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Anna Thalbach findet, dass Berlin das gewisse Understatement verloren gegangenen ist.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Mit Anna Thalbach durch Prenzlauer Berg: „Wir sind hier die letzten Mohikaner“

Schauspielerin Anna Thalbach erlebt seit 20 Jahren die Veränderungen im Kiez. Wie ihre Mutter Katharina Thalbach war auch sie einmal zum Umzug gezwungen.

Für einen Montagmorgen ist es ruhig am Zionskirchplatz. Auch Anna Thalbach fühlt sich morgens „ganz geschmeidig“ und trägt ihr Haar ausnahmsweise offen. Das Wetter, tief hängende Wolken und grau, wirkt wie bestellt, um mit der gepflegt patinierten Fassade der Zionskirche zu harmonieren, diesem mächtigen Symbol des Widerstands gegen die Nazis. „Von Widerstand jeglicher Art ist in dieser Gegend heute aber nichts mehr übrig“, sagt sie. „Wir sind hier mit meinem Nachbarn die letzten Mohikaner.“ Dieses Wir umfasst auch Chanti, ihren Chihuahua, der seine rote Zunge wie eine warnfarbene Flagge immer aus dem kleinen Maul hängen lässt.

Als unweit ein anderer Hundehalter seinen Vierbeiner sein Geschäft auf dem Rasen vor der Kirche verrichten lässt, empört sich die Schauspielerin gerade laut genug, dass auch er es auf die Distanz hört. „Ich pöbele ganz gern, wenn es passt,“ sagt sie belustigt. Lässt sie sich mal gehen, falle ihr aber meistens schnell ein, dass sie ein Promi sei. Und damit das nicht morgen in irgendeiner Zeitung steht, reiße sie sich am Riemen. Die Promileine, sozusagen. „Hunde, die nicht an der Leine sind, hören am besten“, sagt sie später auf Chanti bezogen. Die Promileine ist heute aber nicht der einzige Grund zum Pöbeln.

Anna Thalbach vor der Zionskirche in Berlin Prenzlauer Berg.
Anna Thalbach vor der Zionskirche in Berlin Prenzlauer Berg.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Diese Gegend, das ist die Rosenthaler Vorstadt, in der Anna Thalbach seit 20 Jahren lebt, mit nur einem Umzug innerhalb derselben Straße in dieser Zeit. Grund für den Umzug: Verdrängung und Preissteigerung, wie überall in der Nachbarschaft. Aktuell ist auch ihre Mutter Katharina Thalbach von der berüchtigten Eigenbedarfskündigung durch den Vermieter betroffen – ein Begriff, der Chancen als Kandidat für das „Unwort des Jahres“ haben könnte. Gerade in dieser Gegend.

Beim Spaziergang durch die angrenzenden Straßen fällt schnell auf, dass Thalbach über ihren Kiez vor allem im Präteritum spricht. „Da vorne, wo jetzt zwei Typen mit Vollbart sitzen, war früher ein ganz süßer Vietnamese.“ Ihm sei kurz vor dem Eintritt ins Rentenalter gekündigt worden. Ein Kieztreffpunkt sei verloren gegangen. Frühstücken könne man in der Gegend kaum noch, seit die guten Bäcker verschwunden sind. Hier in der Zionskirchstraße habe es eine Pferdetherapeutin gegeben, da in der Anklamer Straße eine Kohlenhandlung, aus der die Menschen immer schwarz herauskamen, wenn Thalbach mit Tochter Nellie vorbeiging.

Die letzte Bastion der Subkultur

Dann sei hier eine Baustelle gewesen, auf dem Banner die kuriose Aufschrift „Living in Digital Baroque“, was „sich weder damals erschloss, noch heute erschließt“. Nur das ACUD habe sich gehalten, als letzte Bastion der Subkultur. Auch das Planschbecken im Weinbergspark sei früher mit seinen Spritzfontänen schöner gewesen, selbst wenn die darin umherrennenden Kinder häufiger ausgerutscht sind. Heute renne keines mehr, sie würden nur noch mehr oder weniger brav an den Wasserhähnen Schlange stehen, um ihre Plastikflaschen zu befüllen. Und welches Kind spielt nicht gern Schlangestehen?

ACUD Club Berlin. Immer noch da.
ACUD Club Berlin. Immer noch da.

© Mike Wolff, TSP

„Rein optisch ist es hier schön“, sagt sie. Sie erinnert sich, wie schwarz die Fassaden der Häuser in Choriner und Zionskirchstraße waren, als sie sie zum ersten Mal als Kind zu Ostzeiten sah. Den Anblick habe sie geliebt. Das sei noch Ruß vom Krieg gewesen. „Den haben sie zwar mittlerweile entfernt, aber zum Glück eine Spur Patina auf den Fassaden belassen. In München oder Wien sähe das alles längst aus wie Hochzeitstorte mit Sahne obendrauf.“ Hübsche Fassaden genügen aber nicht, um eine Bindung zwischen Mensch und Kiez zu schaffen.

Sie wehre sich dagegen, in stumpfe Stammtischverbitterung und den Früher-war-alles-besser-Kanon zu verfallen, sagt Thalbach. Das Problem sei nicht, dass sich Dinge veränderten und Neues entstehe. Aber die Entwicklung hier gehe nicht von den Menschen aus. Und wirklich Neues bringe sie auch nicht, nur das gleiche Gentrifizierungsmuster wie in vielen anderen Städten. Designer-Babyzubehör und Tortenbäcker mit französischen Namen erinnern an den Lifestyle vom Savignyplatz vor 25 Jahren.

Ein altes Bild also, dem aber etwas fehlt: „Was Berlin einmal hatte, dieses gewisse Understatement, ein Tiefstapeln, aber trotzdem ’ne große Fresse, diese einzigartige Mischung fand ich sehr schön. Mittlerweile ist Berlin eine Großstadt wie jede andere. Dickes Auto, schick essen gehen, so Attribute, die für Berlin nie standen.“

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Wie überall, wo Subkultur blüht, zieht sie Menschen an, die sich mit ihr schmücken. Und sie zerstören. „Bonzenkinder, die auf Punk machen, das ist nicht echt“, sagt sie, das dürfe man nicht verwechseln. Hier Menschen mit echten Anliegen, da Menschen, die Kultur vor allem als Angebot zum Konsum begreifen – und als Geschäftsmodell. Die Subkultur verliert so an Glaubwürdigkeit, ganz zu schweigen von bezahlbaren Existenzbedingungen. „Ohne Subkultur gibt es aber gar keine Kultur, und das ist fatal. Aber ohne Kultur verrohen wir, ganz einfach.“

Hinter der Animation verschwinden

Wie kann jemand mit so starkem Bedürfnis nach Echtheit ausgerechnet Schauspielerin sein? Ist nicht das Schauspiel der Inbegriff des Unechten, der bloßen Fassade? Für Anna Thalbach nicht. Sie träumt von einer „CGI“-Rolle, also davon, eine Animationsfigur zu spielen, wie den von Andy Serkis gespielten „Gollum“ in „Der Herr der Ringe“. Der Schauspieler verschwindet dabei fast vollständig hinter der Animation.

In den Vordergrund rückt dafür etwas anderes, Echtes: Für Thalbach birgt die Computeranimation das Versprechen von „purem Schauspiel. Nur noch die Rolle, ohne meine Person und die ganze Promimaschine.“ Von ihren Rollen entkoppelt bliebe so auf der anderen Seite nur noch Anna Thalbach, in echt, ohne professionelle Fassade und Promileine. In einem Berliner Kiez mit diesem gewissen Understatement und ’ner großen Fresse, wenn es passt.

Anna Thalbach, Jahrgang 1973, feiert aktuell zwei Premieren. Ab Mittwoch, 8. Januar, spielt sie bei „Hase Hase“ an der Seite ihrer Mutter in der Komödie am Kurfürstendamm im Schillertheater. Am 9. Januar kommt der Film „Vier Zauberhafte Schwestern“ in die Kinos, in dem sie neben Katja Riemann und Justus von Dohnànyi eine Kinderwelt rettet.

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