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Kein Hindernisgrund: Das Bundesarbeitsgericht sieht im Kopftuch keine substanzielle Beeinträchtigung des Schullebens.

© imago/epd

„Mit Burka kann man schlecht unterrichten“: Berliner Arbeitsrechtler erklärt Folgen des Kopftuch-Urteils für Schulen

Lehrerinnen dürfen Kopftuch tragen, hat das Bundesarbeitsgericht entschieden. Was das für den Umgang mit religiösen Symbolen bedeutet, sagt ein FU-Professor.

Herr Rödl, nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts dürfen in Zukunft muslimische Lehrerinnen in Berlin mit Kopftuch unterrichten. Die Frage ist, wo die Grenzen der religiösen Symbole liegen. Ist der Tschador, der schwarze bodenlange Überwurf, auch erlaubt?
Die Quintessenz des Urteils scheint mir zu sein: Religiöse Kleidungs- und Schmuckstücke können nicht verboten werden, wenn sie die Arbeitsleistung der Lehrkraft, also den Unterricht, und die institutionelle Funktion der Schule nicht substanziell beeinträchtigen.

Religiöse Symbole sind auch der Niqab, der nur noch einen Sehschlitz freilässt und ansonsten selbst das Gesicht verhüllt, und die Burka, bei der das Gesicht hinter einem Stoffgitter verschwindet. Kann eine Lehrerin auch mit dieser Kleidung unterrichten?
Es sind jedenfalls Kleidungsstücke, die aus religiöser Überzeugung getragen werden. Aber Unterricht ist geprägt von Kommunikation und sozialer Interaktion. Lehrer und Schüler verbindet ein soziales Verhältnis. Und die Kommunikation ist massiv erschwert, wenn Gesichter verhüllt werden. Deswegen kann eine Lehrkraft mit Niqab oder Burka nach meiner Auffassung ihre Aufgabe tatsächlich nur schlecht erfüllen.

Und wenn eine muslimische Erzieherin Burka oder Niqab trägt?
Bei dem Gesetz geht es auch um andere Beschäftigte mit pädagogischem Auftrag in öffentlichen Schulen. Zu dieser Gruppe gehören auch Erzieherinnen, und sie heißen so, weil auch sie den Kindern etwas beibringen. Aus meiner Sicht kann auch eine Erzieherin, die Burka oder Niqab trägt, ihre Aufgabe nur schlecht erfüllen.

Aber Tschador kann sie tragen?
Durch diese Kleidung ist ihre Arbeitsleistung ja nicht beeinträchtigt. Es ist für sie vielleicht etwas unpraktisch.

Sikhs tragen einen Dastar, den kunstvoll gewickelten Turban. Das heißt, sie können damit Unterricht halten? Und ein Christ kann ein 40 Zentimeter langes Kreuz vor der Brust baumeln haben?
Der Christ müsste vielleicht erklären, warum das Kreuz ausgerechnet 40 Zentimeter lang sein muss. Aber davon abgesehen können wir jetzt sehr viele religiöse Zeichen durchgehen, die Antwort ist immer gleich: Wenn die Arbeitsleistung nicht beeinträchtigt ist, darf man religiösen Zeichen tragen. Sicher, das Urteil spricht ausdrücklich an, dass dadurch der Schulfrieden nicht gestört werden darf. Aber das müssen schon ganz besondere Fälle sein.

FU-Professor Florian Rödl.
FU-Professor Florian Rödl.

© promo

[Florian Rödl (48) ist Professor für Bürgerliches, Arbeits- und Sozialrecht an der Freien Universität in Berlin. Er forscht auch zu Grundlagen des kollektiven Arbeitsrechts.].

Thema Schulfrieden: Ein Lehrer einer Sekundarschule mit sehr vielen muslimischen Schülern kennt jüdische Schüler an seiner Lehranstalt. Er sagte, dass die sich nie religiös outen würden, sie würden ansonsten von muslimischen Mitschülern verprügelt. Ein Lehrer mit Kippa kann von älteren Schülern bei passender Gelegenheit durchaus auch körperlich angegangen werden. Stört allein diese Möglichkeit den Schulfrieden?
Das ist meines Erachtens keine Störung des Schulfriedens, sondern eine bedrückende Situation für den Lehrer. Es ist seine Entscheidung, ob er dennoch Kippa trägt. Allein dadurch ist seine Arbeit ja massiv erschwert, dazu muss er gar nicht tätlich angegangen werden. Es reicht, wenn sich muslimische Schüler im Unterricht abweisend verhalten oder sich von ihm nichts sagen lassen. Wenn er sich aber mutig trotzdem für die Kippa entscheidet, kann ihm das kein Dienstherr und kein Gesetzgeber unter Berufung auf den Schulfrieden untersagen.

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Wenn ein muslimischer Schüler sagt, er wolle nicht von einem Lehrer mit Kippa unterrichtet werden, oder seine Eltern sagen, ihr Kind soll keinen Juden als Pädagogen haben, was passiert dann?
Dann könnte man vordergründig denken, nun sei der Schulfrieden wirklich gestört. Und es wäre ja auch eine konflikthafte Situation. Aber wer hat jetzt welche Verpflichtung? Es wäre ein Unding, zu erklären, der Schulfrieden sei gestört, nur weil Eltern oder Schüler eine jüdische Lehrkraft ablehnen. Das würde ja bedeuten, dass das antisemitische Ressentiment die Religionsfreiheit ausschalten kann. Nein, in so einem Fall muss sich die Schulleitung schützend vor den Pädagogen stellen. Sie muss nachhaltig sicherstellen, dass sowohl geordneter Unterricht als auch Religionsausübung gewährleistet ist. Das gilt natürlich auch bei der Ablehnung einer Lehrerin mit Kopftuch.

Was ist, wenn eine Sportlehrerin nur im Burkini Schwimmunterricht geben will?
Die übliche Frage: Hindert der Burkini die Lehrerin daran, ihren Unterricht nach pädagogischen Maßstäben abzuhalten? Natürlich ist ein Ganzkörperanzug sehr ungewöhnlich, und die Kinder stellen Fragen oder machen abfällige Bemerkungen. Mag sein, aber das ist kein Grund, um den Burkini zu verbieten. Grundsätzlich verpflichtet sich ein Arbeitnehmer nur dazu, die versprochene Arbeitsleistung zu bringen. Er verpflichtet sich nicht, auf seine Religionsausübung zu verzichten. Das ist allgemein die Pointe beim Arbeitsvertrag: Die Arbeitsleistung steht dem Arbeitgeber zu, aber sie wird von jemandem erbracht, der nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch Persönlichkeit ist und bleiben darf. 

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