherrn immer bequem: Klaus Kandt war in seiner Dienstzeit ein bereitwilliger Vollstrecker schlechter Nachrichten, fügte sich den Vorgaben der Politik, muckte nicht auf, wenn die politischen Wünsche die eigenverantwortliche Aufgabenbewertung der Polizei berührte. So ließ sich Kandt vom ehemaligen Innensenator Frank Henkel (CDU), der sich im Berliner Wahlkampf 2016 als durchsetzungsstarker Law-and-Order-Politiker präsentieren wollte, zu einem umstrittenen – und später vom Gericht gerügten – Räumungseinsatz gegen die Bewohner eines besetzen Hauses in der Rigaer Straße drängen.

Die nötige Härte fehlte

Härte bei der Führung seiner Behörde mit fast 24.000 Mitarbeitern, aber auch Standfestigkeit gegenüber der Politik, dafür stand Kandt nicht. Oder wie es Gewerkschafter sagen: Kandt hat sich nicht gerade gemacht gegenüber der Politik – und intern nicht auf den Tisch gehauen.

Erwartet hatte das freilich kaum jemand. Schließlich hat der gebürtige Schwabe, der seit 1986 mit Frau und drei Kindern in Berlin lebt, eine herausragende Karriere als Elite-Polizist vorzuweisen. Härte und Kompetenz im Einsatz hat ihm nie jemand abgesprochen. Der heute 57-Jährige startete beim Bundesgrenzschutz, wechselte dann zur Anti-Terror-Eliteeinheit GSG 9. Bei seinen nachfolgenden Stationen als Leiter der polizeilichen Spezialeinheiten in Brandenburg tat er sich bei spektakulären Einsätzen gegen die organisierte Kriminalität hervor. Auch als erfolgreicher und sachkundiger Polizeipräsident von Potsdam ab 2005 oder als Präsident der Bundespolizeidirektion Berlin von 2008 bis 2012 empfahl sich Kandt für weitere Aufgaben.

Als Kandt Ende 2012 zum Polizeipräsidenten ernannt wurde, war er Frank Henkels Wunschkandidat mit dem richtigen Parteibuch. Wobei Kandt immer bedauerte, darauf reduziert zu werden. SPD, Linke und Grüne hatten Vizepräsidentin Margarete Koppers favorisiert, die eineinhalb Jahre lang erfolgreich die Behörde geleitet hatte, weil kein Nachfolger für den im Mai 2011 in Pension gegangenen Präsidenten Dieter Glietsch gefunden werden konnte. Koppers, die zum 1. März in ihr neues Amt als Generalstaatsanwältin wechselt, war für einige Personalvertreter und Politiker die starke Frau der Behörde. Kandt, den Koppers für die partnerschaftliche Zusammenarbeit auf Augenhöhe ausdrücklich lobt, überließ ihr Personal und Finanzen, und sah es gern, dass sie der Behörde ein moderneres Auftreten verpasste, mehr Migranten einstellte und Reformen umsetzte.
Intern wurde Kandt die Rückendeckung für Koppers freilich als Zeichen von Schwäche und fehlendem Durchsetzungsvermögen gewertet: Er wird als zögerlich-abwägend, sie als zielstrebig bewertet. Guter Mann, aber auf dem falschen Posten, sagen Mitarbeiter.

Alarmierend schlechter Zustand bei der Polizei

Kandt, sportlich-schlank und persönlich durchaus gewinnend, repräsentierte die Polizei immer untadelig in der Öffentlichkeit. Nicht gerechnet hatte er freilich damit, so durfte man private Andeutungen verstehen, dass es in Berlin so ruppig zugehen könnte und seine Behörde derart im Fokus stand. Wundern musste er sich aber nicht. Schließlich ist Berlin für viele Menschen gefühlt die Hauptstadt des Verbrechens, auch wenn die Statistik mit teilweise sinkenden Deliktzahlen bei Einbrüchen und Körperverletzung das nicht unbedingt hergibt.

Die besonders kriminalitätsbelasteten Orte wie das Kottbusser Tor oder der Alexanderplatz, die spektakulären Verbrechen wie der Raub einer 100-Kilo-Goldmünze aus dem Bode-Museum, die sinkende Aufklärungsrate oder die immer wieder auflodernde Debatte über das stadtbeherrschende Treiben krimineller arabischer Clans haben aber das Vertrauen in die Polizei beschädigt.

Zugleich ist die Polizei in einem alarmierend schlechten Zustand. Nicht funktionierender Digitalfunk, marode Technik und mangelhafte Ausrüstung, Überalterung, hoher Krankenstand, fehlende Einsatzkräfte sind das Ergebnis einer über viele Jahre kaputt gesparten Behörde. Zur Lachnummer wurde die Berliner Polizei, als sie in Schleswig-Holstein für ein Euro pro Stück ausgemusterte Pistolen kaufte. Polizisten schaffen sich eigene Schutzwesten an, nutzen private Handys zur sicheren Kommunikation, weil der Polizeifunk nicht hinter Betonwänden empfangbar ist.

In den sanierungsreifen Dienstgebäuden fließt rotbraunes und mit Schwermetall belastetes Wasser aus den Leitungen. Dass Kriminelle kürzlich ungehindert auf gesicherte Polizeigelände vordringen konnten, um bei beschlagnahmten Tatfahrzeugen Beweisspuren zu vernichten, ist eine besondere Blamage.

Nach dieser Vergangenheit will Innensenator Geisel den Neustart, die Zukunft: Geld für Investitionen und mehr Personal gibt es. Dazu mehr Sold, das Ende des Beförderungsstaus. Die Polizei soll wachsen. Im Jahr 2000 waren es 18.000 Beamte auf den Straßen Berlins, aktuell sind es 16.700. Nun gibt es 805 neue Stellen im Haushalt. Bis zum Ende der Legislatur im Jahr 2021 soll die Behörde zu alter Stärke wachsen, mehr Nachwuchs muss her.

Der Senator spricht von einer Behörde der Vielfalt, über Tablets für die Streifenwagen, über eine Polizei, auf die die Beamten stolz sein sollen. Riesige Herausforderungen sind das, sagt Geisel. Und für diesen Aufbruch brauche es eine Polizeiführung mit der nötigen Leidenschaft, die die Erneuerung glaubwürdig verkörpere. „Ich möchte eine Polizei, der man vertraut und die sich selbst vertraut“, sagte Geisel.

Ein Abschied per E-Mail

Bei den Gewerkschaften erntet Geisel dafür sogar Verständnis, bei den Koalitionären im Abgeordnetenhaus sowieso. Auch die Oppositionsfraktionen von AfD und FDP befinden „längst überfällig“ sei die Trennung von Kandt.Allein die Christdemokraten sind fassungslos. CDU-Fraktionschef Florian Graf wittert politische Gründe, da Klaus Kandt vielen in der rot-rot-grünen Koalition „schon lange nicht in den Kram“ gepasst habe. Berlins Polizeiführung drohe ohne Führung dazustehen, das sei „unverantwortlich angesichts der angespannten Sicherheitslage“.

Wie einschneidend Geisels Schritt ist, zeigt auch Koppers. Am Dienstag sollte es für sie eine Abschiedsfeier geben. Die sagte sie am Montag ab – aus Rücksicht auf Kandts Entlassung. Beide verabschiedeten sich gemeinsam in einer E-Mail an die Beamten. Sie hätten die Polizei „partnerschaftlich, Seite an Seite geführt“. Und Geisels Aufbruch, ohne den Innensenator zu nennen, habe „längst begonnen", werde aber „öffentlich zerredet“. Und: „In unserer Polizeiarbeit sind wir bundes-, wenn nicht gar europaweit führend.“ Bei der Kriminalitätsbelastung und der Aufklärungsquote gebe es eine Trendwende. Aber das ist jetzt Vergangenheit.
Die vom Innensenator versprochene Zukunft beginnt Mitte April. Dann will er einen neuen Polizeipräsident ernennen. Bis dahin führt der dienstälteste Polizeiführer, der Chef der Direktion 5 (Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg), Michael Krömer, die Geschäfte – kommissarisch. Und ein neuer Vize-Präsident kommt – nach Ausschreibung und Auswahl - frühestens im September. Wenn alles klappt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false