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An jeder Ecke Erinnerungen. Am U-Bahnhof hat Laura Tonke als Kind gern Eis gegessen – das Café Dinos gibt’s noch immer.

© Doris Spiekermann-Klaas

Mit Schauspielerin Laura Tonke durch Schöneberg: Ein Blick zurück, ein Blick nach vorn

Hier wuchs sie auf, hier stürzte sie sich ins Nachtleben, hierher will sie zurück: Laura Tonke spaziert durch ihren Kiez.

Sie hieß „Beerenkorb“, das weiß Laura Tonke noch genau. „Kennst du das, wenn eine Eissorte so einen komischen Namen hat, dass man sich gar nicht traut, sie zu bestellen? So ging es mir hier oft als Kind.“ Tonke, die vor dem Verkaufstresen in Dinos Eiscafé am U-Bahnhof Kleistpark steht, dreht sich um. Goldblonde Haare, grau-grüne Augen. Und dieser Laura-Tonke-Blick. Ein Blick, der den Dingen Bedeutung verleiht, wenn sie auch so klein sein mögen wie der Name einer Eissorte. Der etwas preisgibt. Und etwas riskiert. Der das Schutzschild zwischen zwei Menschen ignoriert, als gäbe es nur Gleiche auf der Welt: Ein Blick, ein Wort, und aus Fremden werden Vertraute.

Einige Minuten zuvor. Auf dem Weg, den Tonke an diesem spätsommerlichen Vormittag nach vielen Jahren zum ersten Mal wieder läuft. Er beginnt an der Sophie-Scholl-Schule. Hier wurde die Schauspielerin, die in über 70 Film- und Fernsehproduktionen mitwirkte, zweimal den Deutschen Filmpreis erhielt und derzeit in dem Familienstreifen „Mein Lotta-Leben – Alles Bingo mit Flamingo“ zu sehen ist, mit 15 Jahren auf dem Schulhof entdeckt.

Ihr alter Nachhauseweg führt durch den Heinrich-von-Kleist-Park. Unter den Königskolonnaden hat ein Obdachloser sein Lager aufgeschlagen. Könnte sie sich für ein Foto unter den Säulengang stellen? „Klar, da liegen ja auch meine Matratzen“, sagt Tonke. Und was ein schlechter Witz sein könnte, wird durch etwas kaum Greifbares, vielleicht den ironiefreien Ton, zu einem Statement menschlicher Allianz.

Das Verständnis der Abgründe, in die jeder unverschuldet hineingeraten kann – möglicherweise rührt es daher, dass Tonkes Eltern vor ihrer Geburt in einem der ersten Kinderläden für benachteiligte Kinder Kreuzberg und Neukölln im Künstlerhaus Bethanien gearbeitet haben. „Es war etwas Besonderes damals, wenn es Stifte und Papier für die Kinder gab“, erinnert sich die 45-Jährige. Sie selbst ist erst in Friedenau, später in Schöneberg auf Wunsch ihrer Eltern in eine der ersten Integrationsklassen gegangen.

Jede Menge Freiheit und Ideen im Kopf

Wenn seine Tochter wie so oft drauf und dran war, zu spät zur Schule zu kommen, trieb der Vater sie nicht an, sondern riet ihr mitfühlend, doch liegen zu bleiben, wenn sie noch so müde sei. Er arbeitete damals schon längere Zeit als Filmausstatter. Durch ihn und die vielen Setbesuche habe sich ihre Leidenschaft für den Film entwickelt, erzählt Tonke. Die Mutter ist Künstlerin, war zeitweise auch Inhaberin eines Spielwarenladens. Beide Eltern lebensfroh, mit jeder Menge Freiheit und Ideen im Kopf. Eine Lebendigkeit, die Konventionen hinterfragt und dem oft schüchternen Mädchen, das seine eigene innere Freiheit erst so richtig im Schauspielen entdecken und leben soll, manchmal etwas viel ist. Doch es ist eine glückliche Zeit.

Der Erinnerung daran begegnet Laura Tonke in ihrem alten Kiez zwischen Kleistpark und Monumentenbrücke auf Schritt und Tritt. Da in der Langenscheidtstraße hat ihr einmal ein Friseur die Haare – überraschend für alle Beteiligten – auberginefarben gefärbt. Dort oben unterhalb der Langenscheidtbrücke im Dickicht an den S-Bahn-Gleisen hat sie oft mit ihren besten Freunden, den Nachbarskindern Sarah und Benjamin, gespielt. Damals sei die S-Bahn nur einmal in der Stunde gefahren und einen hohen Metallzaun habe es auch noch nicht gegeben, erinnert sich Tonke.

Plötzlich ein freudig-überraschtes „Hallo“ und innige Umarmungen: Es sind Drehbuchautor Horst Markgraf und ein guter Freund aus Tonkes Jugendtagen. Vor 25 Jahren hatte Markgraf sie zum ersten Mal in den legendären Club Ex’n’Pop in der Mansteinstraße mitgenommen, wo einst die Einstürzenden Neubauten und Nick Cave ein und aus gegangen sein sollen.

Tonkes Reise zurück in die Vergangenheit weckt auch gemischte Gefühle, denn Älterwerden gehört nicht zu den Dingen, mit denen Tonke sich leicht anfreunden kann. Zwischen den Gräbern auf dem Alten Sankt-Matthäus-Kirchhof ist deutlich zu spüren, wie die Zeit vergeht. Rio Reiser liegt hier begraben. Der „Ton Steine Scherben“-Sänger war der Trauzeuge von Tonkes Eltern, und sein wütend-melancholischer Impetus begleitete ihre Kindheit und Jugend.

Alle versuchen, sich zu retten

Doch Schöneberg bedeutet auch Zukunft: Nach 18 Jahren in Mitte will Tonke nun mit ihrem Mann, einem Künstler und Musiker, und dem achtjährigen Sohn hierher zurückziehen. Die Wohnung nahe dem Arkonaplatz war eigentlich schon immer zu klein für drei, und die dortigen Mieten sind inzwischen so hoch geworden, dass der Trend zum Stapeln geht: Freunde von Tonke haben über ihr Hochbett noch ein Netz zum Hineinlegen gespannt. „Ich habe das Gefühl, dass gerade alle irgendwie versuchen, sich zu retten“, sagt Tonke.

Dann bleibt sie stehen. „Ach, schau mal, das kenne ich“, sagt sie überrascht und zeigt auf ein Schaufenster: Neben Kristallzucht- und Chemiekästen liegt das handtellergroße Präparat eines Limulus, eines Pfeilschwanzkrebses. Hier bei „Fiebig Lehrmittel“ stöberte sie als Kind mit ihren Freunden gern und oft, nicht immer zur Freude des Inhabers. Später wird Tonke noch das Foto eines lebenden, sehr viel größeren Pfeilschwanzkrebses im flachen Wasser schicken, menschliche Beinpaare daneben. Eine Aufnahme aus dem Mexiko-Urlaub mit der chilenischen Familie ihres Mannes.

Für ihren Sohn wünscht sich Tonke manchmal mehr Freiräume. Wenn da nicht die wilden Tiere wären. Denn den Plan, ihn im Wald rund um die mit Freunden außerhalb Berlins gepachtete Datsche frei spielen zu lassen, kommentiert der dortige Förster mit der Bemerkung: „Sie wissen, dass es hier Wölfe gibt?“

Tonke erzählt am liebsten so, wie sie nur spielen kann, wenn sie sich wohlfühlt: intuitiv. Mit trockenem Humor und dem Urvertrauen, verstanden zu werden. So wie in ihrem bisher größten Erfolg „Hedi Schneider steckt fest“, für den sie 2016 den Deutschen Filmpreis für die beste weibliche Hauptrolle bekam. Den Preis für die beste weibliche Nebenrolle, nämlich in der Verfilmung des Sarah-Kuttner-Romans „Mängelexemplar“, hat sie an jenem Tag auch noch mit nach Hause genommen. „Mit drei Jahren wollte ich Schauspielerin sein, um umjubelt zu werden. Später merkte ich dann, wie viel Freude mir das Spielen macht.“

Irgendwann dreht sie einen Blockbuster

Doch der innig geliebte Beruf hat auch Schattenseiten. Wenn sie ihr Äußerstes gegeben hat und den Arthouse-Film wieder nur einige Hundert in der Spätvorstellung sehen. Wenn sie schief angeschaut wird, weil sie „schon wieder Fernsehen macht“. Dabei braucht Tonke das manchmal: für ein größeres Publikum spielen. Der Erfolg mit „Hedi“ und die ihr auch von Schauspielerkollegen entgegengebrachte Anerkennung taten ihr sehr gut.

Auf einer Bank im nahe gelegenen Kreuzberger Viktoriapark, wo sie früher mit den Nachbarskindern Schlitten fuhr, erzählt Tonke, dass sie gerade mit ihrem Sohn „Die unendliche Geschichte“ liest. „Eine gute Parabel dafür, wie sich Wünsche in uns formen und uns leiten“, sagt sie. Auch in Tonke hat sich inzwischen ein neuer Wunsch gebildet: Irgendwann möchte sie gern ein richtig großes Projekt drehen, das Wort Blockbuster fällt.

Doch erst mal schaut Tonke in die nähere Zukunft. Sie wird mit dem Performance-Theaterkollektiv „Gob Squad“, dem sie seit Jahren angehört, nach Tschechien reisen und sich wieder mal richtig frei spielen. Und im kommenden Jahr stehen drei Komödiendrehs an, einer à la „Jules und Jim“ – mit französischen Filmen ist Tonke aufgewachsen. Ein anderer mit Außerirdischen. Beim dritten wird sie wieder mit Regisseurin Laura Lackmann zusammenarbeiten, für die sie schon zweimal, darunter für „Mängelexemplar“, vor der Kamera stand und mit der sie schon lange befreundet ist. „Ich freue mich schon sehr darauf“, sagt sie, und da ist er wieder, der Laura-Tonke-Blick.

Eva Steiner

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