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Ein Graffiti für bezahlbare Mieten am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg.

© Jens Kalaene/dpa

"Mietenwahnsinn" in Berlin: Großdemo für bezahlbaren Wohnraum

Tausende wollen am Sonnabend gegen steigende Wohnkosten demonstrieren. Und im Senat wird noch gestritten.

4000 Teilnehmer haben die Veranstalter angemeldet. Stand Freitag rufen 230 Initiativen, Vereine, Bündnisse und Hausgemeinschaften auf zur Teilnahme an der Demonstration "Gemeinsam gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn" an diesem Sonnabend. Mit vielen Tausend mehr rechnen sie, wenn kein Regen fällt – was ab 14 Uhr nicht mehr erwartet wird. Künstler, Gewerbetreibende, Migranten, Geflüchtete, Wohnungslose und viele andere Mieter wollen mitlaufen. Alle vereint die Sorge um ihren Platz in den Kiezen, deren bunte Berliner Mischung im Umbruch ist, gefährdet durch den Handel mit Wohnhäusern in Berlin.

Senatoren und Amtsträger sind auf dem Protestzug unerwünscht – als Privatpersonen aber willkommen. So ungefähr ist die Haltung des Bündnisses, das Lösungen der Wohnungsfrage fordert, aber nicht politisch vereinnahmt werden will. Der Senat zankt vor dem Massenaufmarsch der Mieter darüber, wie schnell Berlinern mehr Schutz durch verschärftes Mietrecht gewährt werden soll. Dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) gehen nach Tagesspiegel-Informationen der Arbeitseifer der zwei Verwaltungen für Finanzen sowie für Stadtentwicklung zu weit: Einen vor Ostern vorgelegten Gesetzesentwurf, der als Bundesratsinitiative das Mietrecht verschärfen soll, wollten Vertreter der Senatskanzlei Kreisen zufolge nicht mitzeichnen.

Die Gesetzesinitiative sieht eine strengere Mietpreisbremse vor

Dabei geht es in der Gesetzesvorlage um Forderungen, die auch Mieterverein und Initiativen erheben: So soll die Umlage der Modernisierungskosten auf die Mieten von elf auf sechs Prozent gesenkt werden und auch nur so lange möglich sein, bis die Kosten der Investition abgeschrieben sind. Hintergrund: Viele Mieter können ihre Wohnungen nach Modernisierungen nicht mehr bezahlen. Der Entwurf will außerdem bundeseinheitliche Kriterien für die Mietspiegel. Denn Immobilienkonzerne wie die Deutsche Wohnen attackieren den Mietspiegel vor Gerichten – eine Bundesregelung würde das erschweren.

Auch eine schärfere Mietpreisbremse sieht die Gesetzesinitiative vor, indem Ausnahmeregelungen abgeschafft werden und auch Umgehungsmöglichkeiten wie die Teilmöblierung von Wohnungen.

Das meiste steht so auch im Koalitionsvertrag, aber dem Vernehmen nach will die Senatskanzlei dem neuen Bauminister Horst Seehofer (CSU) erstmal Zeit zur Einarbeitung geben. Die Senatsverwaltungen der kleinen Koalitionäre Grüne (Dirk Behrends, Justiz) und Linke (Katrin Lompscher, Stadtentwicklung) fügen sich der Entschleunigung ihres Regierungschefs: "Es gibt einen Beschluss des Abgeordnetenhauses, an dessen Umsetzung wir gemeinsam mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung im Senat arbeiten", heißt es aus der Justizverwaltung. Und Lompschers Verwaltung versichert: "Wir legen die Bundesratsinitiative nicht zu den Akten."

Die Mieter brauchen eine schnelle Lösung des Problems

Die Zeit, die sich die Politik nimmt, haben Mieter und Gewerbetreibende nicht. "In einem ganzer Block in der Oranienstraße sind die Verträge der Gewerbetreibenden nicht verlängert oder die Mietforderungen horrend erhöht worden", sagt Stefan Klein von der "GloReichen Nachbarschaft". Betroffen sei etwa die stadtweit bekannte "Weinhandlung Suff" und auch die Papeterie in der Oranienstraße, deren Miete von 19 Euro je Quadratmeter auf 40 Euro erhöht werden soll.

Klein ist Jurist und berät Indie-Labels im Musikbereich. Er ist selbst nicht von Verdrängung betroffen, erlebt aber als Kiezbewohner den Wandel und organisiert den Protest. Befreundete Juristen setzen sich bei Verhandlungen für Mieter ein. Der Bäckerei Filou hat man zu einem neuen Mietvertrag verhelfen können, einem Späti ebenfalls. Dagegen habe eine Bäckerei in der Pannierstraße schließen müssen. Der Laden stehe trotzdem seit einem halben Jahr leer. "Die spekulieren auf Startups und deren Umfeld", glaubt Klein. Diese könnten mit Risiko-Kapital Mieten zahlen wie kein normaler Gewerbetreibender. Deshalb richtet sich der Protest auch gegen den "Google-Campus", der Startups nach Kreuzberg locke.

Claudia Rische vom Verein "Unser Block bleibt!" kämpft seit dem Verkauf einiger Häuser des Quartiers rund um die Pannierstraße in Neukölln gegen die Verdrängung ihrer Nachbarn. Der Verein engagiert sich für die Erhaltung der Mietermischung und gegen Luxussanierungen. Und wo trotzdem neue Mieter einziehen, erzählen sie und ihre Mitstreiter den neuen Nachbarn, wie sie die Mietpreisbremse einsetzen können. "Einer konnte so eine niedrigere Miete durchsetzen", sagt sie. Bei der Demo werde es fünf Lautsprecherwagen geben, 26 Redebeiträge, Bands und gute Stimmung. Gestartet wird um 14 Uhr am Potsdamer Platz. Von dort geht es über die Leipziger Straße am Finanzministerium vorbei bis nach Schöneberg.

Dort ist die Abschlusskundgebung: Vor dem Haus des Jugendclubs Drugstore. Der wurde 1972 eröffnet und gibt wegen einer drastischen Mieterhöhung zum Jahresende auf.

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