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Flammen schlagen aus mehreren Etagen des 10-Geschossers.

© Stefan Jacobs

Nach dem Hochhausbrand in Berlin-Biesdorf: "Und dann standen wir auf der Straße"

Ein Küchenbrand in einem Biesdorfer Hochhaus vor einem Jahr hatte dramatische Folgen. Alle Bewohner verloren ihr Zuhause. Wie sieht es heute aus?

Es war das Gepolter von oben, das Dietmar Grube stutzig machte. Und die verbrannten Gegenstände, die an seinem Wohnzimmerfenster vorbeifielen. "Ich habe mit meiner Freundin gerade schön beim Mittagessen gesessen", erzählt er. "Und dann riss auch schon die Decke."

Plötzlich ging alles ganz schnell: Klopfen an der Tür, Feuerwehrleute in voller Montur im Flur. "Die riefen nur: Raus! Raus! Raus!", erinnert sich Grube. Er wollte noch mal rein, hatte nur Hose und T-Shirt an, doch die Retter zerrten seine Freundin und ihn gleich nach draußen, schickten sie die Treppe herunter. "Und dann standen wir auf der Straße."

Ein Jahr ist es nun her, dass direkt über Grubes Wohnung, in der dritten Etage eines Zehngeschossers in der Biesdorfer Cecilienstraße 182, ein Küchenbrand ausbrach. Das Feuer hatte dramatische Folgen. Es breitete sich zunächst auf eine Nachbarwohnung aus und dann über das gesamte Treppenhaus bis zum Dach. Es gab mehr als 20 Verletzte, die meisten nur leicht. Doch sämtliche Mieter verloren an diesem 2. Dezember 2017, einem Sonnabend, ihr Zuhause. Was geschah danach?

Nicht mal Socken hatte Dietmar Grube an den Füßen, als er mitansehen musste, wie unter lautem Knallen die Fensterscheiben des Plattenbaus zerplatzten. In einem Aufwärmbus bekam er Tee und Kaffee – und musste einen Plan aufmalen. "Jeder durfte seinen Wunsch äußern, was er noch aus der Wohnung haben will." Unter Atemschutz gingen die Einsatzkräfte ins Haus und holten gezielt Portemonnaie und Papiere heraus, seine Jacke und Strümpfe.

"Ich habe das Glück gehabt, dass ich bei meiner Freundin in Hellersdorf wohnen konnte", erzählt Grube. Rund 50 Leute aus 38 Wohnungen waren betroffen. Die 39. stand gerade leer. Den meisten ging es wie Grube, sie kamen zunächst bei Angehörigen und Freunden unter. Drei verbrachten die erste Nacht in einem nahe gelegenen Asylbewerberheim. "Ein bisschen betrübt" sei das Weihnachtsfest gewesen, sagt Grube.

Die Möbel waren aufgequollen, der Schimmel blühte

Erst im neuen Jahr konnte er noch einmal seine alte Wohnung im zweiten Stock aufsuchen. "Es ist alles hin gewesen", erinnert er sich. "Meine Wohnung war komplett unter Wasser gesetzt worden." Die Tapeten blätterten von den Wänden ab, die Möbel waren aufgequollen, der Schimmel blühte. Nur der Schrank hatte ein wenig vom Löschwasser abgehalten, sodass Grube noch etwas Kleidung retten konnte.

Der Kampf ging dann erst los. "Ich hatte keine Hausratversicherung gehabt, das war meine eigene Dummheit", sagt Grube. Er war arbeitslos, da kam es auf jeden Euro an. "Mit so etwas konnte ja keiner rechnen." Tausende von Euros betrug sein ganz persönlicher Schaden. Über die Haftpflichtversicherung der Mieterin über ihm, die den Brand fahrlässig verursacht hatte, bekam er wenigstens einen Teil zurück. Monate später überwies auch das Bezirksamt 600 Euro aus einem Hilfefonds, erzählt er.

Der örtliche CDU-Abgeordnete Christian Gräff und der Bezirksverordnete Alexander Herrmann halfen ihm, wie Grube erzählt, bei der Suche nach einer neuen Wohnung. Im März fand er "nach hartem Ringen" ein Zuhause bei der "Stadt und Land" am Cecilienplatz – nicht weit entfernt von dem Brand-Hochhaus, in dem er anderthalb Jahrzehnte gelebt hatte. Auch der Eigentümer, die Berlin-Brandenburgische Wohnungsbaugenossenschaft, hatte ihm Ersatz angeboten. "Irgendwo bei Ahrensfelde, das hat mir nicht zugesagt."

Etwa die Hälfte der Mieterinnen und Mieter konnte die Genossenschaft in ihrem eigenen Bestand unterbringen, berichtet Jens Gundlach-Böhm, Leiter von Vermietung und Mitgliederwesen. Für die andere Hälfte hätten befreundete Unternehmen Wohnungen zur Verfügung gestellt. Leicht ist das heutzutage auch in Marzahn-Hellersdorf nicht mehr: Wie in vielen Teilen Berlins herrscht praktisch Vollvermietung.

"Das ist wie ein Neubau ohne Vorplanung"

Lange Zeit war nicht klar, ob sich das Gebäude wieder herrichten lässt. Inzwischen saniert die Genossenschaft es von Grund auf: Sämtliche Wohnungen bekommen neue Bodenbeläge und Bäder, die gesamte Elektrik und Haustechnik wird ausgetauscht, Eingang und Aufzug erneuert und dabei auch barrierearm gestaltet. Nicht nur an der Nr. 182, sondern auch den beiden Nachbarhäusern werden die Fassaden vollständig renoviert – und vor allen Wohnungen Balkone angebracht. "Das schafft auch einen zusätzlichen Fluchtweg", erläutert Gundlach-Böhm. Auf "mehrere Millionen Euro" beziffert er die Kosten. "Das ist wie ein Neubau ohne Vorplanung." Mitte 2019 sollen die Wohnungen fertig sein. Sieben Mietparteien wollen wieder zurückziehen.

Für Dietmar Grube kommt das nicht infrage. Eigentlich habe er mit dem Brand abgeschlossen, sagt er. Doch die alte Umgebung könnte ihn zu sehr an den Schock vor einem Jahr erinnern. "Da würde ich mich nicht wohlfühlen", sagt er. Eine glückliche Wendung hat sein Leben trotzdem nach dem Feuer genommen. Vor einigen Monaten hat er wieder Arbeit gefunden. Und das mit 61 Jahren.

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