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In diesem Haus soll Jan G. seine Großmutter umgebracht haben.

© dpa/Patrick Pleul

Müllrose in Brandenburg: Die Akte des Jan G.

Er war schizophren, gewalttätig, nahm Medikamente und Crystal Meth – und blieb in Freiheit. Jetzt sind drei Menschen tot. Ein neuer Gutachter soll den 24-jährigen Jan G. noch einmal untersuchen.

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Jetzt soll ein neuer Gutachter ran. Nach den von Jan G. eingeräumten Morden an seiner 79-jährigen Großmutter und den beiden Polizisten im brandenburgischen Landkreis Oder-Spree will die Staatsanwaltschaft die Schuldfähigkeit des 24-Jährigen erneut prüfen lassen. Am Mittwoch hatte das Amtsgericht Frankfurt (Oder) die Unterbringung in eine geschlossene Psychiatrie angeordnet. Die in einem Prozess gegen G. im November vor dem Landgericht Frankfurt (Oder) wegen anderer Straftaten festgestellte Schuldunfähigkeit könne für die Tötungsdelikte am Dienstag nicht übernommen werden, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder).

„Wir müssen wissen, ob es Anhaltspunkte dafür gibt, ob er nicht möglicherweise vermindert schuldfähig war“, sagte er. Dabei geht es auch um die Frage, ob G. weiter in der forensischen Klinik in Brandenburg/Havel bleibt oder Untersuchungshaft beantragt werden muss.

G. war wegen Schizophrenie in Behandlung

Gegen G. wird wegen Mordes ermittelt. Er hat in Müllrose nach einem Streit um Geld zunächst seine Großmutter getötet und dann in Oegeln bei Beeskow an einer Straßensperre nach neuen Erkenntnissen mit mindestens Tempo 150 zwei Polizeibeamte überfahren. Der neue Gutachter soll auch prüfen, welche Folgen der Drogenkonsum des 24-Jährigen auf die Wirkung seiner Medikamente hatte. Der Mann war wegen Schizophrenie in Behandlung und bekam Mittel, die die schwere psychische Erkrankung eindämmen sollten. Daneben nahm er regelmäßig Crystal Meth.

Fraglich ist auch, wie gerichtsfest die Aussagen von G. in seiner ersten Vernehmung sind – wegen seiner Schizophrenie. So ist nicht klar, ob der Mann die Beamten überfahren hat, weil er Angst hatte erschossen zu werden – oder ob er gehofft hatte, erschossen zu werden.

Gutachter bescheinigte Therapierbarkeit in Freiheit

Auf den Gutachter, der G. im November 2016 vor dem Landgericht bescheinigte, er könne auch in Freiheit behandelt werden und müsse nicht in die Psychiatrie, will die Staatsanwaltschaft diesmal aber verzichten. Bereits bei der Entscheidung der 3. Strafkammer des Landgerichts war sein Gutachten veraltet. Er hatte es im März 2016 eingereicht. In dem Verfahren ging es um mehrere Vorwürfe: schwerer Diebstahl, versuchter Raub, Bedrohung von Nachbarn und seiner Mutter, Körperverletzung und mehr. Der Mann war als Gewalttäter und Drogenkonsument bekannt, er saß bis Juli 2014 eine Jugendstrafe von eineinhalb Jahren ab – wegen gefährlicher Körperverletzung und Drogenbesitzes.

Aufgrund dieser Karriere beantragte die Staatsanwaltschaft die Einweisung in die Psychiatrie. Das Gericht folgte dem, setzte die geschlossene Unterbringung allerdings unter Auflagen zur Bewährung aus, weil der Gutachter empfahl, die Therapie sei auch in Freiheit möglich.

Verletzung der Bewährungsauflagen blieb ohne Konsequenzen

Das war ein Trugschluss. Als die Entscheidung rechtskräftig war, wurde G. mit Drogen erwischt und fuhr ohne Fahrerlaubnis – ein klarer Verstoß gegen die Bewährungsauflagen. Das Gericht sah aber keine „Voraussetzungen für einen Widerruf der Aussetzung zur Bewährung“. Ein Gerichtssprecher erklärte am Donnerstag, dass der Vorgang „eine Gesamtwürdigung erfordert“. Weitere Erkenntnisse lägen nicht vor. Die Auswahl eines Gutachters sei Sache der Kammern in ihrer richterlichen Unabhängigkeit.

Gleiches gelte für die Überwachung der Bewährung im Einzelfall. Sachverständige sollen dem Gericht bei der Entscheidungsfindung helfen. Wegen der richterlichen Unabhängigkeit hat das Gericht aber jederzeit die Möglichkeit, Gutachten auch zu ignorieren. Die Arbeit des Sachverständigen vollzieht sich in der Regel in zwei Stufen. Erst untersucht er den Beschuldigten und erstellt ein vorläufiges Gutachten.

Kommt es zum Strafprozess, so sitzt der Sachverständige die ganze Zeit mit in der Verhandlung, um seine Eindrücke zu vervollständigen; deswegen wird ein Prozess mit Sachverständigen auch schnell sehr teuer. Der Gutachter hat zudem ein eigenes Fragerecht, etwa an die Zeugen. Für das Gericht ist der Paragraph 63 des Strafgesetzbuches maßgebend.

Demnach ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen hat, von ihm infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Es handelt sich um eine Prognoseentscheidung. Dabei hilft dem Gericht der Gutachter; Prognosen können aber auch falsch sein. In der Vergangenheit hat es bereits Debatten gegeben, ob Gutachter zu streng oder zu lasch sind und Menschen daher zu ausufernd psychiatrisiert werden, oder ob das Gegenteil der Fall ist. Der Mensch hat sich als unberechenbar erwiesen.

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