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Schülerinnen und Schüler der Staatlichen Ballettschule.

© Frank Henkel

„Mir fällt das Wort Rechtsmissbrauch ein“: Richterin erhebt harte Vorwürfe gegen Land Berlin im Streit mit Ballettschulleiter

Berlin und der gekündigte Leiter der Ballettschule suchen eine gütliche Lösung. Zuvor übte das Landesarbeitsgericht harte Kritik an der Bildungsverwaltung.

Irgendwann fiel Richterin Oda Hinrichs zum juristischen Verhalten des Landes Berlin das Wort „Rechtsmissbrauch“ ein. So deutlich ging’s ansonsten zwar nicht zu, aber die Tonlage war gesetzt vor dem Landesarbeitsgericht im Verfahren um Ralf Stabel, den gekündigten Leiter der Staatlichen Ballettschule.

Am Ende einigten sich Stabels Anwalt Jens Brückner und Roland Gastell, Anwalt des Landes, darauf, dass sie bis 31. Mai eine Lösung finden. Vorher wird kein Urteil verkündet. Zuvor hatte Gastell angeboten, dass Stabel zwar weiterbeschäftigt wird, aber nicht als Schulleiter oder in ähnlicher Position. Brückner lehnt das bisher ab.

Und er hat in diesem Lösungsgespräch die erheblich stärkere Position. Denn im Verfahren wurde sehr schnell klar, wie schwach die Position des Landes ist. Die Senats-Bildungsverwaltung hatte Stabel wegen Missständen an der Ballettschule gekündigt. Aber schon die Vorinstanz hatte die Kündigung aus formellen Gründen für unwirksam erklärt.

Das Land legte gegen dieses Urteil Berufung ein, die jetzt auch Gegenstand des Verfahrens war, doch Oda Hinrichs hakte diesen Punkt erstmal im Schnelldurchgang ab. Die Begründungen der Senats-Bildungsverwaltung, die sie in der Berufung angeführt hatte, bezeichnete die Richterin lapidar als „Luftblasen“. Und deshalb „kann man darüber weg gehen.“

„Da hat sich die Vorinstanz im Verwaltungs- und Beamtenrecht verirrt“

Viel intensiver befasste sie sich mit einer anderen Berufung. Und das Land kam erneut ganz schlecht weg, diesmal allerdings wortreicher. Die Berufung hatte Jens Brückner eingelegt. Denn die Vorinstanz hatte auch geurteilt, dass die Kündigung von Stabel zwar unwirksam ist, er aber trotzdem zumindest nicht weiter als Schulleiter beschäftigt werden muss. Begründung: Stabel sei für diesen Job nicht qualifiziert, weil er das erste und zweite Staatsexamen nicht abgelegt habe.

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Oda Hinrichs bezeichnete diese Begründung zwar nicht als „Luftblase“, aber zumindest als falsch. „Da hat sich die Vorinstanz im Verwaltungs- und Beamtenrecht verirrt.“ Denn laut Berliner Schulgesetz müsse man als Schulleiter nicht zwingend beide Staatsexamen ablegen.

Vor allem nicht, wenn man eine Staatliche Ballettschule leite. „Denn für Tanz kann man überhaupt keine zwei Staatsexamen ablegen.“ Wichtig sei eine entsprechende Weiterbildung zum Schulleiter, durch Kurse, durch Fortbildungen. Die aber habe Stabel jeweils mit Bestnoten absolviert.

Nach zehn Jahren stellt die Verwaltung fest, dass Stabel nicht geeignet sei

Und zwar in den Jahren 2008 und 2009. 2010 ist er dann dauerhaft zum Schulleiter ernannt worden. Zehn Jahre lang also führte er die Ballettschule. Deshalb fand es Oda Hinrichs „komisch, dass die Senats-Bildungsverwaltung nach zehn Jahren merkt, dass jemand angeblich nicht die erforderliche Qualifikation besitzt“. Da fiel ihr „Rechtsmissbrauch“ ein.

Die Kündigung sei aufgrund „anonymer Vorwürfe gekommen“, sagte die Richterin. Aber diese Vorwürfe habe man bisher nicht belegt. „Wir haben keine Fakten, haben nichts Handfestes, nur Gerüchte.“

Stabel könne sich nicht wehren, weil es keine Fakten gebe. Aber auf dieser Basis könne man nicht die berufliche Karriere eines Mannes ruinieren. Oda Hinrichs wurde mal wieder kurzzeitig sehr deutlich: „Mir scheint, die Senats-Verwaltung verwechselt einen Schulleiter mit einem politischen Beamten. Den kann man ohne Begründung in den Ruhestand versetzen. Aber wir entscheiden hier nach Recht und Gesetz.“

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Für die Richterin handelte die Senats-Bildungsverwaltung, sinngemäß, auch als Getriebene. Es habe dieses anonyme Dossier gegeben, es habe eine öffentliche Berichterstattung über die Schule und die Zustände dort gegeben. „Der politische Druck ist durch öffentliche Vorwürfe immer stärker geworden, und hinterher weiß man nicht, wie man aus dem Schlamassel kommen soll“. Die Vorwürfe nannte sie „Luftblasen“.

Anwalt des Landes verweist auf Expertenbericht zu den Zuständen der Schule

Dieses Wort wollte Anwalt Gastell nicht stehen lassen. Er verwies unter anderem auf den Zwischenbericht einer Expertenkommission über die Missstände in der Schule, „der Bände spricht“. Hinrichs erklärte dazu: „Es gibt aber auch viele Menschen, die die Schule loben.“

Gastell räumte ein, „dass Herr Stabel nie hätte eingestellt werden dürfen“. Er gab auch zu, „dass es öffentlichen Druck gibt und die Gemengelage deshalb schwierig ist“.

Brückner hatte als Alternative zur Ballettschule die „Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch“ ins Gespräch gebracht, dort könne Stabel den Tanz leiten, aber das lehnte Gastell im Namen des Landes im Verfahren ab. Für die Senats-Bildungsverwaltung existierten die Vorwürfe unverändert, deshalb könne man sich höchstens vorstellen, „Herrn Stabel an eine andere Schule zu versetzen, aber nicht als Schulleiter. Oder ihm einen Verwaltungsjob anzubieten“.

Okay, und welche Schule zum Beispiel? Da hatte das Land keine Antwort. Also folgte der nächste Rüffel von Oda Hinrichs. „Ich bin verwundert, dass Sie das nicht können. Der Termin dieses Verfahrens steht ja nicht erst seit gestern fest.“

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