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"Keine Bühnen für Transphobie!" Studierende demonstrierten mit Transparenten gegen den Vortrag der Biologin Marie-Luise Vollbrecht an der Humboldt-Universität.

© dpa/Christophe Gateau

Update

Nach Absage wegen Sicherheitsbedenken: Humboldt-Uni lässt Gender-Vortrag nachholen – mit Diskussionsrunde

Die Biologin Marie-Luise Vollbrecht wollte über Gender und Geschlecht referieren, die Ankündigung polarisierte. Jetzt gibt es einen Nachholtermin im Juli.

Die Absage eines Vortrags der Biologin Marie-Luise Vollbrecht über Gender und Geschlecht durch die Humboldt-Universität (HU) Berlin hat scharfe Kritik des Präsidenten des Deutschen Hochschulverbands, Bernhard Kempen, nach sich gezogen. Zugleich zeigte Vollbrechts Doktorvater Rüdiger Krahe gegenüber dem Tagesspiegel Verständnis für den Schritt – genauso wie andere Uniangehörige

Für den Vortrag steht inzwischen ein Nachholtermin fest: Er soll am 14. Juli im Rahmen einer Diskussionsrunde nachgeholt werden, teilte ein HU-Sprecher dem „rbb“ mit. Dabei solle danach gefragt werden, wie man mit solchen aufgeladenen Situationen und polarisierenden Fragestellungen umgehen könne.

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Mit der Absage am Samstag habe die Universität der Wissenschaftsfreiheit einen Bärendienst erwiesen, sagte Kempen der Deutschen Presse-Agentur. „Sie hätte stattdessen Rückgrat beweisen sollen und alles daran setzen müssen, dass der Vortrag stattfinden kann.“ Universitäten seien Stätten geistiger Auseinandersetzung. „Hier muss jede Wissenschaftlerin und jeder Wissenschaftler ihre und seine Forschungsergebnisse, Thesen und Ansichten ohne Angst zur Diskussion stellen können.“

Auch Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger hatte die HU kritisiert. Berlins Wissenschaftssenatorin Ulrike Gote (Grüne) wollte sich auf Anfrage nicht zu dem Vorgang äußern. Nach der Ankündigung von Protesten hatte die Hochschule den Vortrag „Geschlecht ist nicht (Ge)schlecht, Sex, Gender und warum es in der Biologie zwei Geschlechter gibt“, der während der Langen Nacht der Wissenschaft am vergangenen Samstag gehalten werden sollte, aus Sicherheitsgründen gestrichen.

Biologin hatte umstrittenen „Welt“-Artikel mitveröffentlicht

Nicht nur wollten Studierendenvertreter gegen Vollbrecht demonstrieren, auch Proteste von Befürwortern waren angekündigt. Die Studierenden stießen sich vor allem daran, dass Vollbrecht Co-Autorin eines umstrittenen „Welt“-Artikel ist, der dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine „bedrohliche Agenda“ bei den Themen Geschlecht und Transgender unterstellt. Von dem Text hatte sich sogar Springer-Chef Matthias Döpfner distanziert.

Die Absage löste vor allem in den sozialen Medien heftige Kritik aus. Vollbrechts Doktorvater Krahe, Professor für Verhaltensphysiologie an der HU, sagte dagegen dem Tagesspiegel, aus seiner Sicht sei die Entscheidung richtig gewesen – „um nicht die Durchführung der anderen Veranstaltungen der Langen Nacht der Wissenschaften zu gefährden“. „Genauso richtig finde ich die gleichzeitige Ankündigung, dass der Vortrag in einem anderen Format nachgeholt werden und es zu diesem Thema Diskussionen geben soll.“

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Ähnlich ist die Stimmung auch bei anderen HU-Mitgliedern. Die Absage sei „folgerichtig“, sagte ein Professor. Die Lange Nacht sei ein Publikumsevent und nicht im strengen Sinne Wissenschaft: „Man muss schon zusehen, dass das gut über die Bühne geht, und zwar für alle Beteiligten.“ Die Vorstellung, den Vortrag eventuell unter Polizeischutz durchzuführen oder Teile des Publikums auszusperren, bereite ihm Bauchschmerzen.

Von einer „insgesamt schwierigen Entscheidung“ spricht eine andere – allerdings auch in Hinblick auf einen Aspekt, der in der erregten Debatte bisher eher unterging. Schwierig sei nämlich, dass der Vortrag überhaupt ins Programm der Langen Nacht aufgenommen wurde. Dort präsentieren Wissenschaftler:innen normalerweise ihre eigenen Forschungsprojekte.

Vollbrechts Vortrag hatte aber überhaupt nichts mit ihrer Doktorarbeit zu tun – nicht einmal etwas mit dem Forschungsgebiet, in dem sie tätig ist. Sie promoviert zur Frage, wie sich Sauerstoffmangel auf die Hirnzellen von elektrischen Fischen auswirkt.

Kritik an Humboldt-Universität – „keine Frage der Wissenschaftsfreiheit“

„Das ist also keine Frage der Wissenschaftsfreiheit, denn es geht hier gar nicht um ihre Wissenschaft“, sagte ein Professor. Die HU müsse sich fragen lassen, warum sie das alles nicht vorher erkannt habe – auch, dass Vollbrecht mit ihrer „Welt“-Veröffentlichung und ähnlich scharfen Tweets offensichtlich eine politische Agenda verfolge, die sich im Thema des Vortrags niederschlug.

An sich sei die Frage, wie der biologische Forschungsstand zur Frage der Geschlechter ist, natürlich prinzipiell spannend und habe auch auf der Langen Nacht ihre Berechtigung – das stellt niemand infrage an der HU. An der Uni gebe es aber andere Forschende, die das viel besser diskutieren könnten.

Aus Sicht der Psychologie-Professorin Jule Specht hätte die HU offensiv sagen sollen, dass das vorgesehen Format des Vortrags bei der kontroversen Frage keinen ausreichenden Diskurs zugelassen hätte, den es aber unbedingt gebraucht hätte. „Insofern ist es richtig, dass es jetzt ein interaktives Format geben soll.“ Marie-Luise Vollbrecht ließ eine Gesprächsanfrage des Tagesspiegel bisher unbeantwortet.

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