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Die Deutsche Umwelthilfe, die sich für saubere Luft einsetzt, ist für Bäumer Ziel einer Kampagne konservativer Politiker.

© picture alliance/dpa

Mit Transparenz gegen Korruption: „Es geht nicht um Einzelfälle, sondern um Strukturen“

Hartmut Bäumer, Deutschland-Chef von Transparency International, über institutionelle Korruption und die Initiative für ein Berliner Transparenzgesetz.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Herr Bäumer, fast jeder hat schon mal von Transparency International gehört. Aber was machen Sie eigentlich?

Transparenz – das ist der Name unseres wichtigsten Mittels zur Bekämpfung von Korruption. Wir wollen Licht in politische und wirtschaftliche Prozesse bringen. Vor allem dort, wo nicht sicher ist, dass mit lauteren Mitteln gearbeitet wird. Uns geht es nicht um Einzelfälle, sondern um die Strukturen, die Korruption begünstigen. Etwa in der Auto-, der Finanz- oder der Pharmabranche, bei der Parteienfinanzierung oder dem Lobbyismus in den Parlamenten.

Wie groß ist die deutsche Organisation?

Das deutsche „Chapter“, wie die Länderorganisationen heißen, hat knapp 1300 Mitglieder, über deren Beiträge,100 Euro jährlich, wir uns finanzieren. Außerdem gibt es kooperative Mitglieder, das sind Kommunen oder Unternehmen, die zahlen jeweils rund 6000 Euro pro Jahr ein. Der ehrenamtliche Vorstand besteht aus zwölf Personen, außerdem haben wir sechs bezahlte Mitarbeiter.

Korruption bleibt Ihr Hauptthema?

Ja, allerdings definieren wir Korruption weiter als nur den Bestechungstatbestand. In Deutschland und den meisten hoch entwickelten Ländern hat sich der Schwerpunkt unserer Arbeit zur „institutionellen Korruption“ verschoben. Die Zusammenarbeit von Politik und großen Unternehmen erübrigt häufig individuelle Bestechung. Wir nehmen daher Diesel-Gate unter die Lupe, kriminelle Bankengeschäfte wie Cum-Ex oder die Pharmabranche. Es geht um den Missbrauch anvertrauter Macht für private Zwecke.

Das müssen Sie genauer erklären.

Bei den großen Zukunftsfragen wie Klimawandel, Digitalisierung, Globalisierung und soziale Ungleichheit prallen politische, soziale und ökonomische Interessen hart aufeinander. Die Akteure sind Politiker, Unternehmer, aber auch Gewerkschaften und andere Großorganisationen. Wie etwa die IG Metall beim Diesel-Gate agiert, ist für einen langjährigen Gewerkschafter wie mich sehr unerfreulich. Viele wollen des eigenen Vorteils wegen am Alten festhalten, den Besitzstand wahren. Und das leider oft gesetzeswidrig. Das gilt teilweise auch für Rüstungsgeschäfte oder den Ausstieg aus der Kohle. Oder für die Pharmaindustrie, die neue Medikamente auf den Markt bringen will und gleichzeitig versucht, die Gremien zu vereinnahmen, die für die Genehmigung zuständig sind. Deshalb ist Transparenz im Lobbyismus für uns ein zentrales Thema.

Sie schauen auch auf Berlin?

Berlin-Brandenburg ist unsere größte Regionalgruppe mit sehr aktiven Mitgliedern. Wir drängen seit Koalitionsbeginn auf die Verabschiedung eines Transparenzgesetzes, leider bisher ohne Erfolg. Daher hat sich nun eine Initiative für ein Volksbegehren gebildet, noch ohne aktive Beteiligung von Transparency. Im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag wird ein solches Gesetz versprochen, aber es ist wie so oft in Berlin: Vieles zerfleddert, wird nicht richtig entschieden, die Anstöße müssen von außen kommen.

Die Unterschriftensammlung für das Volksbegehren verzögert sich, weil die Innenverwaltung noch keine Kostenschätzung vorgelegt hat. Ob das so gewollt ist?

Wenn es so wäre, fände ich das leider typisch für Berlin.

Hartmut Bäumer ist seit 15. Juni Vorsitzender von Transparency International Deutschland.
Hartmut Bäumer ist seit 15. Juni Vorsitzender von Transparency International Deutschland.

© promo

In Hamburg gibt es seit 2012 ein Transparenzgesetz. Wie sind die Erfahrungen?

Die Kritiker, die anfangs dagegen waren, sind fast alle verstummt. In Hamburg soll das Gesetz jetzt erweitert werden, auch auf Druck der dortigen Regionalgruppe von Transparency und anderer Organisationen. Transparenz von Politik und Verwaltung ist natürlich immer ein kontroverses Thema. Ich war lange Ministerialbeamter und weiß aus Erfahrung, dass jede Regierung geschützte Spielräume braucht. Bevor ein Problem intern nicht bis zum Kabinettsbeschluss gereift ist, sollte nicht alles offengelegt werden müssen, um interne Debatten nicht abzuwürgen.

Der sogenannte Kernbereich exekutiven Handelns ist verfassungsrechtlich geschützt, da muss doch niemand Angst vor zu viel Transparenz haben.

Ich will mal ein Beispiel nennen, aus meiner Zeit als Ministerialrat im baden-württembergischen Verkehrsministerium. Damals war ich für den Bahnhof „Stuttgart 21“ zuständig und habe meine Mitarbeiter gebeten, die Argumente aller Parteien zu dem Bauprojekt zusammenzustellen, gerade auch die der Befürworter des Projektes. Wäre dieses Papier öffentlich geworden, hätten mir die Gegner eventuell vorgeworfen: Bäumer hat sich von der Mehrheit der Befürworter umdrehen lassen. Für meine Arbeit musste ich aber alle Argumente kennen. Trotzdem bin ich für große Transparenz von Regierungshandeln. Was beschlossene Sache ist, muss für jedermann zugänglich sein.

Können Volksbegehren helfen, die Bürger zu interessieren?

Berlin hat seit Jahren ein Informationsfreiheitsgesetz. Wofür braucht man da noch ein Transparenzgesetz?

Bisher müssen interessierte Bürger jedes einzelne Informationsbegehren beantragen und teilweise dafür bezahlen. Das ist eine relativ hohe Barriere. Gerade repräsentative Demokratien sollten mit politischen und Verwaltungsentscheidungen viel offener umgehen. Wenn die Bürger ihre Regierungen nur alle vier oder fünf Jahre wählen dürfen, müssen sie wenigstens wissen, auf welcher Grundlage die Regierung handelt – und wer Einfluss nimmt. Allein die Furcht, dass Dinge aufgedeckt werden, die nicht in Ordnung sind, verhindert einiges. Ein Beispiel: die Deutsche Umwelthilfe, die sich für die Einhaltung von Recht und Gesetz einsetzt. Die Kampagne, die von konservativen Politikern gegen die Organisation geführt wird, macht deutlich, wie sehr Transparenz gefürchtet wird – und wie wichtig sie ist.

Ist die breite Bevölkerung wirklich daran interessiert, mit Hilfe eines Transparenzgesetzes Regierungsbeschlüsse, Verträge, Gutachten, Vergabe- und Planungsunterlagen, Zuwendungsbescheide, Umwelt- oder Lobbyregister zu lesen? In der Regel sind das schwer verständliche Papiere.

Aktive Bürger, die sich kümmern, sind oft nur eine kleine Gruppe. Ihr Engagement ist so wichtig, weil sie den Finger in die Wunde legen. Aber es wollen doch alle Bürgerinnen und Bürger gut regiert werden und deshalb wäre es für die Demokratie gut, mehr Menschen für öffentliche Angelegenheiten zu interessieren. Warum wandern denn so viele Wähler zur AfD ab? Weil sie sich in Politik und Gesellschaft nicht mehr wiederfinden.

Wie bringt man Menschen dazu, sich zu beteiligen und für die Hintergründe von Politik und Wirtschaft zu interessieren?

Durch Angebote an Teilnahme und Transparenz, und durch die Aufforderung, sich zu engagieren. Ich war kürzlich in München bei einer Veranstaltung über den Lobbyismus, da forderte mich ein Teilnehmer auf: Sie als Transparency International müssen einen TÜV für alle Abgeordneten einführen! Ich habe ihm vorgeschlagen, sich die Abgeordneten erst einmal selbst anzuschauen. Kontrolle und Transparenz muss man nicht delegieren.

Können Volksbegehren helfen, die Bürger zu interessieren?

Ich habe zehn Jahre in Bayern gelebt, dort ist man mit der direkten Demokratie immer gut gefahren. Als Korrektiv können Plebiszite wichtig sein. Aber ihre Qualität hängt davon ab, wie gut die Bürgerinnen und Bürger das Problem kennen, das zur Abstimmung steht.

Transparency will auch die Parteienfinanzierung reformieren. Warum?

Wir finden die Grenze für eine sofortige Veröffentlichung von Parteispenden von 50 000 Euro viel zu hoch. Wir schlagen 10 000 Euro vor. Und wir wollen das Sponsoring transparenter machen. Wenn auf Parteitagen Unternehmen oder Organisationen für einen Infostand hohe Gebühren zahlen, ist das eine verdeckte Parteispende. Dieses Sponsoring sollte wenigstens offengelegt werden. Ich weiß, die Parteien haben es auch finanziell schwer, je mehr die politische Landschaft zerfasert. Für alle wird der Kuchen kleiner. Aber das ist nun mal der Wählerwille. Wer nichts zu verbergen hat, muss sich vor Transparenz nicht fürchten.

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