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Spekulationen über eine museale Verwendung des Lkw findet man im Haus des Kultursenators Klaus Lederer "extrem an der Grenze zur Pietätlosigkeit", wie Sprecher Daniel Bartsch die Haltung der Behörde wiedergibt.

© Reuters

Nach dem Anschlag vom Breitscheidplatz: "Mit Respekt den richtigen Zeitpunkt abpassen"

Wie sollte Berlin an die Opfer des Terroranschlags erinnern? Könnte der Lkw als Schaubild des Terrors ausgestellt werden? Der Beginn einer vorsichtigen, aber wichtigen Debatte.

Noch steht der Lastwagen, in dem ein Mensch erschossen wurde, durch den elf weitere getötet und viele verletzt wurden, weggeschlossen irgendwo in Berlin – in der „Spurensicherungshalle“, wie es bei der Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe vage heißt. Bis auf Weiteres wird er für die Ermittlungen zum Anschlag auf dem Breitscheidplatz vom 19. Dezember benötigt, wie lange das dauere, sei nicht abzusehen. Und danach? Normalerweise werde ein Asservat, wie solch eine Tatwaffe im Polizeideutsch heißt, an den letzten Eigentümer, in diesem Falle den polnischen Spediteur, zurückgegeben, sagte ein Sprecher der Karlsruher Behörde.

Im Haus der Geschichte in Bonn denkt man bereits weiter. Der Lkw mag eine Mordwaffe sein, zugleich ist er aber ein Zeugnis deutscher Zeitgeschichte, damit mögliches Sammelobjekt. Hans Walter Hütter, Präsident der Stiftung, zu der das Bonner Museum, aber auch der Berliner Tränenpalast und das Museum in der Kulturbrauerei gehören, ist nun in einem dpa-Interview zur möglichen musealen Nutzung befragt worden, hat dies nicht rundweg abgelehnt, aber doch sehr behutsam geantwortet. Es sei schon wegen der laufenden Ermittlungen „noch zu früh, um darauf eine abschließende Antwort geben zu können“. Man brauche zeitlichen Abstand, auch sei der Lkw selbst wohl zu groß. „Eher müsste man an ein bestimmtes Teil denken.“

"Erreichen die Täter dadurch nicht gerade das, was sie wollen?"

Auf keinen Fall dürfe das Geschehen nur aus der Sicht des Täters dargestellt werden. Stets stelle man sich daher die Frage: „Erreichen die Täter dadurch nicht gerade das, was sie wollen, nämlich öffentliche Aufmerksamkeit und das auch noch dauerhaft?“ Aber wenn ein Thema von gesellschaftlicher Relevanz sei, „dann gehört es zu unserer Geschichte, ob wir das wollen oder nicht.“ Unmittelbar nach der Tat seien solche Fragen immer schwierig, vor allem für die Angehörigen der Opfer. „Man muss mit Respekt den richtigen Zeitpunkt abpassen. Aber dann muss man als Museumsmensch, der für die Überlieferung des materiellen Erbes zuständig ist, handeln – und zwar immer mit dem notwendigen Augenmaß.“

Das war bei einigen Exponaten des Bonner Museums bereits gefordert. In der Dauerausstellung werden auch Objekte des RAF-Terrorismus gezeigt, so der Raketenwerfer, mit dem 1977 vergeblich die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe angegriffen wurde, oder Teile der Nagelbombe, die die rechte Terrorgruppe NSU 2004 in Köln zündete. Und Hütter verwies auf die Tatwaffe des Attentats von Sarajewo, das 1914 den Ersten Weltkrieg auslöste und im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien zu sehen ist.

Darf man Schaustücke des Terrors ausstellen?

Immer bleibt aber die Frage: Darf man Schaustücke des Terrors ausstellen? Entscheidend ist wohl der Kontext, in den sie gestellt werden. Die Täter dürfen nicht heroisiert, die Gefühle der Opfer und ihrer Hinterbliebenen nicht verletzt werden. Ende 2014 zeigte das Deutsche Historische Museum die Suzuki GS 750, von deren Rücksitz aus am 7. April 1977 in Karlsruhe Generalbundesanwalt Siegfried Buback, sein Fahrer Wolfgang Göbel und ihr Begleiter Georg Wurster erschossen worden waren.

Die Maschine kam mit der vom Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart kuratierten Ausstellung „RAF – Terroristische Gewalt“ nach Berlin. Mancher Besucher fand die Präsentation des Tatfahrzeugs sensationslüstern. Der Ausstellung wurde mangelnde Ausgewogenheit vorgeworfen: zu viele Schauwerte, zu wenig Erklärung. „Sie bietet punktuelle Einblicke, aber macht den Besuchern eigentlich nicht klar, was die RAF gewesen ist“, befand der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum.

Die Schwierigkeit, zu erahnen, welches Exponat aussagekräftig bleiben wird

„Relevante und wichtige Zeugnisse der Zeitgeschichte zu sammeln und zu bewahren“, so beschreibt Boris Nitzsche, Sprecher des Deutschen Historischen Museums (DHM), die Arbeit seines Hauses. „Allerdings ist dabei die Schwierigkeit, zu erahnen, welches Exponat in zehn oder zwanzig Jahren noch aussagekräftig sein wird.“ Wenn also einmal eine Ausstellung über die Flüchtlingsbewegungen und den Terror des sogenannten Islamischen Staates organisiert werden solle, sei es durchaus denkbar, neben Flüchtlingsbooten und Schwimmwesten aus dem Mittelmeer auch den Scania-Lkw vom Breitscheidplatz zu zeigen.

Die Sammlung des DHM geht zurück auf das Zeughaus, die Rüstkammer der preußischen Herrscher. Entsprechend martialisch wirken viele Exponate. Es gibt Helme und Sturmhauben mit Einschusslöchern aus dem Ersten Weltkrieg, Gewehre und Granaten aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Geschichte, die das Museum schildert, ist immer auch eine Geschichte der Gewalt. Auch die aktuelle Ausstellung über den deutschen Kolonialismus handelt von Unterdrückung und Ausbeutung, bis hin zum Genozid etwa während des Herero-Aufstands 1904.

"Extrem an der Grenze zur Pietätlosigkeit"

Die Frage nach dem pietätvollen Umgang mit einem für museal wertvoll befundenen Objekt stellt sich aus über 100 Jahren Abstand natürlich anders als bei einer Tat, die gerade mal einen halben Monat zurückliegt. Und auch naheliegende Überlegungen, wie man der Opfer am Tatort auf Dauer gedenken könnte, mögen manchem jetzt noch verfrüht erscheinen. Spekulationen über eine museale Verwendung des Lkw findet man im Haus des Kultursenators Klaus Lederer (Linke) jedenfalls „extrem an der Grenze zur Pietätlosigkeit“, wie Sprecher Daniel Bartsch die Haltung der Behörde wiedergibt. Und eine generelle Diskussion über eine dauerhaftes Gedenken und dessen Form müsse es sicher geben, aber mit gebührendem zeitlichen Abstand.

Ähnlich wird das im Hause von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) gesehen. Gegenwärtig stehe erst einmal die lückenlose polizeiliche und juristische Aufarbeitung des Terroranschlags im Vordergrund sowie die Diskussion politischer und gesellschaftlicher Maßnahmen zur Verhinderung solcher Straftaten. „Konkrete und sachgerechte Überlegungen zum Umgang mit dieser schrecklichen Terrortat im öffentlichen Bewusstsein wären vor Abschluss dieser Aufarbeitung verfrüht,“ sagte Grütters’ Sprecher Hagen Philipp Wolf.

Vorbilder für die Erinnerung an die Opfer einer Terrortat

Einige Vorbilder für eine dauerhafte Erinnerung an die Opfer einer Terrortat gibt es bereits in Berlin, Gedenktafeln, die an den Tatorten angebracht wurden. Sie erinnern an die die Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg am 15. Januar 1919, an das Attentat auf Reichsaußenminister Walther Rathenau am 24. Juni 1922, an die Ermordung des Kammergerichtspräsidenten Günter von Drenkmann am 10. November 1974 und auch an die Opfer des Bombenanschlags auf die Diskothek „La Belle“ am 5. April 1986, für die zwei Jahre danach eine Gedenktafel in der Schöneberger Hauptstraße angebracht wurde.

Auch auf dem Breitscheidplatz wäre solch eine Lösung denkbar. Erste unverbindliche Überlegungen habe es im Gemeindekirchenrat der Gedächtniskirche bereits gegeben, sagte Pfarrer Martin Germer. Von der AG City sei eine Tafel an den zur Kirche führenden Stufen angeregt worden, der er sich nicht grundsätzlich widersetzen würde. Aber es gebe da viele Aspekte zu berücksichtigen, beispielsweise den Denkmalschutz. Eines geht aus Sicht der Pfarrers aber gar nicht: eine Erinnerungsplatte auf dem Boden. Schon wegen der Lastwagen, die beim Aufbau künftiger Märkte darüber hinweg rollen würden, ganz und gar unmöglich.

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