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SEK-Beamte der Berliner Polizei durchsuchten im April die Wohnung von Peter G.

© Christoph Soeder/dpa

Nach dem Fall Fabien Martini: Warum das SEK beim Berliner Polizisten Peter G. anrückte

Die Staatsanwaltschaft geht hart gegen den Polizisten Peter G. vor, der Fabien Martini totfuhr. Im April rückte das SEK bei ihm an, nun steht ein Prozess bevor.

Neue Wende im Fall der bei einem Unfall mit einem Polizeiwagen am 29. Januar 2018 getöteten Fabien Martini. Die Staatsanwaltschaft Berlin geht jetzt hart gegen den Polizisten Peter G. vor, der damals am Steuer saß – und mutmaßlich dabei betrunken gewesen sein soll.

Parallel zu den laufenden Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung und Gefährdung des Straßenverkehrs durch Trunkenheit hat die Staatsanwaltschaft Anklage wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz erhoben. Das erfuhr der Tagesspiegel aus Justizkreisen.

G. soll sich am 29. Juli vor dem Amtsgericht Tiergarten verantworten. Die Staatsanwaltschaft bestätigte die Anklage. Den Prozess führt der bekannte Amtsrichter Andreas Rische. In Ermittlerkreisen und selbst in der Justiz herrscht allerdings einige Verwunderung über den Fall.

Denn in der Regel gilt: Der Tatvorwurf, der weit weniger ins Gewicht fällt als der ohnehin schon bestehende, wird beiseitegelegt oder einfach dem Verfahren, das schwerer wiegt, zugefügt.

Furchtbare Tragödie. Fabien Martini starb, weil Peter G. mit seinem Streifenwagen in ihr Auto krachte.
Furchtbare Tragödie. Fabien Martini starb, weil Peter G. mit seinem Streifenwagen in ihr Auto krachte.

©  dpa/Maurizio Gambarini

Das ist nicht nur nach üblicher Praxis so, sondern hat auch praktische Gründe: Die Justiz ist überlastet. Was nicht ins Gewicht fällt, zumal wenn weitaus schwerere Vorwürfe gegen Beschuldigte vorliegen, wird fallengelassen. Doch nicht bei Peter G. Gegen ihn wird mit aller Härte vorgegangen.

Was ist geschehen? Oberstaatsanwalt Hans-Jürgen Dorsch führt das Verfahren zum Unfall, bei dem Fabien Martini im Alter von 21 Jahren ums Leben gekommen ist. Zunächst war wegen fahrlässiger Tötung ermittelt worden.

G. ist am 29. Januar 2018 in Berlin-Mitte mit einem Streifenwagen zu einem Eil-Einsatz mit Blaulicht gefahren und mit Tempo 134 durch den Tunnel am Alexanderplatz gerast. Währenddessen steuerte Martini ihren Wagen auf der Grunerstraße von der rechten Fahrspur über die komplette Fahrbahn nach links. Dann knallte der Einsatzwagen mit voller Wucht gegen den Wagen Martinis, sie starb am Unfallort.

Monatelang wurde ermittelt, im September war das Verfahren so gut wie abgeschlossen, doch dann bekam der Anwalt der Familie Martini brisante Hinweise: Demnach soll G. bei der Einsatzfahrt betrunken gewesen sein. Der Anwalt der Eltern machte Druck, Polizei und Staatsanwaltschaft drohte eine Blamage.

Ein Jahr danach. Die Eltern von Fabien Martini wenden sich in ihrer Trauer und Wut jetzt an die Öffentlichkeit.
Ein Jahr danach. Die Eltern von Fabien Martini wenden sich in ihrer Trauer und Wut jetzt an die Öffentlichkeit.

© Stefan Jacobs

Ende Januar 2019 beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft mit konstruierten Ermittlungen gegen medizinisches Personal in der Charité die Patientenakte von G. zum Unfall. Darin soll stehen, dass etwa eine Stunde nach dem Unfall bei einer Blutprobe ein Alkoholwert von 1,1 Promille festgestellt worden sei.

Ob das Ergebnis verwertet werden kann, ist fraglich: Für gerichtsfeste Alkoholwerte aus Blutproben gibt es klare Richtlinien, die sind in diesem Fall aber nicht eingehalten worden. Direkt nach dem Unfall war nicht einmal geprüft worden, ob G. betrunken gewesen sein könnte.

Der verdächtige Polizist kam nach dem Crash an die Charité.
Der verdächtige Polizist kam nach dem Crash an die Charité.

© Kalaene/dpa

Oberstaatsanwalt Dorsch ermittelte weiter. In den Medien wurde das Privatleben des Polizeibeamten ausgebreitet und dargestellt, wie er sich im Internet präsentiert hat. Dort werden die Ermittler fündig: G. veröffentlichte in seinem Foto-Blog Bilder von sich, es sind düstere, morbide Motive, wie sie in der Gothic- und Metalszene üblich sind.

Zu sehen ist G., an den Seiten kurz rasiertes Haar, oben lang, nach hinten zum Zopf gebunden, am Kinn ein langer Zickenbart, wie er sich einen Revolver an die Schläfe hält.

Die Staatsanwaltschaft vermutete illegalen Waffenbesitz und beantragte einen Durchsuchungsbeschluss. Im April rückten Oberstaatsanwalt Dorsch persönlich, Beamte des Spezialeinsatzkommandos (SEK) und Ermittler bei G. an – Hausdurchsuchung.

Spezialeinsatzkommando der Polizei. (Symbolbild)
Spezialeinsatzkommando der Polizei. (Symbolbild)

© dpa

Aus dem Landeskriminalamt heißt es, G. habe gleich von selbst die Pistole freiwillig herausgegeben, berichten Ermittler. Es soll sich um eine Schreckschusspistole gehandelt haben, deren Besitz nicht strafbar ist.

Doch der Oberstaatsanwalt ließ weitersuchen – nach sogenannten Zufallsfunden: In einer Kiste mit Requisiten für die Fotosessions von G. finden die Ermittler zwei Schlagringe. In ihrer Anklage wirft die Staatsanwaltschaft G. nun vor, ihm sei bewusst gewesen, dass der Besitz nach dem Waffengesetz verboten ist.

Ein Schlagring - nach dem Waffengesetz ist der Besitz verboten und strafbar.
Ein Schlagring - nach dem Waffengesetz ist der Besitz verboten und strafbar.

© Malte Christians/dpa

Nach dem Geist des Gesetzes geht es darum, die Allgemeinheit zu schützen, niemand soll ungestraft mit einer Waffe herumlaufen. Juristen nennen das die sogenannte Ratio der Norm. Selbst in der Polizei wird bezweifelt, ob G. belangt werden kann, wenn er die Waffen für sein Hobby als Requisite genutzt hat.

Der Unfallort. Der Renault Clio wurde völlig zerstört. Schon vorher kam es an der Stelle zu schweren Unfällen.
Der Unfallort. Der Renault Clio wurde völlig zerstört. Schon vorher kam es an der Stelle zu schweren Unfällen.

© Maurizio Gambarini/dpa

Nach dem Waffengesetz drohen für den Besitz eines Schlagringes bis zu drei Jahren Haft oder Geldstrafe. Beim fahrlässigen Besitz sind es bis zu einem Jahr Haft oder Geldstrafe. Nach der üblichen Rechtsprechung bekommt, wer nicht vorbestraft ist, meist eine Geldstrafe von weniger als 90 Tagessätzen und gilt damit als nicht vorbestraft.

Der verunfallte Polizeiwagen (Archivbild).
Der verunfallte Polizeiwagen (Archivbild).

© imago/Olaf Selchow

Bei der Unfallfahrt aber geht es um fahrlässige Tötung, darauf stehen eine Haftstrafe bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe. Unter Ermittlern macht ein Verdacht die Runde: G., dem die Ausübung der Dienstgeschäfte untersagt ist, soll unter Druck gesetzt, kaputt gemacht werden.

Zudem könnte die Staatsanwaltschaft versuchen, über den Schlagringfall den Prozess zur Unfallfahrt zu steuern – nämlich zu einem ihr genehmen Richter. Läuft bereits ein Prozess gegen G., könnte eine weitere Anklage ebenfalls bei ihm landen.

Das Schild "Staatsanwaltschaft Berlin" am Eingang zum Gerichtsgebäude in der Turmstraße in Moabit.
Das Schild "Staatsanwaltschaft Berlin" am Eingang zum Gerichtsgebäude in der Turmstraße in Moabit.

© Soeren Stache/dpa

Martin Steltner, Sprecher der Staatsanwaltschaft, widerspricht dem Verdacht. Der Waffenbesitz stehe in keinem Zusammenhang mit der Unfallfahrt, es handele sich um ein gesondertes Verfahren.

G. habe sich auch nicht zum Besitz der Schlagringe geäußert, sagte Steltner. Damit hätte der Fall nicht per Strafbefehl erledigt werden können, die Anklage müsste deshalb vor Gericht verhandelt werden. Die Ermittlungen zum tödlichen Unfall laufen weiter, ein Ende ist bislang nicht absehbar.

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