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Berlin: Millionen in der Sackgasse

Schule, Kita, Seniorenheim: Die umstrittene Bewegung Chabad Lubawitsch plant einen Campus in Wilmersdorf.

„Es geht um die Menschen,“ sagt Yehuda Teichtal. Der Rabbiner steht hinter dem alten Umspannwerk, das sein Jüdisches Bildungszentrum Chabad Lubawitsch 2007 an der Münsterschen Straße bezogen hat. Er steht auf Freiland, zwischen Unkraut und Baumstümpfen, vor der Brandmauer eines Parkhauses – und schwärmt. In dieser Wilmersdorfer Sackgasse, zwischen dem Evangelischen Campus der Danielsgemeinde mit Grundschule und der Katharina-Heinroth-Schule, soll ein „Jüdischer Campus“ entstehen: Kindergarten, Grundschule und Gymnasium für 400 Schüler, Lehrerausbildung, Park und Wohneinheiten für Senioren. Man wolle „die Gesellschaft dauerhaft mitgestalten“, sagt Teichtal, „lernen, leben, feiern, diskutieren – ganz entspannt, offen lebendig, normal“.

Seit 1996 agiert Chabad Lubawitsch, die orthodoxe Bewegung chadissischen Ursprungs, in Berlin. „Wir wachsen“, sagt der Rabbiner, die Synagoge für 220 Personen sei zu klein, 600 Beter kommen an hohen Feiertagen. Seit vier Jahren laufen Planungen für den 6000-Quadratmeter-Campus. Nun steht das erforderliche, sich zur Brandenburgischen Straße längs der Parkhauswand hinziehende 7600-Quadratmeter-Terrain zum Verkauf. Die Deutsche Rentenversicherung, der es gehört, hat eine Tennishalle, die darauf stand, abgerissen, der „City Sport“-Vorbau ist noch vorhanden. Eine Baugesellschaft soll das Grundstück, Mindestpreis sechs Millionen Euro, erwerben. Falls sie den Zuschlag erhält, werde für zehn Millionen Euro gebaut – finanziert durch Spenden und genehmigte 1,4 Millionen Euro der Lotto-Stiftung. Der Architekt Frederik S. Scholz erläutert die Terrakotta-Verkleidung des Entwurfs, der sich mit modernem Schwung vom Altbau des Bildungszentrums absetzen darf. Falls der Kauf gelinge, könne man ein halbes Jahr später mit Bauen anfangen! Andernfalls müsse man die Pläne modifizieren. Mit einem Fundraising-Video stellt sich Chabad Lubawitsch als integrierter, toleranter Partner im Konzert der Jüdischen Gemeinde dar. Tatsächlich hat Rabbiner Teichtal dort seit 2012 den Status eines Gemeinderabbiners, obgleich seine Synagoge nicht zu denen der Gemeinde zählt, von vielen als Konkurrenz gesehen und wegen Chabad-Sonderlehren und des Kultes um den Rebben Schneerson (gestorben 1994) als Sekte betrachtet wird. Während liberale Juden spotten, Chabad sei die Religion, die dem Judentum am nächsten komme, betrachten sich diese Orthodoxen selbst als dynamischste Kraft im heutigen Judentum. Man operiere nur lokal, betont Teichtal; doch die Verbindungen in die USA sind von politischem Gewicht, da ein Verzicht auf die biblischen Grenzen Israels für Chabad-Anhänger keine Option darstellt. „Unsere Grundschule wird die erste staatlich anerkannte jüdische Traditionsschule in Deutschland sein“, proklamiert das Video. Dieser Affront gegen bestehende jüdische Schulen könnte zu dem Machtkampf gehören, der die klamme Gemeinde derzeit lähmt. Beim Festakt zum 20-jährigen Bestehen des Jüdischen Gymnasiums im Juni hatte der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Gideon Joffe, gesagt, es müsse möglich sein, ein weiteres Gymnasium zu gründen, um jüdische Identität anders zu vermitteln. Dem orthodoxen Rabbiner Ehrenberg gab er damit eine Vorlage, die Liberalität des bislang einzigen Jüdischen Gymnasiums in Berlin zu kritisieren: Toleranz für andere Bekenntnisse sei gut und schön, sagte der Rabbi, aber wirklich Jude sei man vielleicht nur, wenn auch die eigenen Kinder jüdisch sind! Der Angriff auf die Aufklärungstradition dieser Schule war nicht zu überhören.

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