zum Hauptinhalt
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgericht protestierten Berliner mit diesem Banner an einem Balkon.

© dpa/Christoph Söder

Mietendeckel-Aus in der Hauptstadt: Der Berliner Senat ist an sturer Selbstüberschätzung gescheitert

Mit dem Projekt Mietendeckel hat der Senat das Vertrauen der Bürger beschädigt – und zwar fahrlässig. Das ist gefährlich. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Lorenz Maroldt

Wenn Politik hohe Erwartungen weckt, die sie nicht einlösen kann, ist das schlechte Politik – und schlecht für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, ja: für den demokratischen Rechtsstaat. Denn der baut auf das Vertrauen in die Institutionen, die ihn tragen.

Wenn eine Regierung dieses Vertrauen fahrlässig oder sogar mutwillig beschädigt, wird aus schlechter Politik gefährliche Politik. Keine noch so gute Absicht kann das rechtfertigen, so viel Verantwortung muss schon sein. „War stets bemüht“ ist ein Armutszeugnis, auch in der Politik.

Im Fall des Berliner Mietendeckels, den das Bundesverfassungsgericht so erwartbar wie eindeutig für nichtig erklärte, ist es eine bittere Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet in der Hauptstadt des Behördenpingpongs und der organisierten Unzuständigkeit der Senat mit seinem kühnsten Vorhaben eben daran scheiterte: an seiner Unzuständigkeit. Oder anders gesagt: An seiner sturen Selbstüberschätzung.

Doch Berlin ist kein autonomes, uneinnehmbares Dorf, und der Senat hat keinen Druiden mit Rezept für einen Zaubertrank.

[Behalten Sie den Überblick: Jeden Morgen ab 6 Uhr berichten Chefredakteur Lorenz Maroldt und sein Team im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint über die aktuellsten Entwicklungen rund um das Coronavirus. Jetzt kostenlos anmelden: checkpoint.tagesspiegel.de.]

Allerdings haben es die Umstände dem Senat leicht gemacht, sich selbst zu verführen. Gar nicht zu handeln, war keine Option – dafür ist der Berliner Wohnungsmarkt viel zu aufgewühlt. Und auch wenn das rechtliche Risiko allen in der Koalition bewusst war: Das parteipolitische Risiko des Projekts Mietendeckel war von Beginn an gleich null.

Hat es Bestand, sehr gut; fällt es durch, auch gut. Scheitern als Chance: Mit der Wut jener im Rücken, die sich vom Rechtsstaat und der CDU betrogenen fühlen, setzen Linke, Grüne und Sozialdemokraten ihre Fahnen auf die Trümmer der Berliner Mietenpolitik, blasen zum Sturm auf den Bundestag und die Enteignungsbewegung zum Sieg.

Mehr zum Thema bei Tagesspiegel Plus:

Den Kollateralschaden des institutionellen Vertrauensverlusts nimmt der Senat dabei in Kauf. Dazu gehört die giftige Frage nach den Wohn- und Eigentumsverhältnissen der Verfassungsrichter, die unwidersprochen Zweifel an ihrer Urteilsfähigkeit und Unabhängigkeit sät, dazu gehört der Vorwurf der „Klassenjustiz“. Da ist es nur noch ein kurzer Weg zum Lager der Verschwörungsschwurbler.

Zu lange wurde die Not der Mieterinnen und Mieter ignoriert

Doch das Schlachtfeld, auf dem die Wohnungspolitik eskaliert, haben CDU, FDP und auch Teile der SPD mit bereitet. Zu lange wurde die Not von Mieterinnen und Mietern ignoriert oder kleingeredet, wurde das immer unverschämtere Handeln von Spekulanten als „Normalisierung des Marktes“ verkauft.

Wer dann noch, wie besonders die CDU, inmitten der juristischen Auseinandersetzung über die eigene Klage gegen den Mietendeckel hohe Spenden von Immobilienfirmen annimmt, hat sich den Argwohn verdient.

So degeneriert Wohnungspolitik in der Wahrnehmung vieler Menschen zum bloßen Bestandteil eines gigantischen Geldkreislaufs: Sie ermöglicht Gewinne, kassiert einen Teil davon als „Kickback“ – und finanziert so eine Klage, die wiederum große Gewinne ermöglicht, auf Kosten der Mieter. Auch das trägt bei zur Polarisierung, bei der jeder Wohnungsguppy zum Miethai mutiert.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Wohnen ist kein Luxus, Wohnen ist existenziell – und als politische Daueraufgabe zu komplex für eine einfache Antwort oder eine endgültige Wahrheit. Ob eine andere Bundesregierung die Probleme schnell lösen kann, an denen der Senat jetzt scheiterte, ist deshalb fraglich.

Die Parole „Deckel drauf mit Rot-Rot-Grün“ weckt wieder neue Erwartungen ohne tragfähiges Fundament. Teile der SPD, auch im Umfeld von Kanzlerkandidat Olaf Scholz, setzen eher auf Neubau, nicht auf einen Mietendeckel wie in Berlin; und in kleineren Orten oder auf dem Land haben sie ganz andere Probleme: Da stehen Wohnungen leer, da verfallen Häuser, und auch die Eigentumsquote ist eine andere als in Berlin.

In der Wohnungspolitik müssen Gegensätze und Widersprüche ausgehalten und überbrückt werden – mit Gefühl, aber vor allem mit Recht.

Zur Startseite