zum Hauptinhalt
In Berlin sind 60 Prozent der Prostituierten ausländischer Herkunft.

© ddp

Menschenhandel in Berlin: Frauen als Ware

In kaum einer anderen Großstadt gibt es so viele Fälle von Frauenhandel wie in Berlin. Hier haben sich Behörden und Beratungsstellen zu einem Netzwerk zusammengeschlossen. Am heutigen „Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen“ berichtet tagesspiegel.de über ein Verbrechen, das nur schwer aufzuklären ist.

Wäre sie nicht schwanger geworden, Asali hätte sich vielleicht nie aus dem Bordell befreien können, in dem sie über Jahre hinweg festgehalten wurde. Mit einem deutschen Mann war die junge Afrikanerin in die Bundesrepublik gekommen, sie hatte sich in ihn verliebt. Erst im Flugzeug eröffnete er ihr, dass er bereits verheiratet sei – doch da war es zu spät. Auf Umwegen brachte der Mann Asali nach Berlin und verkaufte sie dort an ein Bordell. Sie musste für einen Hungerlohn mit Freiern schlafen, oft ohne Kondom.

Asali, die in Wirklichkeit anders heißt, wurde Opfer von Menschenhandel - ein Verbrechen, das in Deutschland keine Seltenheit ist: Im Jahr 2011 gab es in Deutschland fast 500 abgeschlossene Ermittlungsverfahren im Bereich des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung – allein in Berlin waren es 76. Mehr Verfahren gab es nur im bevölkerungsreichen Nordrhein-Westfalen. Und diese Zahl zeigt nicht einmal das gesamte Ausmaß der Verbrechen – die Dunkelziffer liegt um einiges höher, das sagt zumindest Nivedita Prasad.

Die 45-Jährige leitet in Berlin die Beratungsstelle "Ban Ying", die es sich zum Ziel gesetzt hat, Frauen zu helfen, die Opfer von Menschenhandel geworden sind. "Es ist ein relativ risikoloses Verbrechen, bei dem sich die Täter eine goldene Nase verdienen", berichtet Prasad. Die gebürtige Inderin sitzt in ihrem Büro – nur das massive Sicherheitsschloss an der Eingangstür der Beratungsstelle erinnert daran, dass sich die Frauen, die hierher kommen, oft in großer Gefahr befinden. „Einige sind aus dem Bordell geflohen und werden verfolgt“, erzählt die studierte Sozialpädagogin. Deswegen stellen sie und ihre Kolleginnen den Frauen zu allererst einen Platz in einer sicheren Zufluchtswohnung zur Verfügung. Aber auch ein Dolmetscher ist in vielen Fällen notwendig, damit die Betroffenen erzählen können, was ihnen passiert ist. Viele von Prasads Klientinnen sind sogar freiwillig nach Berlin gekommen. „Ihnen werden oft falsche Versprechungen gemacht, um sie hierher zu locken“, sagt die Beraterin.

Ähnliche Erfahrungen hat auch Marco Schulz gemacht. Der 50-jährige Kriminalhauptkommissar ist als Kommissariatsleiter beim LKA Berlin für Bordelle und Bars zuständig. Er hat derzeit verstärkt mit Opfern aus Osteuropa und Nigeria zu tun. „Viele Frauen sind in ihren Heimatländern bitter arm. In der Hoffnung auf gutes Gehalt lassen sie sich nach Deutschland bringen oder werden eingeschleust“, erzählt er. Viele wüssten noch nicht einmal, dass sie sich prostituieren sollen und müssten aber ihre Reisekosten abarbeiten – im Bordell. Andere würden durch die sogenannte „Loverboy-Masche“ nach Deutschland gelockt: Dabei umwirbt ein Mann gezielt eine Frau, bis sie sich in ihn verliebt. Anschließend bringt er sie dazu, sich zu prostituieren, um Geld für ihn zu beschaffen.

Die Schwangerschaft als Ausweg

Aus Angst vor der Rache der Täter, wagen viele Frauen die Flucht nicht.
Aus Angst vor der Rache der Täter, wagen viele Frauen die Flucht nicht.

© ddp

„Bis eine Frau, die aus Afrika nach Deutschland geschmuggelt wurde, ihre Schulden von knapp 40 000 Euro abgearbeitet hat, muss sie mit mehr als tausend Männern schlafen“, sagt Sozialpädagogin Prasad. Für Frauen aus Mittel- und Osteuropa veranschlagten die Menschenhändler 3000 bis 5000 Euro. Dazu kommt: Bei ihrer Arbeit im Bordell hätten die Prostituierten praktisch keine Rechte. „Die Pässe werden ihnen abgenommen, sie dürfen weder bestimmte Freier noch sexuelle Dienstleistungen ablehnen und können nicht auf ein Kondom bestehen“, berichtet Prasad. Oft betrage ihr Verdienst nur etwa zehn Prozent des Betrages, den der Freier bezahlt - und selbst der sinkt. „Sexuelle Dienstleistungen werden immer billiger - dazu trägt auch der Menschenhandel bei.“

Um zu verhindern, dass die Frauen diesen ausbeuterischen Verhältnissen entfliehen, setzen die Täter sie stark unter Druck. „Einige werden eingesperrt. Anderen drohen die Täter damit, ihrer Familie etwas anzutun, wenn sie ihre Schulden nicht abarbeiten“, erzählt Barbara Eritt, die unter der Trägerschaft des Frauenverbandes „In Via“ in Berlin eine Beratungsstelle für Opfer von Menschenhandel leitet. Oft hätten die Frauen zu viel Angst, um einen Fluchtversuch zu unternehmen.

Für die Afrikanerin Asali gab es schließlich einen anderen Ausweg: Sie wurde von einem Freier schwanger. Bis zuletzt musste sie trotzdem mit anderen Männern schlafen, doch als sie kurz vor der Entbindung stand, schaffte man sie in ein Krankenhaus. Dort schöpften Mitarbeiter Verdacht und verständigten die Polizei. Nach Monaten des Schweigens war Asali bereit, den Beamten ihre Geschichte zu erzählen. Doch ihre Angaben reichten nicht aus, um die Täter zu überführen – sie kannte ja nur die Vornamen.

Kommissariatsleiter Schulz bestätigt, dass dieses Problem häufig auftritt. „Wir haben oft nur die Aussage der Frau und keine Sachbeweise.“ Da die Täter in der Regel alles leugneten, seien weitere konkrete Ermittlungsanhalte zur Überführung wichtig: Das können die Aussagen anderer Opfer sein, Fotos oder Kontobelege. Nur wenn die Verdachtslage ausreichend sei, würde die Staatsanwaltschaft Telefonüberwachungen oder Beschattungen beim Gericht beantragen. „Menschenhandel ist deshalb ein Delikt, das schwer aufzuklären ist“, sagt Schulz.

Eine hohe Zahl an Fällen wird laut Eritt aber gar nicht erst zur Anzeige gebracht. „Einige Frauen kehren lieber so schnell wie möglich in ihre Heimat zurück, damit die Täter ihren Familien nichts antun“, sagt sie. Zudem würde den Frauen kein Bleiberecht garantiert, wenn sie vor Gericht aussagen – nach dem Prozess könnten sie einfach ausgewiesen werden.

Die Afrikanerin Asali wollte trotzdem bleiben. Die Mitarbeiterinnen von Ban Ying unterstützten sie im Asylverfahren. „Mit ihr zu kommunizieren, fiel uns nicht leicht“, erzählt Prasad. Oft habe die junge Frau mit Basecap und verschränkten Armen dagesessen und ausschließlich mit „Ja“ und „Nein“ geantwortet. „Die Schweigende mit dem Kind - das war das Bild, das wir von ihr hatten“, erzählt Prasad. Asalis Asylantrag wurde schließlich genehmigt. Doch wo sie heute ist, weiß niemand.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false