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Monika Herrmann ist seit August 2013 Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg.

© imago/Piero Chiussi

Monika Herrmann zum Görlitzer Park in Berlin: "Können Dealern den Aufenthalt im Park nicht verbieten"

Drogenhandel, Gentrifizierung, Autonome: Die Probleme von Friedrichshain-Kreuzberg werden bald in der ganzen Stadt sichtbar, sagt Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann.

Friedrichshain-Kreuzberg ist so groß wie Augsburg oder Gelsenkirchen. Wie erklärt man jemandem von dort, wie dieser Bezirk tickt?
Friedrichshain-Kreuzberg ist der bekannteste und beliebteste Bezirk Berlins. Es ist der kleinste und der am dichtesten besiedelte. Hier leben Menschen, die sich nicht gern von oben regieren lassen, sondern mitreden wollen. Aber so rumpelig, wie es gerne dargestellt wird, ist es bei uns dann doch nicht. Friedrichshain-Kreuzberg wird manchmal so verkauft, als würden hier keine Regeln herrschen. Es gibt sie aber, vor allem Regeln des Zusammenlebens.

Die große Zahl an Dealern in der Nähe der Partyzonen sowie Raubüberfälle und ein Konflikt mit autonomen Hausbesetzern beschäftigen viele Anwohner. Geht der Bezirk nicht gerade kaputt?
Friedrichshain-Kreuzberg ist ein Seismograf für die Metropole Berlin. Wir haben hier alles gebündelt und auf einmal: Lebensentwürfe von der Wagenburg bis zum Penthouse. Was wir erleben, sind die Spannungen, die dadurch entstehen. Und das wird Berlin in den nächsten Jahren in Gänze erleben. Auch die Auseinandersetzung mit dem Tourismus wird bald andere Stadtteile erreichen.

Wollen Sie damit sagen, dass wir die gestiegene Kriminalität hinnehmen müssen?
Drogen haben Sie vor allem dort, wo der Partytourismus stattfindet, Taschendiebstähle auch.

Klingt wie eine Naturgewalt, gegen die man nichts tun kann.
Wir können etwas tun, aber nicht so viel, wie wir gerne würden. Als Bezirk sind wir zum Beispiel mit einer Sicherheitsarchitektin der Polizei durch den Görlitzer Park gegangen. Auf ihren Hinweis hin haben wir Sichtachsen geschaffen und die Büsche runtergeschnitten, das Licht verstärkt. Aber die Hauptaufgabe liegt bei der Polizei – und die ist dem Land unterstellt. Die altbekannten Berliner Polizeieinsätze: Druck auf einen Ort machen, Razzien, weg – das funktioniert nicht mehr. Außerdem fehlt Personal. Ich wünsche mir mehr Polizeipräsenz und Sichtbarkeit, in Uniform, zudem mobile Polizeiwachen. Das habe ich auch schon öfter mit dem Innensenator von der CDU besprochen. Passiert ist wenig.

Das Wandbild ist an der Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg zu sehen. Ein Teil ist nach wie vor von Flüchtlingen besetzt, in einen anderen sind jetzt 40 Flüchtlinge untergebracht.
Das Wandbild ist an der Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg zu sehen. Ein Teil ist nach wie vor von Flüchtlingen besetzt, in einen anderen sind jetzt 40 Flüchtlinge untergebracht.

© Paul ZInken/ZB

"Lieber die Verstecke der Dealer und die großen Drogenlager ausmerzen"

Eine linke Grüne, die mehr Polizei in einem Kiez fordert, der traditionell ein gespanntes Verhältnis zu den Beamten hat. Das ist interessant.
Ich hätte auch nicht gedacht, dass ich mal dahin komme, aber ich finde, wir können den Dealern nicht die Plätze überlassen. Ich habe vorgeschlagen: Lasst uns, statt die kleinen Dealer hochzunehmen, lieber deren Verstecke ausmerzen und die großen Drogenlager. Ich habe vorgeschlagen, Drogenhunde einzusetzen, mit Unterstützung der Bundespolizei. Aber das Land verweist auf nicht ausreichende Kapazitäten. Wir haben als Bezirk also einiges versucht. Was wir nicht tun können, ist den Dealern den Aufenthalt im Park verbieten. Man muss wissen, dass nicht alle Leute, die dort sind und eine schwarze Hautfarbe haben, dealen. Und auch die Dealer tragen die Drogen nicht an sich.

Sie bleiben also?
Wenn wir ehrlich sind, können wir nicht sagen: Das schaffen wir ab, und zwar in einem halben Jahr. Hier existiert knallharte mafiöse Kriminalität. Da wird so viel Kohle verdient, und die Jungs, die da verkaufen, sind nur am Ende der Kette. Da kommst du nicht weiter mit Sozialarbeitern und dem Ordnungsamt. Da braucht es eine groß angelegte Strategie. Leider ist die Zusammenarbeit mit dem CDU-geführten Innensenat so schwierig, aber das wird sich nach der Abgeordnetenhauswahl ja hoffentlich ändern.

Ihre Kritiker sagen, dass diese Erkenntnis zu spät gekommen ist, es im Bezirk lange als schick galt, auch Drogengeschäfte zu dulden.
Ich bin seit August 2013 Bürgermeisterin und seitdem fordere ich ein härteres Durchgreifen. Grundsätzlich finde ich: Unsere restriktive Drogenpolitik funktioniert nicht mehr. Deshalb habe ich 2013 auch den Antrag auf kontrollierten Verkauf gestellt. Länder wie die USA zeigen gerade, dass die kontrollierte Abgabe von Marihuana funktioniert. Die Konservativen behaupten, ich will alles freigeben und man müsse sich Sorgen um die Kinder machen. Aber freier als im Moment kann man es nicht organisieren. Jeder kann Drogen kaufen, auch ein Zehnjähriger.

"So, Bürgermeisterin, räum die Dealer weg"

Sie sagen, als Bezirksbürgermeisterin haben Sie nicht wirklich viel Handlungsspielraum. Und trotzdem bekommen Sie oft den Frust der Leute ab.
Ja, die Leute sagen: So, Bürgermeisterin, räum die Dealer weg, mach, dass die Rollkoffer verschwinden. Das geht nicht, denn ich brauche dazu immer die Landesebene. Und was in den anstrengenden Verhandlungen rauskommt, ist oft nicht der große Wurf und das frustriert die Leute.

Haben Sie ein Beispiel?
Die Flüchtlinge, als die 2012 nach Kreuzberg kamen und sich auf dem Oranienplatz niederließen, haben viele andere Bezirke weggesehen. Dabei waren diese Menschen nur Vorboten von dem, was wir vergangenes Jahr erlebt haben. Trotzdem war der Senat nicht vorbereitet. In Berlin, immerhin Hauptstadt der Bundesrepublik, gab es keinerlei Vorstellungen, was benötigt wird, wenn eine Turnhalle bezogen wird. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat dann eine Checkliste erarbeitet, zur Erstbelegung einer Turnhalle, für alle Bezirke. Wir hatten ja schon Erfahrung, aber offiziell hat der Senat diese Liste nie akzeptiert.

Jahrelang gab es Streit um Flüchtlinge, die eine Kreuzberger Schule besetzt hatten. Sie haben nun Räumungsklage eingereicht ...
Die zuständige Stadträtin für Immobilien hat Klage eingereicht. Aber ich finde es in diesem Fall richtig. Es gab dort katastrophale Verhältnisse. Es war eine verfahrene Situation.

Muss man daraus und aus der Erfahrung vom Oranienplatz nicht die Konsequenz ziehen, dass eine dialogorientierte Politik ins Nichts führt, dass viel früher hätte durchgegriffen werden müssen?
Es war richtig, die Flüchtlinge, die 2012 nach Berlin marschierten, auf den Oranienplatz zu lassen. Dort waren sie sicher. Und dass gegen die europäische Asylpolitik protestiert werden muss, haben wir alle unterstützt. Aber wenn ich da 50, 60 später fast 100 Leute auf dem Platz habe, muss ich mir im Vorfeld überlegen, was brauchen die eigentlich? Da sind Fehler gemacht worden.

Von ihrem Vorgänger, dem grünen Bürgermeister Franz Schulz?
Ach, von allen Beteiligten. Es war ja auch eine schwere Situation. Dann kam der Winter 2012, der war sehr, sehr kalt und auf dem Oranienplatz lag der Schnee, die Leute waren furchtbar krank, wir wussten nicht, wo wir sie unterbringen konnten. Wir sind komplett am Senat gescheitert. Und dann hat Franz halt die Idee gehabt, es gibt die Schule, die ist schon von Autonomen besetzt und bevor die Leute hier auf dem Platz erfrieren, sollen sie halt da leben.

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Seit bald vier Jahren ist die Schule besetzt. Im Sommer 2013 gab es eine Messerstecherei mit tödlichem Ausgang.
Insgesamt haben wir circa 560 Menschen aus der Schule und vom Oranienplatz anderswo unterbringen können, ohne Räumung. Ich hätte gern erfahrene Leute aus der Entwicklungshilfe gehabt, die Strukturen aus den Flüchtlingslagern im Libanon oder der Türkei kennen, die die Konflikte zwischen den Bevölkerungsgruppen kennen. Die Betreuung der Flüchtlinge war etwas, das alle unterschätzt haben.

Sie und CDU-Innensenator Frank Henkel verstehen sich nicht sonderlich gut. Gibt es etwas, was Sie an ihm schätzen?
Eigentlich ist Frank Henkel kein Rambo. Im Herbst 2013 hat er mal zu mir gesagt, er hat überhaupt kein Interesse daran, dass die Polizei Afrikaner aus Zelten zerrt und das im Herzen Berlin – öffentlich hat er immer ein hartes Durchgreifen gefordert. Aber auch seine Polizei hat bis heute zum Beispiel die Hauptmann-Schule nicht geräumt. Wenn Sie jetzt seine Plakate anschauen, wie er da so da steht als netter Kerl und verschmitzt lächelt: Das ist er. Ich glaube, dass er der falsche Senator ist, er wollte ja Wirtschaftssenator werden.

Am 18. September ist Abgeordnetenhauswahl in Berlin. Die AfD liegt in den Umfragen bei bis zu 15 Prozent. Wie geht das zusammen mit einer Stadt, die sich doch für eine weltoffene Metropole hält?
Die AfD plakatiert vor allem bei den alten DDR-Plattenbauten. Ich glaube, dass die Linken in der Analyse einen Fehler machen. Die Wähler der AfD das sind Leute, die Ordnung, Sicherheit und Sauberkeit wollen. Sozial abgehängt oder arm müssen sie nicht unbedingt sein. In Berlin hat die AfD viele Wähler, die die Linke immer als die Nachfolgepartei der SED gewählt haben. Es gibt ja nix Spießigeres, als es die DDR war.

Friedrichshain-Kreuzberg wird seit zehn Jahren grün regiert, auch jetzt scheint Ihre Wiederwahl sicher. Ist das so, weil die Grünen zu Friedrichshain-Kreuzberg passen oder Friedrichshain-Kreuzberg der einzige Ort ist, wo die Grünen hinpassen?
Die Frage nach Henne und Ei kann ich nicht beantworten. Aber es passt einfach. Der Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg ist ein bekennender linker Kreisverband. Da ecken wir gerne auch mal bundesweit an, auch bei den Berliner Grünen sind wir nicht immer gut gelitten. Jetzt ändert sich natürlich die Sozialstruktur auch in unserem Kiez, es ziehen Gutverdiener her. Aber was man nicht unterschätzen darf, ist: Sie leben, was die Grünen vor 30 Jahren gefordert haben – gesundes Essen, Elektromobilität, sie lieben, wen sie wollen.

Erkennen Sie sich auch in den Kretschmann-Grünen wieder?
Ich habe Schwierigkeiten mit den Parolen, die Kretschmann, aber vor allem Boris Palmer in der Flüchtlingsfrage von sich geben. Bei den sicheren Herkunftsstaaten hat Kretschmann das grundsätzliche Recht auf Asyl infrage gestellt, und das halte ich für falsch.

Winfried Kretschmann hat aber auch einen energischen Wahlkampf für Merkels Flüchtlingspolitik gemacht.
Ich kann Ihnen nur sagen, wenn Merkel weg ist, gnade uns Gott. Sie ist das Bollwerk gegen einen absoluten Rechtsruck. Wenn Thomas de Maizière Kanzlerkandidat wird, bin ich mir nicht sicher, ob wir am Ende eine AfD-Regierung bekommen. Aber, um noch mal auf Herrn Kretschmann zurückzukommen: Der würde in Kreuzberg keinen Fuß auf die Erde kriegen, genauso wie eine Monika Herrmann in Stuttgart keinen Erfolg hätte. Auch bei den Grünen funktionieren nicht alle Erfolgsmodelle überall. Das sollte die Partei beachten, wenn sie nun ihren Bundestagswahlkampf plant. Ich würde mir wünschen, der linke Flügel der Bundespartei wäre ein wenig lauter, als er es im Moment ist.

Würden Sie selbst als links bezeichnen?
Klar.

"Die Autonomen beschimpfen mich in der Flüchtlingsfrage als Rassistin"

Das tun die Hausbesetzer und die Autonomen auch.
Mein Verständnis ist weniger autoritär. Ich glaube, dass es schon noch mal nötig ist, sich über den Begriff links auseinanderzusetzen. Darf nur ein Proletarier ein Linker sein oder geht linke Politik auch, wenn man eine bürgerliche Herkunft hat? Die Autonomen beschimpfen mich in der Flüchtlingsfrage als Rassistin und da merke ich, wie wenig sie sich mit Rassismus auseinandergesetzt haben. Vor allem mit dem positiven Rassismus. Dass jemand, weil er Flüchtling ist, per se bevorzugt sein muss, sich nicht an Regeln halten muss. Das hat die gleichen Mechanismen wie der Negativrassismus. Da würde ich auch ganz gerne mal ein paar Auseinandersetzungen führen. Auch was die Hausbesetzer betrifft: Ich finde das toll, dass die jungen Menschen sich engagieren, für ihre Überzeugungen kämpfen. Aber denen fehlt oft so ein bisschen der ideologische Überbau. Wenn ich mir die Schriften angucke, die manchmal verteilt werden. Das sind weiterhin diese Bleiwüsten ohne Absatz, ohne irgendwas, was kein Mensch liest. Das sind die gleichen Schlagworte wie vor 30 Jahren, 40 Jahren.

Dann wäre es ja kein neues Phänomen.
Tja. Aber die ersten, die solche Texte geschrieben haben, die hatten da schon eine Idee. Ich weiß nur nicht, ob die aktuellen, die das schreiben, verstehen, welche Idee das war. Es gab einen Gesellschaftsentwurf, der ein klarer Gegenentwurf zum herrschenden kapitalistischen System war – mit dem Zusammenbruch des sogenannten Staatssozialismus fehlt aber heute eine ideologische Alternative.

Ist Berlin überhaupt noch so frei und alternativ, wie der Stadt zugeschrieben wird? Oder schon längst kommerzialisiert?
Wir sind noch sehr weit entfernt von der klassischen deutschen Kleinstadt mit der immer gleichen Einkaufsstraße. In richtig großen Städten gibt es grundsätzlich immer Subkulturen, auch wenn sie sich verändern. Aber, es stimmt, wir sind gerade auf dem Scheideweg in eine internationale Metropole. Unsere Aufgabe ist es auch, steuernd einzugreifen. Ich möchte, dass Berlin grün bleibt, dass die Wagenburgen in Kreuzberg bleiben. Dass nicht alle Grundstücke mit Bürgerprojekten, wie die Prinzessinnengärten, in Bauland verwandelt werden. Aber eine Metropole muss sich auch ändern dürfen. Nicht jeder, der eine Eigentumswohnung kauft, ist ein schlechter Mensch oder ein gewissenloser Investor. Wir müssen da schon zusammenarbeiten. Genau das ist für mich Aufgabe und Ziel der Kommunalpolitik.

Das Interview führten Lisa Caspari und Frida Thurm. Es erschien zuerst bei unserem Kooperationspartner "Zeit Online".

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