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Sarah Bosetti und Ahne im Cafe "Schwarze Pumpe" in Berlin-Mitte

© Doris Spiekermann-Klaas

"Mit euch möchten wir alt werden": Ein wenig wie Punk: Neue Anthologie der Berliner Lesebühnen

Zwischen Dichterlesung und Poetry Slam – Lesebühnen sind angesagt wie nie. 1989 entstand Berlins erste, nun erscheint eine Jubiläumsanthologie.

Mit den Büchern ist es ein wenig wie mit Konzerten: Letztere sind zunehmend ausverkauft, während mit Tonträgern immer weniger Geld verdient wird. Ebenso sinkt der Absatz des guten alten Buches. Was in Deutschland dagegen brummt: öffentliches Lesen.

Die Lesung als Event ist in Deutschland in Mode wie nie. Die allererste Lesebühne wurde 1987 amtlich in Magdeburg, in der damaligen DDR. Zwei Jahre später ging es dann auch in Berlin los, die „Höhnende Wochenschau“ am Nollendorfplatz gilt als erste Lesebühne der Stadt. Inzwischen ist Berlin unangefochtene Welthauptstadt der Lesebühnen, so gut wie täglich kann man in den Kneipen und Clubs der Stadt eine besuchen. Auf zwei Dutzend kommen die Herausgeber des Buchs „Mit euch möchten wir alt werden“, das zum 30-jährigen Jubiläum der Berliner Lesebühnen erscheint.

„Zugegeben, der erste Hype der Lesebühnen ist vorbei, der zweite vielleicht auch schon“, heißt es im Vorwort der Jubiläums-Anthologie. Die Lesebühnen, die einst die klassische bildungsbürgerliche Autorenlesung alt aussehen ließen, werden von der Generation Poetry Slam nun selbst als ein wenig verstaubt angesehen. Eine Gang, die auf der Bühne in ungezwungener Atmosphäre kurze, meist erheiternde Texte vorträgt, mag erfrischender sein, als einen Großdichter Bedeutungsschweres in einer Buchhandlung vortragen zu sehen. Doch im Vergleich zum Poetry Slam, wo eine Pointe die andere jagen muss, um vom Publikum in die nächste Runde geklatscht zu werden, wirkt das Lesebühnen-Konzept wiederum eher gemütlich.

Lesebühnen sind auch Talentschmieden

Dabei möchten Sarah Bosetti, Mitherausgeberin der Lesebühnen-Anthologie, und Szene-Urgestein Arne Seidel, den man eigentlich nur unter dem Namen Ahne kennt, von einer klaren Abgrenzung verschiedener Lese-Formate gar nichts wissen. Die beiden sind Teil eigener Lesebühnen – Bosetti gehört zu den Couchpoetos, Ahne zur Reformbühne Heim & Welt. Sie machen beide aber auch bei Poetry Slams mit oder organisieren selbst welche, Bosetti ist nebenbei auch gelegentlich als Kabarettistin im Fernsehen zu sehen.

Es gebe eben, so Ahne beim Treffen in der „Schwarzen Pumpe“ in Mitte, Überschneidungen zwischen den Szenen. Jedoch: „Manche Sachen kannst Du immer noch nur auf Lesebühnen machen. Etwa mitten im Vortrag anfangen zu jonglieren. Oder einen Handstand machen.“ Lesebühnen seien für ihn deswegen auch „ein wenig wie Punk. Du kannst eigentlich alles machen.“

Dass Lesebühnen auch eine Talentschmiede sind, wird beim Durchblättern von „Mit euch möchten wir alt werden“ schnell klar. Texte von Wladimir Kaminer, Marc-Uwe Kling, Jochen Schmidt und Jacob Hein sind mit dabei, längst allesamt Stars weit über den Berliner Kulturbetrieb hinaus. Autoren, die ihre ersten Erfolge auf Lesebühnen hatten.

Was sich auch in der Anthologie widerspiegelt: Männer scheint es eher auf die Bühne zu drängen als Frauen. „Ja, die Lesebühnen sind sehr männlich geprägt“, bestätigt Bosetti, und Ahne ergänzt: „Das war von Anfang an ein Problem. Der Frauenanteil war schon immer niedrig. Wobei ich das Gefühl habe, dass er in den letzten Jahren ein wenig gestiegen ist.“

Die Trinkerei auf der Bühne hat abgenommen

Immerhin: Es bewegt sich etwas in der Szene. Früher haben Lesebühnen in verrauchten Kneipen stattgefunden, erzählt Ahne, „da sind schon mal Gläser geflogen und es wurde extrem viel getrunken. Das Niveau – nicht nur der Texte – war teilweise erschreckend.“ Das sei heute anders, und auch die Trinkerei auf der Bühne habe abgenommen. Zudem werde nicht mehr jede politische Unkorrektheit und Zote goutiert. Behindertenwitze mit billigen Pointen, sagt Bosetti, würde sie nicht machen. Wobei manche Kämpfe bezüglich der Bedeutung und Wirkung von Sprache in der Szene noch nicht endgültig ausgefochten seien.

Sarah Bosetti und Ahne verstehen sich gut und sind sich bei den meisten Gesprächspunkten auch relativ einig. Doch beim Thema gegenderte Sprache ist es mit dem Frieden vorbei. Ahne, 16 Jahre älter als die 1984 geborene Bosetti, macht klar, dass es von ihm niemals ein Binnen-I vor dem Bühnenmikro zu hören geben werde. Bosetti dagegen argumentiert, auch die Sprache auf Lesebühnen sollte versuchen, stärker Frauen zu inkludieren.

Nicht immer ganz einig sind die beiden sich auch darin, was eine gute Lesebühne heutzutage bieten sollte, um weiterhin ein attraktives Format zu bleiben. Kurz sollten die vorgetragenen Texte sein, so Ahne, „höchstens sieben Minuten lang“. Bosetti dagegen meint: „Ein Text muss genau so lang sein, wie er sein muss.“ Ein gelungener Lesebühnen-Abend müsse sich letztlich so anfühlen, als würde man „mit vielen Leuten gleichzeitig ein lustiges Buch lesen.“ Und zu diesem Satz nickt Ahne dann auch wieder zustimmend.

Sarah Bosetti, Andreas Scheffler, Volker Surmann (Hrsg.): Mit euch möchten wir alt werden - 30 Jahre Berliner Lesebühnen. Satyr Verlag. 20 Euro

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