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Warnung vor "Miet-Haischrecken": Teilnehmer der Mietendemo im April 2018 in Berlin.

© imago/IPON

Mit dem Vorschlaghammer: Welche Chancen hat das Volksbegehren zur Enteignung?

Tausende demonstrieren am Samstag gegen „Mietenwahnsinn“. In Berlin beginnt das Volksbegehren zur Enteignung von Immobilienunternehmen.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Am Sonnabend startet in Berlin die Unterschriftensammlung zum Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co enteignen“. Und zwar im Rahmen einer Großdemonstration, die unter dem Motto steht: „Gemeinsam gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn“. Mindestens 25.000 Teilnehmer werden erwartet. Das Volksbegehren ist so revolutionär wie strittig – und heizt inzwischen bundesweit die wohnungs- und mietenpolitische Debatte an.

Was steht zur Abstimmung?

Der Senat wird aufgefordert, ein „Gesetz zur Vergesellschaftung von Grund und Boden“ zu erarbeiten, das anschließend vom Abgeordnetenhaus beschlossen werden müsste. Wohnungsbestände und unbebaute Grundstücke von Berliner Immobilienunternehmen „mit Gewinnerzielungsabsicht“, die über mehr als 3000 Wohnungen verfügen, sollen in eine Anstalt öffentlichen Rechts überführt werden. Auch die Höhe einer Entschädigung „deutlich unterhalb des Marktwerts“ soll in dem Gesetz geregelt werden.

Wer unterstützt die Initiative?

Träger des Volksbegehrens ist ein Netzwerk von 200 Mieterinitiativen. Organisator der Initiative ist der parteilose Volkswirt Rouzbeh Taheri, seit Jahren ein Aktivist der Berliner Mieterbewegung. Maßgeblich beteiligt war er schon 2015 an einem Volksbegehren für eine soziale Mietenpolitik, dessen Forderungen vom damals rot-schwarzen Senat in einem „Berliner Wohnraumversorgungsgesetz“ weitgehend übernommen wurden.

Wie sieht der Zeitplan aus, wann ist mit einer Entscheidung zu rechnen?

Zunächst einmal müssen innerhalb von sechs Monaten 20.000 gültige Unterschriften gesammelt werden. Selbst die Gegner der Initiative gehen davon aus, dass dies in der Mieterstadt Berlin keine hohe Hürde ist. Um der Aktion von Anfang an mehr Wucht zu verleihen, peilen die Organisatoren sogar 50.000 Unterschriften an, die voraussichtlich im Laufe des Sommers dem Innensenator Andreas Geisel (SPD) übergeben werden.

Wenn das gelingt, müssen in der zweiten Stufe des Abstimmungsverfahrens binnen vier Monaten rund 175.000 Unterschriften (sieben Prozent der wahlberechtigten Berliner) zusammenkommen. Im Erfolgsfall findet ein Volksentscheid statt, der dieselbe Wirkung entfaltet wie ein Beschluss des Berliner Landesparlaments. Aber nur dann, wenn dem zur Abstimmung stehenden Vorschlag mehr als die Hälfte der Abstimmenden und mindestens 25 Prozent der Wahlberechtigten zustimmen. Bis es zu einem Volksentscheid kommt, geht erfahrungsgemäß viel Zeit ins Land. Damit ist frühestens im Herbst 2020 zu rechnen.

Muss ein erfolgreicher Volksentscheid umgesetzt werden?

In diesem Fall steht kein Gesetzentwurf zur Abstimmung, der bei einem erfolgreichen Volksentscheid sofort in Kraft treten würde. Es geht „nur“ um den politischen Auftrag an den Senat, vergleichbar mit einem Parlamentsbeschluss, ein Gesetz zu erarbeiten, das der Forderung nach Vergesellschaftung großer Wohnungsbestände Rechnung trägt. Ein solcher Beschluss ist nicht bindend, entfaltet aber politischen Druck. Wie die erfolgreiche Volksabstimmung zur Offenhaltung des Flughafens Tegel im September 2017 zeigte, kann der Senat unter großen Stress geraten, wenn er sich widersetzt.

Es gibt auch noch die Möglichkeit, dass sich die Enteignungsinitiative und die rot-rot-grüne Koalition im Vorfeld verständigen. Gleich nach der Unterschriftensammlung (erste Stufe des Abstimmungsverfahrens) hat das Abgeordnetenhaus die Möglichkeit, die Forderungen der Initiative zu übernehmen. Oder das Landesparlament kann, wenn es zum Volksbegehren (zweite Stufe) kommt, einen eigenen Vorschlag alternativ zur Abstimmung stellen. Sollte sich die Initiative trotzdem durchsetzen, hat das Abgeordnetenhaus noch einmal die Möglichkeit, den Entwurf des Volksbegehrens „in seinem wesentlichen Bestand unverändert“ zu übernehmen. In diesem Fall wird der Volksentscheid überflüssig.

Was bringt die Initiative überhaupt?

Im Werkzeugkasten der Wohnungs- und Mietenpolitik ist die Enteignung von Immobilienkonzernen der Vorschlaghammer. Selbst Rot-Rot-Grün ist sich prinzipiell einig, dass der Neubau von Wohnungen, die Verschärfung des Mietrechts auf Bundes- und Landesebene zugunsten der Mieter und die Nutzung des Vorkaufsrechts sowie der regelmäßige Ankauf kleinerer Wohnungsbestände Vorrang haben. Aber, so argumentieren die Linken und Teile von SPD und Grünen: Man müsse angesichts der Lage auf dem Wohnungsmarkt alle Möglichkeiten nutzen.

Die parlamentarische Opposition, private Investoren und Wirtschaftsverbände kritisieren hingegen, dass der Wohnungsbau in Berlin nur schleppend vorankommt und durch die Politik des rot-rot-grünen Senats und vieler Bezirksämter sogar behindert werde. Durch Enteignungen werde keine einzige neue Wohnung geschaffen. Bezweifelt wird auch, dass die vom Volksbegehren geforderte Kommunalisierung von fast 250.000 Wohnungen in Berlin das Marktgeschehen maßgeblich beeinflussen und preisdämpfend wirken könne. Und – private Investoren würden in Zukunft einen großen Bogen um Berlin machen.

Die Befürworter des Volksbegehrens verweisen hingegen darauf, dass mit der Vergesellschaftung von „Deutsche Wohnen & Co“ großenteils Wohnungsbestände rekommunalisiert würden, die in den neunziger Jahren noch in städtischem Eigentum waren und wegen der Finanznotlage Berlins leider privatisiert worden seien. Außerdem könne ein stark erweiterter kommunaler Wohnungsbestand in Berlin (550.000 statt 300.000 Wohnungen) durchaus dazu beitragen, die Marktmacht privater Immobilieneigner zurückzudrängen und dem explosiven Anstieg der Miet- und Grundstückspreise spürbar entgegenzuwirken.

Welche Kosten kämen mit der Enteignung großer Wohnungsbestände auf das Land Berlin zu?

Der Senat geht in seiner Kostenschätzung von einer Entschädigungssumme für 242.800 Wohnungen von 28,8 bis 36 Milliarden Euro aus. Hinzu kämen Nebenkosten für den Grunderwerb in Höhe von 180 Millionen Euro sowie Kosten des Vergesellschaftungsverfahrens in Höhe von 1,5 bis 2,9 Milliarden Euro. Dies müsste über 45 Jahre kreditfinanziert werden. Die zu gründende Anstalt öffentlichen Rechts soll 80 Prozent der Finanzierung stemmen. Am Ende der Rechnung stehen jährliche Finanzierungskosten im Berliner Haushalt von 100 bis 340 Millionen Euro. Die bundesrechtliche Schuldenbremse wäre nicht tangiert, möglicherweise aber das EU-Beihilferecht.

Die Initiative geht dagegen von einer Entschädigung deutlich unter Verkehrswert in Höhe von 18,1 Milliarden zuzüglich Nebenkosten aus, die sich komplett aus den Mieteinnahmen der Anstalt öffentlichen Rechts finanzieren ließen. Dies wäre sogar möglich, wenn die Nettokaltmieten der vergesellschafteten Wohnungen um durchschnittlich 97 Cent pro Quadratmeter sinken. Für das Land Berlin wäre die Enteignung, so gerechnet, haushaltsneutral.

Wären Enteignungen verfassungsrechtlich durchsetzbar?

Die Verfassungsrechtler, die sich dazu bisher geäußert haben, sind sich nicht einig. Seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurde der Artikel 15 Grundgesetz, den die Initiative bemüht, nie angewandt.

Es handelt sich also um ein Verfassungsrecht in Wartestellung, das im historischen Kontext der Nachkriegszeit entstand und von dem niemand weiß, ob es 70 Jahre später unter völlig anderen wirtschaftlichen und politischen Vorzeichen überhaupt noch anwendbar ist. Am Ende langwieriger juristischer Auseinandersetzungen wird wohl das Bundesverfassungsgericht darüber entscheiden.

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