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Beschädigtes Gedenken. In Berlin-Schöneberg wurden diese Stolpersteine zerkratzt und mit Säure besprüht.

© Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg

Nach Angriff auf Stolpersteine in Berlin: Initiativen verstärken das Gedenken an Nazi-Opfer

In der vergangenen Woche wurden Stolpersteine in Schöneberg mit Säure bespritzt und zerkratzt. Deswegen rufen Initiativen zum Stolpersteinputzen am 8. Mai auf.

Nach der Beschädigung der vier Stolpersteine für die Familie Davidsohn in der Crellestraße ist das Entsetzen im Bezirk groß. „Dass diese Tat tagsüber auf der belebten Straße und so kurz nach der Verlegung stattfand, macht mich besonders betroffen“, sagt die Stolperstein-Koordinatorin des Bezirks, Katharina Kretzschmar. Und sie hoffe, dass jetzt Anwohnerinnen und Anwohner ein Auge auf die Steine haben werden.

Aber sie gehe davon aus, dass dieser Vorfall auch dazu führe, dass die Initiativen sich in besonderem Maße weiter engagierten und sich so um das Gedenken verdient machten. Die Stolpersteine sollen an die von Nazis verfolgten, entrechteten, vertriebenen und ermordeten Menschen erinnern, vor allem an jene jüdischer Herkunft.

Drei der vier Stolpersteine waren erst am Donnerstag vergangener Woche verlegt worden. Bereits einen Tag später wurden sie schwer beschädigt: Sie wurden mit Säure bespritzt und stark zerkratzt.

Rund 1000 Stolpersteine gibt es derzeit in Tempelhof-Schöneberg. Aufgrund der Pandemie waren Verlegungen der Gedenksteine zuletzt schwierig. Für dieses Jahr ist aber geplant, noch einige Dutzend Steine zu verlegen und damit an der Adresse an die Menschen zu erinnern, an der sie ihren letzten frei gewählten Wohnsitz hatten. Inzwischen kämen auch viele Anfragen von Angehörigen, Stolpersteine für ihre verfolgten Familienmitglieder zu verlegen, sagt Kretzschmar.

Wenn diese jetzt wegen Corona nicht anreisen könnten, sie aber bei der Verlegung dabei sein wollten, werde man darauf natürlich Rücksicht nehmen und die Steine erst später einsetzen.

Die erste Verlegung 2021 fand am 19. April vor der Kirchbachstraße 16 in Schöneberg  statt. Mit vier Stolpersteinen wird dort an Hans Hirschberg (geboren 1925), seine Mutter Dorothea Hirschberg, geborene Hermann (geboren 1887), seinen Onkel Paul Hermann (185) und seinen Großvater Alexander Hermann (1858) erinnert. Von den vieren überlebte nur Hans Hirschberg; er lebt noch heute in den USA. Seine Sohn und seine Enkelin waren angereist und haben für ihn die Verlegung dokumentiert.

Biografien recherchieren und Stolpersteine putzen

Koordinatorin Kretzschmar arbeitet mit vielen ehrenamtlichen Initiativen zusammen. Seit 2007 ist beispielsweise die Initiative Stierstraße in Friedenau aktiv; sie ist eine der ältesten Stolperstein-Initiativen in Berlin. Erst vor gut zwei Jahren gründete sich die Stolperstein-Initiative Tempelhof-Schöneberg, mit der Kretzschmar ebenfalls zusammenarbeitet. Die Mitglieder recherchieren biografische Daten, putzen Steine, organisieren Mahnveranstaltungen und halten so  die Erinnerung an die verfolgten Menschen aufrecht.

Eins der Gedenkprojekte, das die Initiative jetzt umsetzen möchte, sind Stolpersteine für die vierjährige Eva Baer und ihre Familie. Das kleine Mädchen wurde im Oktober 1942 gemeinsam mit seiner Mutter Hildegard (27) und dem Vater Alfred (44) nach Riga deportiert, was alle drei nicht überlebten. Die Familie lebte in der Motzstraße 19. Schon einen Monat zuvor war Evas Großmutter Selma Baer (77), die auch in der Motzstraße zu Hause war, nach Theresienstadt deportiert worden, wo sie kurz darauf starb.

Ein Stolperstein kostet 120 Euro

Die Initiative will jedoch nicht nur der Opfer gedenken: „Wir sehen die Stolpersteine auch als Mahnmale gegen Hass, Ausgrenzung und Antisemitismus in unserer Gesellschaft“, schreiben die engagierten Ehrenamtler. In diesem Jahr möchten sie noch etliche Stolpersteinverlegungen initiieren. Dafür ist die Initiative aber auf Spenden angewiesen. Ein Stolperstein kostet 120 Euro; eine öffentliche Förderung dafür gebe es nicht. Anlässlich des 76. Jahrestages der Befreiung vom Nationalsozialismus am 8. Mai hat die Stolperinitiative einen Spendenaufruf gestartet: „Bitte helfen Sie uns, die Steine zu finanzieren. Ob fünf, zehn  oder 120 Euro, wir freuen uns über jede Überweisung.“ (Bankverbindung: Stolpersteine Tempelh.-Schöneb., Berliner Sparkasse, IBAN  38 1005 0000 1070 9455 24)

Diese Geldspenden sind nicht steuerlich absetzbar, da die Initiative kein eingetragener Verein ist. Wenn auf dem Überweisungsformular Name und Adresse vermerkt sind, wird es aber ein Dankschreiben an die Spender geben. Die Initiative ist per E-Mail unter folgender Adresse Initiative-Stolpersteine-T-S@web.de zu erreichen.

Den 76. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus und den Anschlag auf die Stolpersteine nehmen die DGB- und Verdi-Senioren, die Initiative Stolpersteine Tempelhof-Schöneberg, die SPD Schöneberg sowie die Stolpersteininitiative Stierstraße Berlin-Friedenau zum Anlass für eine gemeinsame Stolperstein-Putzaktion im Bayerischen Viertel. Treffpunkt ist am Samstag, 8. Mai, um 13 Uhr am U-Bahnhof-Ausgang Bayerischer Platz. Die Organisatoren weisen darauf hin, dass FFP2-Masken getragen und die Abstandsregeln eingehalten werden sollen. 

[350.000 Leute, 1 Newsletter: Die Autorin dieses Textes, Sigrid Kneist, schreibt den Tagesspiegel-Newsletter für Tempelhof-Schöneberg. Den gibt es hier:leute.tagesspiegel.de]

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