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Unter den vielen Orten, an denen jetzt Konsulatslehrer arbeiten, ist auch die prächtige Neuköllner Sehitlik-Moschee. Der Trakt mit den Unterrichtsräumen befindet sich rechts von der eigentlichen Moschee.

© Mike Wolff

Moschee statt Schule: Türkischunterricht jetzt auch im Gotteshaus

Unbemerkt von der Öffentlichkeit baut Ankaras Botschaft Sprachangebote in Moscheeräumen aus. So will sie ihren Einfluss auf Schüler sichern. Eine Spurensuche.

Die Dame am Telefon des Türkischen Generalkonsulats muss nicht lange überlegen, wenn man sie nach Türkischkursen für Kinder fragt. Ob es da was in der Nähe des Charlottenburger Schlosses gäbe? Aber gern: Da wäre zum Beispiel die Osman-Gazi-Moschee in der Nehringstraße. Und Kreuzberg? Na klar. Die Mevlana-Moschee ist doch da um die Ecke. Neukölln? Da sei doch die Sehitlik-Moschee sehr schön. Und kann man die Liste aller Angebote schriftlich haben? Nein.

Das kurze Gespräch ist ebenso freundlich wie verstörend: Warum preist das türkische Konsulat Sprachkurse in Moscheen an? Noch dazu von Vereinen, die nicht zur staatlichen Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib) gehören, sondern zur Islamischen Föderation oder gar zum Verein Milli Görüs, der vom Verfassungsschutz beobachtet wird? Und welche Rolle spielen dabei die staatlichen türkischen Konsulatslehrer, die seit 2018 aus Berlins Schulen verdrängt werden?

Es dauert fast einen Monat, um Antworten zu bekommen und dazu den Eindruck, dass die Senatsverwaltung für Bildung ihre Hausaufgaben nicht macht. Um zu verstehen, was da gerade passiert, muss man zurück ins Jahr 2016 gehen: zum gescheiterten Putschversuch in der Türkei und den undemokratischen Umtrieben, den Massenverhaftungen und -entlassungen, die dann folgten: Einzelne Bundesländer, darunter Berlin, fingen damals an, den staatlichen türkischen Konsulatsunterricht an ihren Schulen kritisch zu sehen.

Die sichtbarste Folge: Hamburg und Berlin begannen 2017 mit dem Aufbau eigener Angebote für den Türkischunterricht, das Saarland warf die türkischen Konsulatslehrer im Februar 2019 komplett raus.

Besonders einschneidend sind die Veränderungen in Berlin, einer ehemaligen Hochburg des Konsulatsunterrichts: Von früher weit über 100 Grundschulen, an denen Konsulatslehrer unterrichteten und die Kinder dabei nicht selten auch gleich auf Vaterlandsliebe und festen Glauben einschworen, sind aktuell nur rund 65 übrig: Eine unangenehme Situation für die Botschaft, die neue Aufgaben finden muss für ihre Konsulatslehrer, die mit Fünf-Jahres-Verträgen nach Berlin entsandt worden waren und entsprechend beschäftigt werden sollen.

Auf der Suche nach Räumlichkeiten wurde man in Moscheen fündig

So kam die Botschaft auf die Idee, unterschiedliche Vereine nach Räumen abzuklappern – und wurde auch in Moscheen fündig, deren Räumlichkeiten ohnehin am Wochenende oder nachmittags für den Koranunterricht genutzt werden. Eine große Zahl von Moscheevereinen erklärte sich einverstanden, darunter auch die Mevlana-Moschee in der Skalitzer Straße, die einst wegen eines Hasspredigers in den Schlagzeilen war.

Seit dem 22. September arbeiten offiziell keine Konsulatslehrer mehr in der Kreuzberger Mevlana-Moschee
Seit dem 22. September arbeiten offiziell keine Konsulatslehrer mehr in der Kreuzberger Mevlana-Moschee

© Susanne Vieth-Entus

Die Sache ging nicht lange gut. „Einige Lehrer benahmen sich nicht angemessen. Sie passten nicht unsere Einrichtungen“, berichtet ein Vertreter der Islamischen Föderation. Da habe man sich rasch wieder getrennt von den türkischen Staatslehrern, lautet die inoffizielle Erklärung – die aber womöglich nur die halbe Wahrheit ist. „Die Sache war der Föderation zu heikel, weil sie ja nicht nur türkische Gläubige ansprechen will, sondern auch Gläubige aus anderen Ländern“, vermutet ein Berliner Islamexperte.

Die türkische Botschaft selbst brauchte rund zwei Wochen, bis sie Stellung nahm. Als der Tagesspiegel Mitte September nach der Verlagerung des Konsulatsunterrichts aus den öffentlichen Schulen in Moscheen fragte, lautete die Antwort des Botschaftsrates für Bildungswesen, Cemal Yildiz, der Konsulatsunterricht sei „nicht aus den öffentlichen Schulen verlagert worden, sondern findet weiterhin in Abstimmung mit der Senatsverwaltung in Schulen statt.“

Im Übrigen verwies er „für weitere Informationen“ an die Senatsverwaltung für Bildung. Die aber wusste zum damaligen Zeitpunkt nichts anderes beizutragen als die Auskunft, dass sie eine Abwanderung in die Moscheen „bisher nicht habe feststellen können“.

Die Islamische Föderation stieg aus

Erst nachdem der Tagesspiegel in mehreren Moscheen bestätigt bekam, dass Konsulatslehrer im Einsatz seien, änderte sich die Informationspolitik: Botschaftsrat Yildiz lud den Tagesspiegel am 2. Oktober zum Gespräch in die Botschaft an der Tiergartenstraße – und präsentierte eine Liste jener Moscheen und Vereine, die Bereitschaft signalisiert hatten, im Schuljahr 2019/20 Konsulatslehrern Räume anzubieten: Neun Moscheen sind laut Yildiz seit dem 22. September nicht mehr dabei– es sind die Moscheen, die zur Islamischen Föderation oder Milli Görüs gehören.

Dennoch ist die Liste noch immer lang: Ditib-Moscheevereine in Schöneberg, Kreuzberg, Neukölln, Wedding und Charlottenburg gehören ebenso dazu wie kleine und große Bildungsvereine und -institutionen. „Wir müssen unsere Lehrer beschäftigen, schließlich bekommen sie Gehälter“, begründet der Botschaftsrat die Fülle an Einrichtungen. Übrigen legt er Wert auf die Feststellung, dass die Kurse nicht im „Gebetsraum“ selbst, sondern in „separaten Unterrichtsräumen“ stattfinden, und dass es sich um „Nachhilfeunterricht“ handele.

Nachhilfeunterricht? Wie kann man von „Nachhilfe“ sprechen, wenn es doch gar kein reguläres Schulfach ist, sondern rein freiwillig gelernt wird? Yildiz hat eine Antwort parat: „Die Schüler haben Defizite in ihrer Muttersprache“. Daher nenne man es „Nachhilfe“. Im Übrigen habe Bildungsstaatssekretärin Beate Stoffers (SPD) von ihm eine entsprechende Liste der Vereine und Moscheen bekommen, ergänzt Yildiz.

Diese Information wird kurz darauf von der Senatsverwaltung für Bildung bestätigt: Nachdem sie zuvor wochenlang beharrt hatte, nichts von der Abwanderung der Konsulatslehrer in die Moscheen zu wissen, heißt es plötzlich, dass nun eine Liste in Sachen „Nachhilfe“ aufgetaucht sein. Warum der Zusammenhang mit dem Konsulatsunterricht nicht früher hatte hergestellt werden können? Unklar. Dabei hätte die Behörde von Senatorin Sandra Scheeres (SPD) längst informiert sein können – durch die Senatsverwaltung für Inneres.

Die nämlich berichtete auf Anfrage, es sei bereits „seit längerem“ zu beobachten, dass sich der Konsulatsunterricht „aus den Schulen heraus in andere Räumlichkeiten, darunter auch Moscheen, verlagert“. Ein Austausch über diesen Sachverhalt fand im Senat offenbar nicht statt.

Auch an der zur staatlichen türkischen Religionsbehörde gehörenden Osman-Gazi-Moschee in Charlottenburg wurden bereits die Konsulatslehrer geschickt.
Auch an der zur staatlichen türkischen Religionsbehörde gehörenden Osman-Gazi-Moschee in Charlottenburg wurden bereits die Konsulatslehrer geschickt.

© Susanne Vieth-Entus

Jungen und Mädchen werden streng getrennt

Welche Art Einfluss da ausgeübt wird, lässt sich erahnen, wenn man sich in den genannten Moscheen über das neue Unterrichtsangebot informieren will: Jungen und Mädchen werden streng getrennt. So erhielt eine Mutter die Auskunft, dass es an der von ihr präferierten Moschee bislang nur Kurse für Jungen gebe, weil ein weiterer Lehrer für die Mädchen bislang fehle: Ein gemeinsamer Unterricht komme nicht infrage.

Da die Geschlechtertrennung im Koranunterricht ohnehin gepflegt wird, geht es dann beim Türkischunterricht entsprechend weiter: Beide Angebote finden samstags oder sonntags nacheinander statt: „Die Moscheevereine hoffen wahrscheinlich, dass Eltern ihre Kinder beim Koranunterricht anmelden, wenn sie wegen Türkisch sowieso in der Moschee sind“, lautet eine Vermutung in der türkischen Community.

Da sich auch der türkische Staatspräsident Erdogan einem strengen Islam verschrieben hat, dürfte ihm das strenggläubige Moschee-Umfeld für türkischstämmige Schüler zusagen. Im übrigen sei Erdogan jedes Mittel recht, um mit Hilfe der in der Türkei sozialisierten Konsulatslehrer Einfluss auf die nachwachsende Generation zu nehmen.

Denn der Konsulatsunterricht ist schon lange nicht mehr das, was er war, als er in den siebziger Jahren eingeführt wurde: Damals ging es vor allem darum, die Kinder der „Gastarbeiter“ die Rückkehr ins Heimatland zu erleichtern – mittels Sprache, Landeskunde und Heimatliebe.

Es geht um Einfluss auf die "Diaspora"

Inzwischen spielt die Rückkehroption keine Rolle mehr, aber den direkten Zugang zu bundesweit rund 30.000 verbliebenen Konsulatsschülern will Ankara dennoch nicht aufgeben. Denn die Türkei Erdogans verfolgt seit mehr als zehn Jahren immer offensiver das Ziel, die Auslandstürken, von denen die meisten in Deutschland leben, zu Gefolgsleuten zu machen.

Ein wichtiger Schritt war im Jahr 2010 die Schaffung des Amtes für Auslandstürken in Ankara: Ihm wird als Bestimmungsgrund nachgesagt, die ehemaligen Landsleute fester an die alte Heimat zu binden und sie auch zu treuen AKP-Wählern zu machen – ein Ziel, dass erreicht wurde: Die Partei Erdogans feiert in Deutschland große Erfolge.

Möglich ist das zum einen durch die Einflussnahme Ankaras via Medien, Moscheen und großen Erdogan-Auftritten, zum anderen durch die Änderung des Wahlgesetzes: Seit einigen Jahren können Auslandstürken auch außerhalb der Türkei an türkischen Wahlen teilnehmen.

Längst sprechen einflussreiche türkische Politiker von der „Diaspora“, auf die man Einfluss ausüben und für die man „Dienstleistungen“ anbieten wolle, um sie an die Türkei zu binden. Im Ausland gute muslimische Türken heranzuziehen – ob in der Schule oder in der Moschee – könne man „als Teil der türkischen Diaspora-Politik ansehen“, steht für eine junge Wissenschaftlerin fest, die gerade auf dem Gebiet forscht und nicht genannt will, um ihre Forschung nicht zu gefährden.

Gebete für die „heldenhafte Armee“

Und in einer jüngeren Publikation der Bundeszentrale für politische Bildung ist zu lesen, die AKP betreibe „eine aktive Politik zur Förderung der Identifikation mit der Türkei unter Türkeistämmigen im Ausland und zur Mobilisierung der Türkeistämmigen in Deutschland für innertürkische Belange“. Ein wichtiges Instrument sind dabei die Ditib-Moscheen, wie sich aktuell auch durch Gebete für die „heldenhafte Armee“ in Syrien zeigt.

Nicht alle Länder scheinen sich für diesen Zusammenhang zu interessieren: Bayern, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein lassen das türkische Konsulat gewähren und unternehmen – anders als Berlin, Hamburg, Bremen und Niedersachsen – nicht einmal den Versuch, eigene Türkischangebote aufzubauen. Nur Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen lassen das Konsulat nicht in die Schulen und setzen seit langem ausschließlich auf eigene Türkischangebote – so wie es jetzt auch das Saarland macht.

Die Teilnahme an Konsulatsunterricht ist rückläufig, wie die Daten von 2018/19 zeigten. Im Schuljahr 2019/20 ist die Zahl der Schulen, an denen es Konsulatslehrer arbeiten, nochmals gesunken: Von 75 auf 67, wie die Botschaft mitteilte.
Die Teilnahme an Konsulatsunterricht ist rückläufig, wie die Daten von 2018/19 zeigten. Im Schuljahr 2019/20 ist die Zahl der Schulen, an denen es Konsulatslehrer arbeiten, nochmals gesunken: Von 75 auf 67, wie die Botschaft mitteilte.

© Tabelle: Tsp/Böttcher

Lehrergewerkschaft zeigt sich besorgt

Während sich die Kultusministerkonferenz selbst nach dem Putschversuch und den anschließenden Massenverhaftungen nicht in der Pflicht sah, sich kritisch zum staatlichen türkischen Einfluss auf türkischstämmige deutsche Schüler zu äußern und zudem keine Kenntnis von der neuem Moscheeproblematik hat, findet die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) deutliche Worte: „Mit Besorgnis verfolgen wir die Entwicklungen bezüglich des türkischsprachigen Konsulatsunterrichts in Berlin“, betont der GEW–Bezirksvorsitzende von Friedrichshain-Kreuzberg, Gökhan Akgün, angesichts des Einsatzes der Lehrer in Moscheeräumen.

Der Gewerkschafter fordert Bildungssenatorin Scheeres auf, das Thema bei der Kultusministerkonferenz auf die Tagesordnung zu setzen und sich gegen die Erteilung in dieser Form zu positionieren. Dabei spiele es auch keine Rolle, dass der Unterricht der Konsulatslehrer in den Moscheen offiziell nicht als „Konsulatsunterricht“ sondern „Nachhilfeunterricht“ bezeichnet werde.

Der Türkische Bund Berlin-Brandenburg (TBB) will sich nicht direkt zum Moscheeangebot äußern, plädiert aber dafür, das öffentliche Türkischangebot an den Grundschulen attraktiver zu machen – durch gute Lehrer und gute Anschlussmöglichkeiten in den Oberschulen: „Wenn die Familien wissen, dass man nach dem Besuch der Arbeitsgemeinschaften Türkisch als zweite oder dritte Fremdsprache wählen kann, werden sie sich eher für das Angebot der Grundschulen entscheiden“, ist TBB-Sprecher Safter Cinar überzeugt.

Mangel an Türkischlehrern in Deutschland

Bisher sieht es so aus, als wenn die Arbeitsgemeinschaften gut angenommen würden. Darauf deuten die steigenden Schülerzahlen: Mehr als 1000 sind es schon. Allerdings wird der weitere Ausbau zum Problem, denn es gibt kaum ausgebildete Türkischlehrer in Deutschland – und keinen Versuch, daran etwas zu ändern: Die Universität Essen ist deutschlandweit der einzige Ort für die Türkischlehrerausbildung.

Und Berlin? Die Stadt mit den meisten türkischstämmigen Kindern außerhalb der Türkei hält sich bedeckt. Ein Vorstoß zum Aufbau eines Lehramtsstudiums sei nicht geplant, sondern nur „perspektivisch denkbar“, lautet die vage Auskunft – die so gar nicht passt zum Ziel der rot-rot-grünen Koalition, den Unterricht in den Herkunftssprachen zu stärken.

Zu denen, die den Verzicht auf die Türkischlehrerausbildung bedauern, gehört auch Berlins langjährige Ausländerbeauftragte Barbara John: „Wer den muttersprachlichen Unterricht durch Konsulatslehrer aus der Türkei ‘entbehrlich‘ machen will, sollte die hiesigen Lehrer für die Arbeitsgemeinschaften an Grundschulen professionell ausbilden, also Türkisch als Lehramtsstudium anbieten“, steht für John fest.

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