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Gesicht zeigen. Die Angriffe gegen Christiane Schott und ihre Familie haben die Britzer Hufeisensiedlung verändert. Neben Nazigraffiti wie hier an einer Schule finden sich oft auch Aufkleber der „Initiative Hufeisern gegen Nazis“.

© Christian Mang

Update

Berlin: Mutters Courage

Drohungen, Pflastersteine, Brandsätze: Ihre Familie wird seit Jahren von Neonazis terrorisiert. Doch Christiane Schott aus Britz in Berlin lässt sich nicht einschüchtern.

Sie kommen auf einmal aus der Dunkelheit. „Dürfen wir mal durch“, sagen die jungen Männer mit den kurzen Haaren, sie sind so kurz, dass man besser nicht widerspricht, erst recht nicht in Neukölln. Ist ja bekannt, dass das kurze Haar nicht gerade von Linksliberalen getragen wird.

Mittwochabend in der Hufeisensiedlung Britz, eine bürgerliche Berliner Wohngegend. Es war eine Weile Ruhe. Weit mehr als ein Jahr lang, Christiane Schott hat die Tage gezählt, die Tage, an denen keine Pflastersteine in ihre Fenster flogen, kein Briefkasten gesprengt wurde, keine Nazipamphlete vor der Tür lagen. Und dann kommt der Winter mit seinem Schnee, und als sie an einem Morgen ihr Auto freikratzen will, steht dort geschrieben: „Juden vergasen!“ und gleich daneben ein Hakenkreuz.

Geht das jetzt wieder alles los?

Draußen ist es kalt. Einer von den jungen Männern mit den kurzen Haaren drückt sich in den Hauseingang nebenan, der andere hält Abstand auf der Straße, beide beobachten die vielen Menschen. Alte Leute und Familien mit Babys, Frauen und Männer und Jungen und Mädchen, sie tragen Kerzen und Fackeln und ein Transparent, auf dem steht: „Hufeisern gegen Rechts!“ Gut 100 Menschen haben sich zu einer Solidaritätsandacht versammelt. Die Nachricht vom Hakenkreuz hat schnell die Runde gemacht.

Christiane Schott ist eine berühmte Frau, nicht nur hier in Britz. Der RBB hat einen Film über sie gedreht, er heißt „Terror im Kiez“ und dokumentiert eindrucksvoll den Kampf einer mutigen Frau. Anders als die Neonazis verdeckt Christiane Schott vor der Kamera nicht ihr Gesicht. Das war ein weiter und schwerer Weg, er hat ihr Anerkennung und Bewunderung eingebracht. Aber sie gäbe einiges darum, diese Berühmtheit loszuwerden. Ganz normal zu sein. Haus, Terrasse, Garten.

Wer sie besucht in ihrem roten Eckhaus in der Hufeisensiedlung, schaut erst einmal ein bisschen irritiert auf den Vorgarten. Blumentöpfe und Feldsteine und Gießkanne und anderes Allerlei stapelt sich rund um die Treppe zur Haustür, es sieht ein bisschen chaotisch aus, aber genauso soll es sein.

Weiter vorn steht ein Polizeiauto mit Blaulicht und versperrt den Zugang zur Onkel-Bräsig-Straße. Ein Nachbar hat die Demonstration angemeldet und mit 30 Teilnehmern kalkuliert. Es kommen viel mehr, nicht nur aus der Hufeisensiedlung, sie bevölkern Gehweg und Fahrbahn. Es ist kalt, aber Christiane Schott lässt ihre Haustür weit offen stehen. Sie ist nicht die Gastgeberin, sie hat auch nicht eingeladen, aber natürlich geht es um sie. Über ihre Familie redet sie nicht gern. Sie hat schon genug gelitten. Unter dem, was sie, Christiane Schott, in einer Sekundenentscheidung beschlossen hat.

Die Töchter können es nicht mehr hören. „Mama, bitte nicht schon wieder!“

Diese Geschichte spielt nicht in Vorpommern oder Hoyerswerda, sondern mitten in Berlin. Im alten West-Berlin. Das passt zu einer gerade vorgestellten Analyse des Bundesinnenministeriums, nach der Gewaltverbrechen mit rechtsextremem Hintergrund keineswegs vor allem in den ostdeutschen Bundesländern verübt werden. Zwar wird rechte Gewalt im Osten immer noch verharmlost, aber auch der Westen hat ein massives Neonaziproblem. Davon ahnt Christiane Schott nichts, als die Familie im Frühjahr 2011 nach Britz zieht – „früher in Kreuzberg, da kannten wir keine Nazis, die kamen in unserer Welt einfach nicht vor“.

August 2011. In ein paar Wochen wird das neue Berliner Abgeordnetenhaus gewählt. Christiane Schott werkelt im Vorgarten. Später Vormittag, die Sonne scheint, und dann kommen da die Männer die Straße entlang, sie passen nicht so recht in die Puppenstubenatmosphäre. Die Männer verteilen Flyer der NPD und tragen Kapuzenpullis, bis auf diesen einen, der zu Christiane Schotts Briefkasten will und… Stopp! „Ich will das nicht!“ Der Mann sagt: Doch! Christiane Schott sagt: Nein! So geht das eine Weile hin und her, es wird laut. Am Ende liest der Mann ihren Namen laut am Türschild vor, er grölt über die Straße zu seinen Spießgesellen: „So, so, Frau Schott“, und dann: „Sie werden noch von uns hören!“

Christiane Schott ist erst mal froh, dass die Leute weg sind. Aber sie ahnt schon, dass etwas Unheilvolles in Gang gesetzt worden ist. Sie fährt noch am selben Nachmittag zur Polizei und erstattet Anzeige. Und jetzt geht es erst richtig los. In der Nacht gibt es einen ersten Gruß, die Schotts sehen ihn erst morgens: ein NPD-Plakat direkt vor ihrer Tür.

Idioten! So versucht die Familie es abzutun. Aber die Idioten kommen wieder. Immer, wenn es dunkel wird. Beim ersten Mal fliegen im November 2011 Pflastersteine in die Fenster, ein halbes später explodiert der Briefkasten. Im Oktober 2012 richtet ein Brandsatz nur deshalb keinen schweren Schaden an, weil die Schotts ihre Fenster mittlerweile mit Gittern verbarrikadiert haben. Einmal, Christiane Schott und ihr Mann sind gerade nicht zu Hause, klingeln die Nazis an der Tür. Die Töchter machen auf und werden überzogen mit einem Schwall von Beleidigungen, die Scheibe an der Haustür geht zu Bruch. Die Mädchen flüchten zum Nachbarn. Der Nachbar nagelt von innen Pappe gegen die Wand.

„Was willst du dagegen machen?“, fragt Christiane Schott.

Das Fenster ist längst repariert, aber der große schwarze Fleck vom Brandanschlag ist an der Hausfassade geblieben. Christiane Schott balanciert ein Tablett mit Tassen über den festgetretenen Schnee, sie hat Glühwein gekocht. Ein Nachbar hält eine kurze Rede, er ruft: „Das war kein Dummerjungenstreich!“ und: „Liebe Familie Schott, ihr seid nicht allein!“

Aber was wird, wenn die Dunkelheit kommt? Die Unsicherheit lässt sich nicht so leicht abschütteln. „Natürlich habe ich Angst“, sagt Christiane Schott. Die Töchter, 16 und 18 Jahre alt, fühlen sich in Britz nicht willkommen, sie wollen zurück zu den alten Freunden nach Kreuzberg. Christiane Schott sagt, das könne sie verstehen. Aber das Haus ist längst noch nicht abbezahlt. Und sie will sich nicht vertreiben lassen wie das Paar aus Hoyerswerda, das von rechten Schlägern so schwer drangsaliert wurde, dass es aus ihrer Nachbarschaft flüchtete und heute anonym in einer Großstadt lebt. Die Schläger sind gerade zu lächerlichen Bewährungsstrafen verurteilt worden.

„Mich werden die nicht mehr los“, sagt Christiane Schott. Britz soll, Britz darf kein Hoyerswerda werden.

Der rechte Terror gegen die Familie Schott hat die Hufeisensiedlung verändert. Die Menschen rücken näher zusammen. Nazi-Aufkleber, die früher unbeachtet an Laternen kleben durften, werden jetzt regelmäßig abgekratzt. Eine Bürgerinitiative hat sich gebildet, sie trifft sich einmal im Monat und ist auf gut 50 Mitglieder angewachsen. Vor ein paar Monaten haben sie eine Informationsveranstaltung für das in Britz geplante Flüchtlingsheim organisiert, um dem rechten Mob zu zeigen, dass er hier nicht willkommen ist. Und natürlich haben sie auch diese abendliche Andacht vor dem roten Eckhaus an der Onkel-Bräsig-Straße organisiert.„Ohne diese Leute hätte ich das alles nicht geschafft“, sagt Christiane Schott.

Die Hufeisensiedlung ist in den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts gebaut worden und stand nie im Verdacht, ein Nazi-Nest zu sein. Der Maler Heinrich Vogeler hat hier gewohnt, bevor er sich ins sowjetische Exil begab. Hanno Günther, der als Schüler im Untergrund gegen die Nazis kämpfte, bis sie ihn in Plötzensee unters Fallbeil zerrten. Und, der bekannteste, Erich Mühsam, den die braunen Schergen gleich nach dem Reichstagsbrand aus seinem Haus in der Dörchläuchtingstraße verschleppten und in Oranienburg zu Tode prügelten. Ein Gedenkstein erinnert heute an ihn, und die Nazis der Neuzeit beschmieren ihn besonders gern mit Farbe.

Mit der U-Bahn sind es nur ein paar Stationen von der Hufeisensiedlung bis Rudow im äußersten Süden Neuköllns. Rudow gehört neben Schöneweide, Lichtenberg und Marzahn zu den Hochburgen der Berliner Neonazis, man sieht sie dort öfter aufmarschieren. Die Berliner Polizei zählte im vergangenen Jahr 72 Gewaltdelikte mit rechtsextremem Hintergrund. 19 mehr als im Jahr davor.

Natürlich hat die Familie Schott gehofft, es würde irgendwann mal Schluss sein mit dem Terror. Wird irgendwann mal Schluss sein? Schulterzucken. Die Polizei sagt, sie könne zu dem Fall leider nichts sagen. Christiane Schott holt einen Stoß Papier hervor. Die Strafanzeigen, die sie nach jedem Anschlag gestellt hat. Alle Verfahren werden mangels hinreichend Tatverdächtiger eingestellt. Sie schaut sich Fotos stadtbekannter Nazis an und findet doch nicht den Mann, mit dem sie im August 2011 die schicksalhafte Begegnung vor ihrem Briefkasten hatte. Einmal tritt sie bei einer Kundgebung in der Gropiusstadt auf. Der RBB hat mit der Kamera festgehalten, wie sie ihren Fall vorträgt. „Auf unser Haus wurden vier Anschläge verübt. So gehen Sie mit Leuten um, die nein sagen. Finden Sie das demokratisch?“ Das Publikum brüllt sie nieder, zum Abschied zischt ihr ein hoher NPD-Funktionär zu: „Passen Sie mal auf, dass Ihnen auf dem Heimweg nichts passiert!“

Nach einer guten halben Stunde löst sich die Prozession vor dem roten Eckhaus langsam auf. Christiane Schott sammelt die leeren Glühweintassen ein und bemüht sich, jedem zum Abschied die Hand zu schütteln. Als Letzte verschwinden die jungen Männer mit den kurzen Haaren in der Dunkelheit. Zeit für eine Patrouille für die beiden Zivilpolizisten, sie begleiten Christiane Schott jetzt seit gut zwei Jahren.

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