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Vor der Hausotter-Grundschule in Reinickendorf legten am Wochenende Anteilnehmende Kerzen, Blumen und Kuscheltiere nieder.

© Paul Zinken/dpa

Mobbing an Grundschule in Reinickendorf: Hat die Schule einfach weggeschaut?

Mehrfach bemängelten Schulinspektoren die Situation an der Hausotter-Grundschule. Lange geschah nichts. Wurde hier zu spät reagiert?

Von Sandra Dassler

Ein elfjähriges Mädchen nimmt sich das Leben, nachdem sie in der Schule gemobbt wurde. Wie konnte es so weit kommen? Was ist da schiefgelaufen? Der Fall aus Reinickendorf bewegt viele Menschen. Vor allem wird diskutiert, ob und wie solche schrecklichen Tragödien vermeidbar sein könnten.

Die Hausotter-Grundschule hatte bereits in der Vergangenheit größere Probleme. Das ist allerdings weniger der Statistik zu entnehmen, die von der Innenverwaltung erstmals im vergangenen Jahr für die Berliner Schulen vorgelegt wurde. Von 9860 erfassten Straftaten wurden elf an der Hausotter-Grundschule gemeldet: fünf Körperverletzungen, drei einfache Diebstähle, ein Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz und zwei sonstige Straftaten. Damit liegt die Hausotter-Grundschule eher im Mittelfeld.

Unauffällig war die Grundschule in Reinickendorf trotzdem nicht. Und möglicherweise wären die schrecklichen Ereignisse vermeidbar gewesen, wenn frühzeitig auf die warnenden Hinweise der Schulinspektion reagiert worden wäre. Nach Informationen des Tagesspiegels war die Hausotter-Grundschule bereits bei einer Inspektion im Jahr 2013 durchgefallen – unter anderem wegen mangelnder pädagogischer Fähigkeiten.

Extreme Belastung der Lehrer

In einem entsprechenden Kurzbericht heißt es unter anderem: „Viele Lehrerinnen und Lehrer sehen die Herausforderungen, die die zunehmende Vielfalt ihrer Schülerinnen und Schüler mit sich bringt, als extreme Belastung an. Dies betrifft sowohl Kinder, die im Lernprozess eine höhere Aufmerksamkeit und Unterstützung benötigen, als auch Schülerinnen und Schüler mit geringen Deutschkenntnissen. Besonders die Kinder der nicht zur Schule gehörenden Deutsch-Kleinklasse werden als problematisch empfunden.“

Die Schulinspektion bewertet regelmäßig die Qualität der Schulen durch eine professionelle Außensicht. Sie ergänzt damit die Selbsteinschätzung der Schulen, indem sie jede einzelne als Gesamtsystem betrachtet und detaillierte Rückmeldungen zu ihren Stärken und zu ihrem Entwicklungsbedarf gibt. In der Regel werden die staatlichen Schulen alle fünf bis sechs Jahre inspiziert. „Wird allerdings ein erheblicher Entwicklungsbedarf festgestellt, kann eine Inspektion auch in kürzeren Abständen stattfinden“, heißt es auf der Homepage der Bildungsverwaltung.

Hausotter-Grundschule lehnte Hilfe ab

Normalerweise ist das bereits nach zwei Jahren der Fall. Natürlich wird der Schule außerdem von der Bildungsverwaltung Hilfe angeboten, was die Hausotter-Grundschule aber abgelehnt haben soll. So fiel sie – was die Bildungsverwaltung dem Tagesspiegel inzwischen bestätigte – bei der erneuten Schulinspektion 2015/16 wieder durch.

Bei so gravierenden Befunden schickt die Senatsverwaltung normalerweise ihre kompetentesten Fachleute von „proSchul“ in die Einrichtungen – allerdings soll der damalige Leiter der Hausotter-Schule auch dies abgelehnt haben.

Dass in solchen Fällen dann einfach keine Hilfe mehr angeboten wird beziehungsweise auch keine Schulinspektionen mehr stattfinden, wollte die Bildungsverwaltung am Montag nicht bestätigen.

„Nein, das stimmt nicht“, sagte ein Sprecher auf Anfrage des Tagesspiegels: „Die Schulinspektion kommt weiterhin, auch nach zwei schlechten Berichten.“ Im Fall der Hausotter-Schule habe man ja noch anderweitig reagiert und eine neue Schulleiterin eingesetzt. Diese hatte sich dann auch um Schulpsychologen und -sozialarbeiter gekümmert, die Situation aber ganz offensichtlich trotzdem nicht in den Griff bekommen.

Schulen wollen in der Öffentlichkeit gut dastehen

Diskriminierung, Diebstähle, Gewalttaten – wie kriminell es an einzelnen Berliner Schulen zugeht, blieb der Öffentlichkeit lange verborgen. „Anders als Polizisten sind Schulleiter und Lehrer nicht verpflichtet, an ihrer Schule begangene Straftaten anzuzeigen“, sagt der ehemalige Leiter der Polizeidirektion 6, Michael Knape. „Keinem ist aber daran gelegen, dass seine Schule in der Öffentlichkeit schlecht dasteht. Und das ist ein großes Problem.“

Auch die Senatsinnenverwaltung hielt sich lange mit konkreten Auskünften bedeckt. Auf entsprechende Anfragen hieß es stets, man könne die Straftaten an Schulen nur nach Bezirken, aber nicht nach einzelnen Einrichtungen erfassen. Der FDP-Innenpolitiker Marcel Luthe hatte dagegen beim Berliner Verfassungsgericht geklagt – und Recht bekommen. Im vergangenen Jahr veröffentlichte die Innenverwaltung daraufhin erstmals eine 224 Seiten lange detaillierte Auflistung von Straftaten, die an den etwa 700 Berliner Schulen begangen wurden.

Viele Lehrkräfte und Schulleitungen tun sich nach wie vor schwer damit, offen mit den Problemen umzugehen. Dabei seien sie verantwortlich für die körperliche und seelische Unversehrtheit der Kinder, so lange sie sich an der Schule aufhalten, sagt Michael Knape. Um das Bewusstsein dafür zu schärfen, hat er als Leiter der Polizeidirektion Patenschaften beziehungsweise Kooperationsvereinbarungen mit den Schulen ins Leben gerufen, denn, so sagt er: „Solche schrecklichen Geschehnisse wie jetzt an der Hausotter-Grundschule in Reinickendorf waren und sind absolut keine Einzelfälle“.

Brauchen Sie Hilfe? Das Kinder- und Jugendtelefon der Telefonseelsorge ist erreichbar unter der Nummer 11 61 11.

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