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Institution in Flammen. Musik-Bading war eines der letzten Traditionsgeschäfte an der Neuköllner Karl-Marx-Straße.

© Christophe Gateau/dpa

Musikhaus Bading in Berlin-Neukölln: Eine Familie kämpft um ihr Traditionsgeschäft

In der Silvesternacht vor einem Jahr ging das Musikhaus Bading in Neukölln in Flammen auf. Die Eigentümer wollen wieder eröffnen. Doch der Weg ist schwierig.

Musik-Bading verkaufte schon Notenblätter und Schellackplatten, bevor Neukölln ein Bezirk Berlins wurde. 1919 eröffnete Erich Otto Bading, nachdem er aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt war, den Musikladen in der heutigen Karl-Marx- Straße 186. Damals war Neukölln noch eine eigenständige Stadt und hatte sieben Jahre zuvor erst den verpönten Namen Rixdorf abgelegt – hörte man Rixdorf, dachte man an Eskapaden, Arbeitslosigkeit und Sozi-Hochburg. Bading brachte damals Kultur nach Neukölln: Wo seine Eltern zuvor eine Eckkneipe betrieben, hieß es fortan für fast 99 Jahre: „In Rixdorf ist Musike“ – im kultivierten Sinne.

Doch seit einem Brandanschlag mit Böllern in der vergangenen Silvesternacht ist es still geworden im ältesten Musikgeschäft Neuköllns. Aus einer 50-köpfigen Gruppe sollen zwei Angreifer die Tür eingeschlagen und Pyrotechnik in das Geschäft geworfen haben, die ein Feuer auslöste. Die Berliner Staatsanwaltschaft nahm daraufhin die Ermittlungen wegen schwerer Brandstiftung auf. Mittlerweile sind ihr mehrere mutmaßliche Täter namentlich bekannt, wie ein Sprecher mitteilt. Einer der Täter soll demnach aus einer Neuköllner Clanfamilie stammen. Die Ermittlungen laufen noch, zu einer Anklage kam es noch nicht.

Frank Zander kaufte hier seine erste Gitarre

Der Verlust traf die Eigentümerfamilie schwer. Auch viele Neuköllner konnten das Ende der Ära Bading nicht fassen. Sie organisierten noch am Neujahrstag eine spontane Solidaritätsdemo auf der Karl-Marx-Straße. Betroffene klebten Zettel an die Wände des Hauses, um ihr Mitgefühl auszudrücken. Franziska Giffey, damals noch Bezirksbürgermeisterin, sicherte der Familie ihre Unterstützung zu. Auch aus der Bevölkerung kamen Hilfsangebote. Warum der Anschlag die Menschen so bewegt? Ein Blick in die Geschichte zeigt: Über die Jahre hat das Musikhaus sich zu einer Institution entwickelt, die dieses Titels würdig ist.

So wurde das Geschäft mit seinem breiten Sortiment nicht nur Anlaufstelle für Musikbegeisterte aus ganz Berlin: Erich Bading schaffte es in den zwanziger Jahren als Konzertveranstalter, Dirigenten der Staatsoper und der Berliner Philharmoniker zu Aufführungen in das Arbeiterviertel zu holen. Er war eine angesehene Figur im bürgerlichen Milieu, sein Name bekannt. Der Opernsänger Richard Tauber und der Dirigent Wilhelm Furtwängler zählten zu seinen Freunden.

Im Keller des Musikhauses, in den sogenannten Vorführräumen, zeigte er seinen Kunden Grammophone, später Plattenspieler. Spielte Schellackplatten, später PVC-Platten ab. Nach dem Krieg eröffnete Bading eine Theater- und Konzertkasse. Als der Gründer 1952 verstirbt, reihen sich Tausende Menschen in den Trauerzug durch Neuköllns Straßen. Die Witwe Hildegard Bading übernahm danach das Geschäft. Trotz der finanziellen Einbußen überlebte es auch die Konkurrenz durch Elektronikketten in den folgenden Jahrzehnten. Der Musiker Frank Zander kaufte hier seine erste Gitarre.

Haus mit Geschichte. Fast 100 Jahre lang war das Musikhaus Bading eine wichtige Berliner Adresse für Musiker und Musikbegeisterte.
Haus mit Geschichte. Fast 100 Jahre lang war das Musikhaus Bading eine wichtige Berliner Adresse für Musiker und Musikbegeisterte.

© Mike Wolff

Nach dem Mauerfall bekommt das Geschäft einen Aufschwung, auch wenn nur kurzzeitig. Nichtsdestotrotz betrieb die Familie ihr Musikhaus weiter, bis Ende 2017 an vier Tagen die Woche. Da ihr das Haus gehört, konnten auch die explodierenden Mieten dem Geschäft nichts anhaben. Die Aufwertung Neuköllns brachte sogar Neukunden: Vinylaffine Hipster. Musik-Bading war eine Konstante in einem sich ständig ändernden Kiez.

Die Brandsanierung kommt nur langsam voran.

Heute, ein Jahr nach dem Brandanschlag, steht das Geschäft leer. Rundherum spielt sich der ganz normale Neuköllner Trubel ab. Seit einigen Tagen wird wieder geböllert. Der Schriftzug „Musik-Bading“ auf der Fassade des Hauses wurde abmontiert, das Feuer hatte die Leuchtbuchstaben verbogen. Kurz nach der verheerenden Silvesternacht war die Zukunft des Hauses unklar, doch schon Ende Januar beschloss die Inhaberfamilie, das Haus wiederaufzubauen. Von einer Wiedereröffnung im Spätsommer 2018 war die Rede.

Doch trotz der vielen Hilfsangebote gestaltet sich das Vorhaben schwieriger als gedacht – von der emotionalen Belastung für die Familie ganz zu schweigen. Jene ist auch ein Grund, weshalb ihr die öffentliche Aufmerksamkeit unangenehm ist. Sie erinnere jedes Mal wieder an den Verlust. Noch ein Grund – auch dafür, dass niemand mit Namen genannt werden möchte – sind eine Vielzahl an Kaufangeboten seit dem Brand. Belastend und aufdringlich seien die Anrufe von Interessenten.

Aber verkaufen möchte die Familie das Haus keinesfalls. Der Plan, es wiederaufzubauen, besteht weiter. Wann man wiedereröffnen könne, sei jedoch schwer zu sagen. Der Brand hat auch die Etage über dem Laden beschädigt. „Das Musik-Bading wird immer öffentlich genannt. Aber das Feuer hat nicht nur die Tradition zerstört, sondern das komplette Gebäude an sich“, erklärt die Eigentümerfamilie. Und Handwerker mit freien Kapazitäten sind rar in der Stadt. Deshalb kommt die beauftragte Brandsanierungsfirma nur langsam voran.

Von dem Gedanken, dass das Musikhaus wieder so aussehen könnte, wie vor dem Feuer, müsse man sich verabschieden. „So baut kein Tischler mehr Regale, so einen Verkaufstresen fertigt niemand mehr an. Das kann niemand zu einem bezahlbaren Preis nachbauen“, erklärt ein Mitglied der Eigentümerfamilie. Einen kleinen Schritt nach vorne ging es dieses Jahr aber schon: Die Decke im ersten Stock des Hauses wurde im Spätsommer geschlossen. All die Widrigkeiten können die Familie nicht um ihre Hoffnung bringen: „Wir glauben fest daran, dass wir es schaffen.“ Hilfe möchte die Familie nicht annehmen. Sie will es aus eigener Kraft schaffen.

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