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Die Berliner Polizei war am Sonntag an mehreren Orten im Einsatz, ermahnte und löste Menschenansammlungen auf.

© Christophe Gateau/dpa

Mutationen und strittige Öffnungsstrategie: Frühling in Berlin und keine Entspannung der Pandemie in Sicht

Die Infektionszahlen stagnieren, die Gesundheitssenatorin warnt vor der Mutation, Ärzte wollen ein Warnsystem: die Corona-Lage in Berlin bleibt angespannt.

Im Bürgerpark Pankow drängen sich am Sonntagnachmittag die Menschen, Kindergeschrei, Fahrradausflugsgrüppchen. Im Mauerpark sind laut Polizei mehrere Tausend Besucher unterwegs. Viele trinken das erste Frühlingsbier. Am Nachmittag räumen Polizisten die Liegewiese, nachdem sie vorher nur patrouilliert sind und dafür gesorgt haben, dass der Alkohol verschwindet – das Konsumverbot gilt weiterhin in allen Parks.

Gleichzeitig scheint das Sinken der Infektionszahlen gebremst – kurz bevor die 50er Marke erreicht ist und Lockerungen in Aussicht scheinen. Am Sonntag meldete das Robert-Koch-Institut (RKI) den höchsten Wert an Neuinfektionen seit Wochen. Binnen einem Tag wurden 7676 Neuinfektionen in Deutschland gemeldet. Auch die Zahl der Infektionen in Berlin lag am Wochenende deutlich über den Zahlen der Vorwoche. Die Die Sieben-Tage-Inzidenz stieg leicht auf 56,5.

Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) zeigte sich deshalb besorgt. Sie sagte dem Tagesspiegel: „Die Mutationen sind auf dem Vormarsch. Dadurch wird die bisher sinkende Inzidenz abgebremst.“ Kalayci mahnte auch angesichts der vielen Menschen auf den Straßen und in den Parks der Stadt zu „großer Vorsicht“.

Vergangene Woche wurde im landeseigenen „Labor Berlin“ nach Informationen des Tagesspiegel schon bei 28 Prozent der auf Mutationen getesteten Fälle die Variante B.1.1.7 nachgewiesen. Die südafrikanische Mutation kommt in Berlin bislang kaum vor. Nur fünf Prozent der Positiv-Fälle werden aber überhaupt sequenziert.

Die zwölf Berliner Amtsärzte haben sich nun mit einem Schreiben an den Senat gewandt, in dem sie eine Abkehr von der bisher kolportierten Öffnungsstrategie fordern. Es sei „nicht zielführend, Eindämmungsmaßnahmen an Inzidenzen von 20/35/50“ zu koppeln, heißt es in der Stellungnahme, die dem Tagesspiegel exklusiv vorliegt.

Gesundheitssenatorin Kalayci (SPD) mahnte zu Vorsicht angesichts der sich ausbreitenden Virusmutation.
Gesundheitssenatorin Kalayci (SPD) mahnte zu Vorsicht angesichts der sich ausbreitenden Virusmutation.

© Michael Sohn/dpa

„Diese Inzidenzen bilden nicht das wirkliche Infektionsgeschehen ab“, schreiben die Amtsärzte. Sie seien unter anderem von Testkapazitäten und dem Testwillen der Menschen abhängig. „Dadurch kommt es zu Schwankungen, die nicht die infektiologische Lage widerspiegeln.“ Es sei ein Unterschied, ob Inzidenzen durch Cluster-Ausbrüche oder breite Durchseuchung zustande kämen und auch, welche Altersgruppen infiziert seien.

Stattdessen schlagen die Amtsärzte vor, Maßnahmen nach den möglichen Konsequenzen einer Erkrankung auszurichten. Sie wollen „intensive Maßnahmen der Infektionsprävention“ für Alte und Kranke und gleichzeitig eine Abmilderung der Maßnahmen für andere Gruppen, wie Schulkinder. Es soll deshalb in Zukunft eine nach Alterskohorten ausgerichtete Inzidenzanalyse als „Frühwarnsystem“ geschaffen werden.

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Die zwölf Ärzte, die seit fast einem Jahr an vorderster Front gegen die Pandemie kämpfen, kritisieren die von Forschern erarbeiteten „NoCovid“-Strategien. „Das Konzept einer Zero-Covid-19-Strategie wird abgelehnt“, schreiben die Amtsärzte in dem Papier, das am Wochenende an die Senatskanzlei verschickt wurde.

„Solch ein rein theoretischer Modellieransatz wird den Lebenswirklichkeiten nicht gerecht.“ Aus dem Kreis der Amtsärzte hieß es, dass diese Modelle andere Fragen der öffentlichen Gesundheit völlig außer Acht ließen.

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Derweil entspannt sich die Situation auf den Intensivstationen nur langsam, Intensivmediziner warnen deshalb vor zu frühen Lockerungen. Es werden immer noch deutlich mehr Covid-19-Patienten behandelt als auf dem Höhepunkt der ersten Pandemiewelle. „Das Personal in den Krankenhäusern ist nach monatelangem Durcharbeiten erschöpft, ein erneuter Anstieg der stationären Fallzahlen wäre deshalb gefährlich“, sagt Intensivmediziner Jörg Weimann. Er hat für Berlin das Pandemiekonzept mitentworfen, wonach Intensivstationen drei „Levels“ zugeteilt werden.

Als Level I behandelt die Charité die schwersten Corona-Fälle. „Die sogenannte Herdenimmunität ist noch lange nicht erreicht, es werden sich bei Lockerungen also wieder massenhaft Menschen infizieren“, sagt Weimann. Die britische Corona-Variante B117 sei „so hoch ansteckend“, dass das schneller ablaufe als bislang. „Das bedeutet, es käme eine dritte Welle auf uns zu.“ Am heutigen Montag kehren die Klassen eins bis drei in die Schulen zurück. Das Wetter bleibt warm.

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