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Kanzlerin Angela Merkel hatte die Länder für ihre teils laschen Corona-Maßnahmen scharf kritisiert.

© Michael Kappeler/AFP

Merkel muss das Länderpuzzle zusammenführen: Berlin verschärft den Lockdown – jetzt ist die Kanzlerin dran

Die Verschärfung der Corona-Regeln in Berlin ist richtig. Doch die Katastrophe abwenden können nur bundesweite Maßnahmen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Julius Betschka

Es waren ordentliche Watschn, die die Bundeskanzlerin am vergangenen Sonntag in Richtung Berlin verteilte. Angela Merkel kritisierte unmerkelisch scharf, dass der Berliner Senat nicht die zwischen Bund und Ländern vereinbarte Notbremse gezogen hatte. Für „Testen und Bummeln“, sagte die Kanzlerin, sei jetzt nicht die Zeit. Nach einigem Zögern und Zaudern hat der Berliner Senat am Gründonnerstag auf den Tadel und die massiv steigenden Infektionszahlen reagiert.

Nachts dürfen sich Menschen nun nur noch maximal zu zweit auf der Straße aufhalten, Besuch wird ab kommender Woche abends gar nicht mehr gestattet sein. Das ist das Mindeste, aber es sind kluge Entscheidungen. Eine komplette Ausgangssperre wäre nach einem Jahr Pandemie kaum erklärbar gewesen, solange Büros, Geschäfte und Fabriken offen sind.

Auch dem Bedürfnis der pandemiemüden Großstädter nach etwas frischer Luft wird so Rechnung getragen. Trotzdem sendet die Entscheidung ein klares Signal: Vereinzelt euch!

Es liegt nun in der Verantwortung eines Jeden, sich nicht blöd zu stellen. Ab wie vielen Menschen ist eine Gruppe eine Gruppe? Wer soll das alles kontrollieren? Soll die Polizei jetzt in Wohnungen Besuch aufspüren? Solche Fragen stellen sich nicht, wenn man sich an das Quäntchen Eigenverantwortung erinnert, dass doch nötig ist, um als Gesellschaft in dieser Pandemie zu bestehen: Abstand halten, Maske tragen, Gruppen meiden.

[Lesen Sie hier mehr zum Thema: Diese Tage könnten historisch werden :Merkel attackiert die Länder – aber was folgt daraus? (T+)]

Auch das Schließen der Kitas ist deshalb ein harter, aber richtiger Schritt. Bis kommenden Donnerstag können sich die Familien noch auf die anstrengende Situation einstellen, die Kinder wieder zu Hause zu betreuen. Die Entscheidung ist folgerichtig: Unter den Null- bis Vier-Jährigen liegt die Inzidenz mittlerweile bei 173,4, bei den Grundschülern sogar bei fast 200. Auch deshalb denkt der Senat über erneute Schulschließungen nach den Ferien nach.

Es liegt am Wesen dieser neuen Pandemie: Die britische Mutation B.1.1.7 macht auch vor Kindern nicht halt. Sie übertragen das Virus jetzt deutlich häufiger – und erkranken daran teils schwer.

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Eine Modellierungsstudie der Technischen Universität Berlin kam kürzlich zu dem Ergebnis, dass die Inzidenz bei dem derzeitigen Aktivitätsniveau bis Mai auf deutlich mehr als 1000 steigen könnte. London hatte im Januar bei ähnlichen Werten den Katastrophenzustand verhängt. Der Senat hat am Donnerstag deshalb das Mindeste getan – jetzt ist die Kanzlerin dran. Alle schärferen Maßnahmen müssen deutschlandweit abgestimmt werden. Ein paar geschlossene Geschäfte hier, dort eine Ausgangssperre und im anderen Bundesland ein paar mehr Klassen, die zu Hause unterrichtet werden. Das alles wird nicht reichen, um nicht in der dritten Welle zu ertrinken.

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Um den R-Wert weit unter 1 zu senken, müssen harte Einschnitte in allen Lebensbereichen sein: Arbeit, Schule, Kitas – und ja, natürlich auch im Privatleben. Alles andere würde Deutschlands unseligen Kurs nur verlängern, irgendwie durch diese Pandemie zu taumeln: Mit vielen Toten und hohen wirtschaftlichen Schäden.

Dafür ist, Föderalismus hin oder her, die Bundeskanzlerin zuständig. Sie hat sich mit ihrer Kritik an den Ländern am vergangenen Sonntag weit aus dem Fenster gelehnt. Ja, das war das richtige Signal. Aber jetzt muss sie rasch handeln – und das Länderpuzzle zusammenführen. Sonst bleiben von ihrem Tadel nur leere Worte in einer Talkshow.

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