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Schwarz geht immer. Antje Fröhlich übernahm „Korsett Engelke“ in Charlottenburg von ihrer Mutter. Jetzt gibt sie den Laden auf.

© Cay Dobberke

Mode-Institution aus Charlottenburg: „Korsett Engelke“ schließt nach fast 75 Jahren

In dritter Generation führt Antje Fröhlich das über Berlin hinaus bekannte Dessousgeschäft an der Kantstraße – doch alleine wird ihr das nun zuviel.

Dieser Text stammt aus dem Tagesspiegel Leute Newsletter Charlottenburg-Wilmersdorf. Unsere Newsletter für alle Berliner Bezirke können Sie gratis unter leute.tagesspiegel.de abonnieren.

„Wieder eine Institution weniger in Berlin“, seufzt ein Familienvater, der mit seiner Frau und dem gemeinsamen Kleinkind zum Räumungsverkauf bei „Korsett Engelke“ an der Kantstraße 103 gekommen ist. Eine Käuferin fragt Ladenchefin Antje Fröhlich, ob sie wirklich Stammkunden aus Australien und Neuseeland habe. Ja, das seien deutsche Auswanderer, die bei Heimatbesuchen etwa alle zwei Jahre zu ihr kommen, antwortet Fröhlich. „Aber auch die stehen leider bald vor geschlossenen Türen.“ Allein könne sie alles „nicht mehr stemmen“. Ende Juli schließt sie deshalb den Laden.

Mit einem Riesensortiment aus Büstenhaltern, Strapsen, Corsagen und Korsetts, Damenslips und Badeanzügen erlangte der Familienbetrieb seinen Ruf weit über Charlottenburg hinaus – und mit der kompetenten Beratung. Der Laden sei einmalig, sagt Fröhlich. Bei den BHs etwa reiche das Spektrum von den Maßen Doppel-A bis O. „Wir sind mit den großen Größen bekannt geworden.“ Der Umsatz sei bis heute gut und nicht der Grund für die Geschäftsaufgabe. Zur Kundschaft gehören auch viele prominente Frauen, deren Namen die Händlerin aber nicht nennen möchte.

Mit einem Marktstand ging es los

Antje Fröhlich führt den Laden in dritter Generation. Inhaberin ist offiziell noch ihre 81-jährige Mutter Ursel Rieck, die das Unternehmen 1974 von ihrem Vater Karl Engelke übernommen hatte. Begonnen hatte die Firmengeschichte mit einem Stand auf einem Berliner Markt kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Familie war damit sehr erfolgreich. Im Jahr 1956 eröffnete Karl Engelke in Neukölln sein erstes Geschäft. Später gab es bis zu drei Filialen in Charlottenburg und Mitte. Übrig blieb ein kleiner Laden an der Kantstraße 109, mit dem Antje Fröhlich vor fünf Jahren in größere Räume sechs Häuser weiter umzog.

Heute geht es um sexy Dessous und nicht um klassische Mieder

„Fest geschnürt ist halb verführt“, schrieb der Tagesspiegel einmal über den damals noch von Ursel Rieck geführten Laden. „Was es sonst nur in Geschäften vom Schlag Beate Uhses gibt, ist bei Korsett Engelke schon seit Jahrzehnten ein Verkaufsschlager.“ Das namensgebende Korsett spielte längst kaum noch eine Rolle beim Verkauf. „So was hat man vor 75 Jahren getragen“, sagt Antje Fröhlich. „Wir hören den Begriff nicht gern.“ Sie frage stets nach, was genau die Kundin wünsche, wenn von einem Korsett die Rede sei. In der Regel gehe es nämlich nicht um ein klassisches Mieder, sondern um eine erotisch reizvolle Corsage oder ein „sexy Korselett“.

Die biederer wirkenden offenen Korseletts mit Strumpfhaltern werden dagegen vor allem von Männern gekauft. Warum? Das interessiere sie nicht, sagt Antje Fröhlich. Überhaupt „will man oft nicht wissen“, wofür verschiedenste Dessous gedacht sind. Ihre Mutter hatte einige Dessous noch selbst angefertigt. Die Tochter beschränkt sich auf Maß-Anpassungen und Reparaturen.

Gute neue Mitarbeiterinnen waren nicht zu finden

Rund 30 Jahre steht Antje Fröhlich nun schon im Laden, die längste Zeit zusammen mit ihrer Mutter und bis zu drei Mitarbeiterinnen, die inzwischen Rentnerinnen sind. Die Suche nach Nachwuchskräften verlief enttäuschend. „Die jungen Leute können nicht arbeiten“ und hätten sich mit einer achtstündigen Schicht überfordert gezeigt, beklagt die Händlerin. Im vorigen Jahr schöpfte sie Hoffnung, als eine vielversprechende 23-jährige Verkäuferin bei ihr anfing. Aber die sei lieber Schauspielerin geworden.

Jetzt läuft der Mietvertrag aus. Antje Fröhlich hätte ihn verlängern können, doch die Laufzeit von fünf Jahren schreckte sie ab. Im September 2020 werde sie 60, rechnet sie vor. „Ich komme an meine Grenze.“ Dazu trägt maßgeblich bei, dass sie sich häufig um ihre Eltern kümmert, die beide schwer krank sind. Damit nicht genug: Derzeit liegt auch ihr Lebensgefährte in einem Krankenhaus. Den größten Schicksalsschlag erlebte Fröhlich vor knapp 15 Jahren, als ihr Ehemann bei einem Unfall starb und sie „die Liebe meines Lebens“ verlor. Zuletzt machte sich Sorgen darüber, dass ihre Kraft nicht mehr reichen könnte, um das Geschäft noch jahrelang zu führen. Da der Mietvertrag keine Ausstiegsklausel hat, hätte das zur Pleite führen können.

Jungunternehmerinnen sollen von ihrer Fachkenntnis profitieren

Was wäre, wenn sich jetzt noch eine tolle Verkäuferin bei ihr bewerben würde? Fröhlich winkt ab: „Der Zug ist abgefahren.“ Dennoch fühle sie sich zu jung für den Ruhestand. Ihre Erfahrungen und Kenntnisse möchte sie an Jungunternehmerinnen weitergeben. Wegen des Mangels an Fachpersonal „bin ich ja Gold wert“, sagt sie. Außerdem will Fröhlich ein Buch über ihr Leben und den Laden schreiben. Die Arbeit sei zwar anstrengend, „aber immer auch spannend“ gewesen. Viele Kundinnen und Kunden hätten mit ihr über private Freuden und Sorgen gesprochen, der Zusammenhalt sei eng gewesen. „Wir haben viel gemeinsam gelacht und manchmal geweint.“ 

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