zum Hauptinhalt
Sexualisierte Gewalt gegen Kinder: Zahlreiche Vereine leisten Beratung und Präventionsarbeit.

© Julian Stratenschulte/dpa

Nach dem Fall in Kladow: Wo missbrauchte Kinder und ihre Angehörigen Hilfe finden

Zahlreiche Berliner Vereine beraten bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder. Sie schulen auch Fachpersonal und leisten Präventionsarbeit.

Der Fall in Kladow erschüttert. Jahrelang soll der Jugendwart eines Angelvereins dort mindestens vier Kinder missbraucht haben. Bei den mutmaßlichen Opfern handelt es sich um Jungen im Alter von acht bis elf Jahren. Aufgedeckt wurde der Fall, weil einer der Jungen sich seinen Eltern anvertraute. Wie können Eltern mit einer solchen Situation umgehen? Was sind die Handlungsmöglichkeiten für betroffene Kinder oder Erwachsene, die einen Verdacht haben?

„Kein Mensch, der nicht dazu ausgebildet ist, weiß, was in einer derartigen Situation zu tun ist“, sagt Lukas Weber. Er ist Sozialarbeiter, Erzieher und Traumapädagoge bei der Neuköllner Beratungsstelle „Berliner Jungs“. Sie kümmert sich um Jungen, die sexualisierte Gewalt erfahren haben. Angesichts dieser Überforderung helfe es, mit speziell geschulten Menschen darüber zu sprechen, was die nächsten Schritte sind, sagt Weber.

Erste Anlaufstelle ist die Webseite des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, eine Stelle, die 2010 von der Bundesregierung geschaffen wurde. Unter beauftragter-missbrauch.de findet sich unter anderem die Nummer des „Hilfetelefons sexueller Missbrauch“, das kostenfrei und anonym ist (0800-2255530). Im Hilfsportal der Seite kann man Beratungsstellen in der Umgebung suchen.

Das sind die Berliner Anlaufstationen für Missbrauch

Bei den „Berliner Jungs“ melden sich in 99 Prozent der Fälle Erwachsene, sagt Lukas Weber. Meistens handele es sich um Eltern, andere Angehörige oder Pädagogen, die sich Sorgen machen. Als erstes wird mit ihnen ein zeitnaher Termin ausgemacht, um zu erfahren, worum es überhaupt geht. „In den seltensten Fällen ist bereits klar, was passiert ist“, sagt Weber. Häufig geht es um erste Anzeichen, um ein Bauchgefühl der Erwachsenen.

Eine Wesensänderung ist Hinweis auf eine hohe Belastung

Es gibt dabei nicht den einen, richtigen Weg, mit sexualisierter Gewalt gegen Kinder umzugehen. „Solche Situationen kann man nie verallgemeinern und müssen individuell betrachtet werden“, sagt Weber. Während es in einigen Fällen ratsam sein kann, direkt zur Polizei zu gehen, könnten die Verhöre das betroffene Kind in anderen Fällen stark belasten.

Ein Anzeichen für eine Gewalterfahrung kann etwa eine komplette Wesensänderung des Kindes sein, wenn ein introvertiertes Kind plötzlich sehr aggressiv wird, oder ein lebendiges Kind sich zurückzieht. „Solche Wesensänderungen sind Anzeichen für eine hohe Belastung, aber nicht zwingend für sexualisierte Gewalt“, sagt Weber. Eine stark sexualisierte Sprache beim Kind könnte ein Hinweis auf sexuellen Missbrauch sein, aber auch das sei nicht zwingend gegeben.

„Kinder müssen erstmal gar nichts erzählen“

Die Mitarbeiter von „Berliner Jungs“ leisten hauptsächlich sogenannte Stabilisierungsarbeit. „Kinder müssen mir erstmal gar nichts erzählen“, sagt Weber. Es gehe immer darum, was das Kind in diesem Moment braucht, damit es ihm besser geht. „Das wichtigste dabei ist, dass das Kind in diesem Prozess mitentscheidet“.

Einigen Kindern müsse man versuchen die Schuldgefühle zu nehmen, die sie sich machen, mit anderen unternimmt man einen Ausflug um ein wenig Normalität zu erleben. Kinder, die beispielweise an Albträumen leiden, brauchen eine andere traumapädagogische Herangehensweise. „Es kommt immer darauf an, wer mir gegenübersitzt“, sagt Weber.

Der Verein leistet auch Präventionsarbeit

Die Arbeit der „Berliner Jungs“ ist niedrigschwellig, die Berater kommen auch in vertraute Umgebungen der Kinder. Auch auf Termine beim Landeskriminalamt oder beim Gericht bereiten sie Kinder vor und helfen Familien bei der Suche nach Rechtsanwälten. Andere Vereine übernehmen sogar kostenlos die professionelle Prozessbegleitung.

Neben den Beratungen für Kinder und Erwachsene leistet der Verein auch Präventionsarbeit. Fachkräfte werden darin geschult, wie sie sexualisierte Gewalt gegen Kinder erkennen und handeln. Die Pädagogen arbeiten aber auch direkt mit Jungen aus fünften und sechsten Klassen. Dabei geht es einerseits um allgemeine sexuelle Bildung. Mit einem theaterpädagogischen Ansatz spielen die Jungen aber auch kritische Situationen nach und üben Verhaltensmuster ein. „Es geht darum, Wissen zu erlangen, um so auch besser Grenzen ziehen zu können oder nach Hilfe zu suchen“, sagt Weber.

Was dürfen Trainer, was dürfen sie nicht?

Die Pädagogen sprechen mit den Kindern etwa darüber, was sie tun können, wenn ihnen der Fußballtrainer auf einmal zu nahekommt. Es geht beispielsweise um das Recht, „nein“ zu sagen, wenn der Trainer ein Einzeltraining zu Hause veranlassen will oder sich per Whatsapp bei dem Kind meldet.

„Gerade im Vereinskontext ist es wichtig, dass die Jungen wissen, was der Trainer darf und was nicht“, sagt Lukas Weber. „Erwachsene haben einen großen Wissensvorsprung und damit mehr Macht“. Den Jungen soll in den Workshops vermittelt werden, wann sie hellhörig werden und ihre Eltern informieren sollten.

Andere Männlichkeitsbilder zeigen

Dass die Beratungsstellen für Mädchen und Jungen oft separat sind, ist hauptsächlich historisch bedingt. Viele Ablaufstellen für Frauen und Mädchen sind aus der Frauenbewegung heraus entstanden. Die „Berliner Jungs“ wollten eine Lücke in Berlin schließen, indem sie Beratung speziell für Jungen anbieten.

„Gerade bei Männern ist das Thema sexualisierte Gewalt extrem tabuisiert“, sagt Weber. Zudem gehe in den meisten Fällen sexualisierte Gewalt gegen Jungen von Männern aus. Die Pädagogen und Sozialarbeiter, die bei den „Berliner Jungs“ als Berater arbeiten, sollen den Jungen daher auch alternative Männlichkeitsbilder vermitteln.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false