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Öfter mal was Neues! In der Kleiderei leihen Frauen Kleider, die sich schnell langweilen, weniger Wegwerfware kaufen oder mal ein Designerstück tragen wollen.

© promo

Mode: Kleidchen, wechsle dich

In der KLEIDEREI kann man Designmode ausleihen – damit man sich nicht andauernd neu einkleidet.

Neukölln, am vergangenen Samstagabend in der kleinen Kunstgalerie „Team Titanic“. Auf vier Kleiderstangen hängt sehr bunte, sehr ausgefallene Mode. Ein Overall, der an einen Pyjama erinnert, mit Matrjoschkaprint ist darunter, ein knielanger Leopardenmantel aus Kunstfell, ein quietschgelber Hosenanzug mit Blumenmuster, goldene Pumps und ein rosafarbener Glockenhut. Mittendrin stehen Pola Fendel (24) und Thekla Wilkening (26). Sie zupfen ihre langen Haare zurecht und geben einer Bloggerin schnell noch ein Interview, dann treffen auch schon die ersten Gäste ein.

Pola und Thekla sind zwei Studentinnen aus Hamburg und haben in Berlin gerade ihre zweite „Kleiderei“ eröffnet – ein Laden, oder besser: der Galerieraum einer Freundin, in dem man sich Kleidung ausleihen kann. Das Prinzip funktioniert ähnlich wie in einer Bibliothek: Für 14 Euro im Monat darf man sich so viele Teile aussuchen, wie man möchte. Allerdings immer nur vier auf einmal, und nach spätestens zwei Wochen müssen die Sachen gewaschen und gebügelt zurückgebracht werden. Sollte ein Knopf fehlen oder eine Naht aufgegangen sein, kümmern sich Pola und Thekla um die Reparatur. Ohne Abo kostet das Ausleihen fünf Euro pro Teil. Geklaut oder einfach behalten hat noch nie jemand etwas.

Die Idee zur Kleiderei kam den Freundinnen im letzten Jahr. „Wir haben ständig neue Klamotten gekauft, und nicht, weil wir sie wirklich brauchten, sondern weil wir Lust auf etwas Neues hatten. Irgendwann dachten wir: Moment mal, es ist 2012 und man kann sich keine Kleider leihen?“, erzählt Pola. „Es gibt natürlich den Theaterfundus und Kostümverleihe“, fügt Thekla hinzu. „Die sind aber oft nur Stylisten zugänglich und unglaublich teuer. Wir wollten etwas Demokratisches gründen, das für jeden bezahlbar und zugänglich ist.“

Die beiden suchten aus ihren eigenen Schränken, bei Freunden und auf Flohmärkten abgelegte Kleidungsstücke zusammen, erstellten eine Facebook-Seite, mieteten in St. Pauli den Galerieraum einer Bekannten und eröffneten nachmittags nach der Uni – Pola studiert Kunst, Thekla studiert Bekleidung, Technik und Management – die Kleiderei. Eigentlich waren sie davon ausgegangen, dass sie erst mal allein dasitzen würden. Aber schon am Eröffnungsabend im Oktober 2012 kamen so viele Gäste und so viel Presse, dass sich das Konzept schnell herumsprach und sie bald viele Stammkundinnen hatten.

Dazu zählen Frauen aus allen Altersschichten. Manche kommen, weil sie wenig Geld haben, andere, weil sie mal ein echtes Designerstück tragen möchten. Viele, weil sie ohne schlechtes Gewissen neue Mode konsumieren wollen. Mittlerweile kann man in der Kleiderei aus 1000 Kleidungsstücken wählen, von denen jetzt etwa 400 in Berlin hängen. Neben ein paar schlichten Basics von H&M oder Zara und Entwürfen von Hamburger Jungdesignern, die durch die Kooperation mit der Kleiderei auf mehr Bekanntheit hoffen, sind das vor allem gut erhaltene Stücke von Marken wie Chloé, DKNY, Escada, Jean Paul Gaultier, Jil Sander, Moschino, Versace. Vieles davon haben Kundinnen gespendet, aber auch alte Damen, die in der Zeitung von der Kleiderei gelesen haben. „Die haben die schönsten Sachen: Hüte und alte Kleider, in denen sie früher getanzt oder ihren Mann kennengelernt haben“, erzählt Thekla.

Angenommen wird in der Kleiderei alles. Was nicht für den Verleih geeignet ist, wird für gute Zwecke gespendet; kaufen kann man in der Kleiderei nichts. „Sonst würden wir ja unser eigenes System untergraben“, sagt Pola. „Wenn man sich in ein Teil verliebt, muss man sich etwas Ähnliches suchen.“ Genau das sei der zweite, fortführende Gedanke hinter den bunten Designerteilen: „Es ist nicht so, dass wir gegen das Kaufen sind. Wir lieben die Designer, die bei uns hängen, und wollen niemandem das Geschäft versauen.“ Für die Freundinnen soll die Kleiderei eine Spielwiese sein, auf der sich die Frauen ausprobieren können. „Vielleicht merken sie, dass besser verarbeitete Sachen sich besser anfühlen und machen in Zukunft weniger Fehlkäufe.“

In Berlin scheint die Kleiderei ähnlich gut anzukommen wie in Hamburg: Neben Freunden und Bekannten haben sich am Eröffnungsabend auch schnell die ersten Kundinnen eingefunden. Die meisten sind zwischen 20 und 35 und sagen alle, dass sie auf die Kleiderei schon gewartet haben. Antje zum Beispiel, 33, Model und Fotografin. „Ich habe über Facebook davon erfahren und finde das Konzept super. Wir Frauen denken ja immer, wir haben nichts zum Anziehen, dabei sind wir einfach nur schnell gelangweilt.“ Ein Kleid, das sie sich ausleihen möchte, hat sie auch schon entdeckt. Es ist schwarz-weiß gemustert und knielang. „Ich habe morgen Abend ein Date, dafür passt das perfekt.“

Pola und Thekla hoffen, dass die Leute in Berlin noch ein bisschen mutiger sind als die in Hamburg und sich auch hier Kooperationen mit Jungdesignern ergeben. Wenn alles gut läuft, möchten sie bald weitere Kleidereien in anderen Städten eröffnen, vielleicht auch mit Männer- und Kindermode, und damit langfristig eine Alternative zum Wegwerfen etablieren. Auch wenn sie nichts gegen einen „coolen Investor“ hätten – noch finanzieren die Studentinnen alles durch die Einnahmen aus Hamburg. Ihr Steuerberater jedenfalls glaubt ganz fest an die beiden. Schon vor einem Jahr prophezeite er: „Hamburg, Berlin, New York.“

Kleiderei, Flughafenstraße 50, Neukölln, montags bis mittwochs 15 bis 18 Uhr

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