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Klare Brühe. An den meisten Tagen des Jahres hat die Spree bereits Badewasserqualität.

© Paul Zinken/dpa

Nach Ärger um Kostenschätzung: Gibt es doch noch Chancen für das Flussbad-Projekt in Berlin?

Fachleute der Wasserbetriebe halten das Vorhaben für realistisch und sinnvoll: Viele der dafür nötigen Verbesserungen an der Spree seien ohnehin fällig.

Schon bald könnte sich entscheiden, ob der Traum vom Baden im Spreekanal zwischen Humboldt-Forum und Museumsinsel in Berlin ausgeträumt ist oder doch noch wahr wird. Für Ende August sind nach Tagesspiegel-Informationen die umweltpolitischen Sprecher der Fraktionen im Abgeordnetenhaus zu einem Gespräch mit dem Vorstandschef der Berliner Wasserbetriebe (BWB), Jörg Simon, verabredet.

Zwar hat das Landesunternehmen bei der Frage, ob das Flussbadprojekt trotz Gesamtkosten von vermutlich über 100 Millionen Euro und technischer Hürden weiter forciert wird, keinerlei Entscheidungsbefugnis. Aber in den Wasserbetrieben ist viel Sachverstand zu Fragen der Wasserqualität gebündelt.

Die hängt in der innerstädtischen Spree maßgeblich davon ab, inwieweit sich bei Starkregen Überläufe von Hausabwässern aus der Kanalisation verhindern lassen. Und genau darum wollen sich die Wasserbetriebe künftig ohnehin noch stärker und mit neuer Prioritätensetzung bemühen.

Während die BWB sich seit mittlerweile fast 20 Jahren auf den Bau großer unterirdischer Rückhaltebecken sowie von Wehren und höheren Überlaufschwellen konzentrieren, in denen das Gemisch aus Regen und Fäkalien bei Überlastung der Kanalisation zwischengespeichert wird, wollen sie künftig verstärkt Flächen von der innerstädtischen Mischkanalisation abkoppeln und vorhandene Kapazitäten in ihrem Kanalnetz intelligenter bewirtschaften, beispielsweise durch Rückstauklappen.

Das gelte auch für jenes große Überlaufrohr, das in den Spreekanal mündet, sagte eine aufs Abwassermanagement spezialisierte Person dem Tagesspiegel. „Wir haben dort einen großen unterirdischen Entlastungskanal, den wir als Speicher nutzen wollen.“

Unterirdischer Entlastungskanal

Das wolle man der Umweltverwaltung – die die BWB aufgefordert habe, fürs nächste Gewässergüteprogramm Potentiale zur Vermeidung von Überläufen zu identifizieren – ohnehin vorschlagen. Das Flussbad-Projekt sei nicht der Anlass dafür, würde aber davon profitieren.

Parallel bemüht sich die Regenwasseragentur der Wasserbetriebe seit zwei Jahren darum, Berlin zur „Schwammstadt“ zu entwickeln, also Niederschlag an Ort und Stelle zu versickern, damit er gar nicht erst in die Kanalisation gelangt. „Wir finden bei jeder Baumaßnahme Potenziale“, hatte die Chefin der Agentur dem Tagesspiegel kürzlich gesagt.

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Laut Fachleuten wirkt diese Abkopplung überproportional: Mit jedem Prozent Stadtfläche, von der Regen nicht mehr in die Mischkanalisation gelangt, verringere sich der Überlauf um drei Prozent.

Durch den Bau der Stauräume ist die Häufigkeit der Überläufe bereits etwa halbiert worden, aber die Tendenz zu kurzen Wolkenbrüchen statt sachtem Landregen macht einen Teil der Erfolge zunichte. Und der Platz für neue Speicher werde immer knapper und der Bau entsprechend teurer, heißt es.

Was die Kritiker sagen

Der durch das Speicherprojekt „Spree 2011“ bekannt gewordene Ingenieur Ralf Steeg sieht durchaus noch Potenziale, beispielsweise zwischen Elsenbrücke und Mühlendammschleuse – also dem direkt flussaufwärts des Spreekanals gelegenen Abschnitt mit Mischkanalisation.

Er schlägt eine in der Spree verankerte Pontonreihe vor, auf der sich ein Geh- und Radweg installieren ließe. Steeg wirft Verwaltung und Wasserbetrieben mangelnden Ehrgeiz vor und profiliert sich als Kritiker des Flussbades, das er für eine unbezahlbare Utopie hält. Im Frühjahr zerpflückte er das Vorhaben in „BK Konstruktiv“, einem Fachmagazin für Bauingenieure.

Er resümierte, dass der vom Flussbad-Verein vorgesehene Pflanzenfilter oberhalb des Schwimmbereichs in der laufenden Modellerprobung nicht funktioniere und dass das Modell zu klein sei, um seriöse Erkenntnisse zu gewinnen. Dazu veröffentlichte er – wie am vergangenen Dienstag berichtet – intern geäußerte Zweifel der Umweltverwaltung an der Kostenschätzung des Stadtentwicklungsressorts von 77 Millionen Euro.

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Aus der Umweltverwaltung heißt es auf Anfrage, dass tatsächlich „Kosten anfallen, die in vorliegenden Betrachtungen noch nicht berücksichtigt sind“. Das sei aber unvermeidlich, solange noch Details offen seien. So könne der bisher als Bundeswasserstraße vom Bund unterhaltene Spreekanal durch das Flussbad in die Hoheit Berlins übergehen. Bisher gehörten Berlin nur 337 der 4000 Meter langen Ufereinfassung.

Tim Edler, Mitentwickler des Flussbad-Konzepts, sagt, alle für das Projekt benötigten Flächen an Land befänden sich bereits in Berliner Eigentum. Wegen des großen Sanierungsbedarfs sei zu erwarten, dass Berlin für den Kompletterwerb noch Geld erhalte.

Wer übernimmt welche Kosten?

Tatsächlich dürften die Kosten eine wesentliche Rolle spielen, wenn das Parlament über die Zukunft des Projektes entscheiden muss. Allerdings gibt ein Fachmann zu bedenken, dass sich das Flussbad nach Belieben schön- oder schlechtrechnen lasse, weil die einzelnen Projektbestandteile aus ganz unterschiedlichen Budgets und Fördertöpfen finanziert werden können.

So gehört die teure Freitreppe vor dem Humboldt-Forum laut Stadtentwicklungsverwaltung zu dessen Umfeld, nicht zum Flussbad. Auch die – verwaltungsintern auf mehr als 90 Millionen Euro geschätzte – Uferwandsanierung kann laut Edler nicht dem Projekt zugerechnet werden. Auch andere Sanierungsarbeiten seien unabhängig vom Flussbad fällig. Die Erneuerung des Wehrs zwischen Staatsratsgebäude und Auswärtigem Amt sei sogar in der Kostenprognose des Flussbades enthalten.

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Edler widerspricht auch klar Steegs Behauptung, die Filter würden nicht funktionieren. Nur wenn bei Hochwasser das Wehr im Spreekanal geöffnet werden müsse oder extreme Unwetter die Spree verdreckt haben, müsse der Schwimmbetrieb ausgesetzt werden. Das sei nur an wenigen Tagen im Jahr zu erwarten.

"Es wäre kein Drama, zweimal im Jahr abzusperren"

Dass der Pflanzenfilter das Grundproblem beseitigt und im Spreekanal auch noch dann Badewasser erzeugt, wenn nach einem schweren Gewitter Massen von Fäkalien und Straßendreck in die Spree rauschen, glauben auch die Fachleute der Wasserbetriebe nicht. „Aber es wäre ja auch kein Drama, den Zufluss zum Spreekanal ein, zwei Mal im Jahr kurzzeitig abzusperren“, sagt der Abwasserexperte. „Der Regelfall wäre, dass die Berliner dank dem Flussbad-Projekt den Spreekanal ganz neu erleben könnten – ob sie nun darin baden oder nicht.“

Insofern könne man das Projekt auch als Dokumentation erreichter und künftiger Fortschritte für die Allgemeinheit verstehen. Die Bevölkerung finanziere die Erfolge schließlich – über die (Ab-)Wassertarife.

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