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Menschen mit Maske in verzerrtem Bild.

© imago images/Jochen Eckel

Mund-Nasen-Schutz in Bus und Bahn: Gehasst oder vergessen? Warum Berliner die Maskenpflicht missachten

Die Coronavirus-Infektionen steigen wieder, trotzdem wird die Maskenpflicht immer nachlässiger gehandhabt. Das sagen Berliner ohne Stoff im Gesicht dazu.

Die Wagentür der S1 öffnet sich am S-Bahnhof Friedenau. 10.30 Uhr. Eine Mittfünfzigerin steigt zu. Sie trägt einen Mund-Nase-Schutz und ranzt gleich den Arbeiter in Latzhose an, der an einer Trennwand lehnt: „Auch Du kannst 'ne Maske tragen, Penner!“ Der schwere Mann rührt sich nicht, schaut verlegen zur Seite. Die Frau schimpft vor sich hin, lässt sich am anderen Ende des Waggons nieder. Neuer Berliner Alltag.

Seit die Maskenpflicht Ende April eingeführt wurde, scheinen die Meinungen dazu immer weiter auseinanderzugehen. Die Akzeptanz für die Pflicht sinkt wöchentlich. Anfangs trugen laut der BVG noch mehr als 95 Prozent der Fahrgäste einen Mund-Nasen-Schutz, mittlerweile sind es in U-Bahnen nur noch etwas mehr als 70 Prozent.

Die Berliner scheinen sich in drei Gruppen aufzuteilen: Die Missionare, jene also, die Masken tragen und andere auf die Pflicht hinweisen. Die Pflichtschuldigen, die das Masketragen hinnehmen. Und die Gefährder, denen die Maskenpflicht so lästig oder uncool ist, dass sie darauf verzichten. Weil die Gefährder mehr werden, hat der Senat kürzlich beschlossen, die Maskenpflicht hin und wieder zu kontrollieren und Verstöße mit einem Bußgeld zu bestrafen. Und die Berliner?

Am Mittwochabend verweigerte der Sicherheitsdienst eines Ladens für Elektrotechnik in Reinickendorf einem 18-Jährigen mehrfach den Zutritt ohne Mund-Nasen-Schutz, ruft letztlich die Polizei. Der junge Mann bedroht die Beamten, schreit sie an, schlägt bei der Festnahme um sich. Zwei Polizisten werden leicht verletzt.

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Eine mögliche zweite Welle? Den Maskenmuffeln ist das egal

Seit Anfang Juni hat eine Bäckerei in Pankow ein Schild am Eingang hängen: „Ich bin sehr traurig und erschrocken: Immer häufiger werden meine Kolleginnen hier im Verkauf von Kunden angegangen, beschimpft und persönlich beleidigt.“ „Warte mal ab, bis du Feierabend hast“, sagte die Chefin dem Tagesspiegel, so sei einer Mitarbeiterin gedroht worden.

Sie hatte um das Aufsetzen der Maske gebeten. Während sich die Mehrheit der Berliner noch an die Pflicht hält, werden diejenigen größer, lauter, aggressiver, die sich nicht daran halten wollen.

Teltower Damm, Zehlendorf, 12 Uhr. Bei Rewe in der Clayallee sagt die Verkäuferin: „Die, die keine Maske tragen wollen, haben keine Argumente, sie haben nur keine Lust.“ Sie müsse ständig diskutieren, „das nervt“, sagt die Verkäuferin, „wir finden das ja auch nicht gut, acht Stunden mit dem Ding hier zu stehen.“

Neben ihr an der Selbstbedienungskasse ist ein Mann, der die Maske unterm Kinn hängen hat: „Bitte setzen Sie sofort ihre Maske auf“, ruft eine Kollegin in scharfem Ton.

[Mehr zum Thema: Rücksichtslos in der Bahn – Maskenverweigerer, Ihr seid asozial]

Beim Friseur gegenüber: „Manche erfinden sogar Ausreden“, sagt eine Angestellte. Erst am Morgen habe eine Kundin behauptet, sie hätte ein Attest, müsse keine Maske tragen. Die Angestellte habe sie gebeten, wenigstens ein Tuch oder den Ärmel vor den Mund zu halten, „die ist einfach wieder gegangen“. Einige Straßen weiter in einer Zehlendorfer Apotheke.

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Die älteren Leute, sagt die Apothekerin, argumentierten, dass sie mit Maske schlechter Luft bekommen, die Jüngeren „diskutieren nicht, sondern tun so, als sei das einfach ihr Recht, sich so zu verhalten“. Bei ihr gelte: Wer ohne Maske kommt, muss raus. Wohl ist ihr nicht beim Gedanken an die kommenden Monate, „die zweite Welle kommt gerade, die Menschen wollen das nicht sehen“.

Händeklatschen, Begrüßungsfreude, aber keine Maske

13.18 Uhr, S 1, auf dem Bahnsteig am Botanischen Garten sitzen zwei Halbstarke. Haargel, Nike-Sneaker, Sonnenbrillen, keine Masken. „Vergessen.“ Sie betreten die Bahn ins Zentrum.

13.21 Uhr, selbe S-Bahn: „Man muss nicht alles glauben, was in den Medien erzählt wird“, sagt ein dünner Lockenkopf. „Sie glauben nicht im Ernst, dass der Staat das alles macht, weil er uns vor einer Krankheit schützen will?“

13.35 Uhr, einige Stationen weiter. Zu den zwei Halbstarken setzt sich ein Mann mit Basecap. Händeklatschen, große Begrüßungsfreude. Maske trägt er nicht. Vergessen? „Ne, ich mach' das nicht mehr, war zu nervig.“

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Gesundbrunnencenter, Wedding. Früher Nachmittag, die Hitze drückt. Außer einigen Jugendlichen tragen hier alle eine Maske. An den Eingängen des Einkaufskomplexes weisen Schilder auf die Pflicht hin. Beim Bäcker am Gleis sieht es schon anders aus. Zehn Personen gehen rein, bei acht von ihnen hängt die Nase frei raus. Das „Bitte Maske tragen“-Schild wird ignoriert, die Abstandsmarkierungen auf dem Boden auch.

Blitzumfrage: Olga, Ende 30, gelbes T-Shirt, hat ihre Maske sogar in der Hand. „Ich habe es einfach vergessen.“ Großer Stress. „Mein Fehler.“ Die blonde Frau, etwa 40 Jahre alt, mit Brille auf der Nase, Maske unterm Kinn, sagt: „Ich hatte die Maske ja zuerst an. Aber durch die Plexiglasscheibe hat die Verkäuferin mich kaum verstanden.“ Caroline, 26 aus Pankow: „Ich dachte, weil die Bäckerei so offen ist, braucht man sie nicht.“

„Nur zehn Prozent tragen hier Maske“

Ivo, 31, hat das Schild nicht gesehen, die Maske aber dabei, sagt er. Filialleiterin Nicole Schmitz, 39: „Nur zehn Prozent tragen hier eine Maske. Und es werden jeden Tag weniger.“ Was sie davon hält? „Ich kann es nicht ändern. Bevor ich mich hier schlagen lasse, sage ich lieber nichts.“

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Südkreuz, Berliner Spätnachmittag. Viele Fahrgäste, die man anspricht, reagieren aufgeschlossen, geben gern Auskunft. Da ist der Mann, der sagt, er habe seine Maske an diesem Tag „ausnahmsweise“ vergessen. Und der, der behauptet, er würde „selbstverständlich Maske tragen“. Aber erst dann, wenn alle anderen es auch täten.

Es fällt auf, dass sich Frauen eher an die Maskenpflicht zu halten scheinen als Männer. Einer sagt noch, er glaube nicht daran, dass es einen großen Unterschied mache, ob er sich nun „an diesem Zirkus“ beteilige. Missionare sind keine in Sicht. (Selina Bettendorf, Hannes Heine, Sebastian Leber, Armin Lehmann, Julius Betschka)

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