zum Hauptinhalt
Osterwasser schöpfen ist eine Tradition bei den Sorben.

© picture-alliance/ dpa

Mehr als nur Folklore: Die Osterbräuche der Sorben

Am Ostersonntag wundersames Wasser zu schöpfen, ist nur eine von vielen Traditionen der Wenden in der Niederlausitz. Ein Besuch lohnt sich.

Von Sandra Dassler

Beim Osterwasser scheiden sich die Geister: „Es muss um Mitternacht aus einer Quelle geschöpft werden“, behaupten die einen. „Bei Sonnenaufgang aus einem nach Osten fließenden Gewässer“, sagen die anderen. So ist das mit den Bräuchen der kleinen slawischen Minderheit im Süden Brandenburgs, die sich nicht einmal einig ist, ob sie als Wenden oder Sorben bezeichnet werden will.

Manche meinen, dass „Wenden“ der Ausdruck der Deutschen und „Sorben“ die Eigenbezeichnung des Volkes sei, andere sagen, dass es mit der Region zu tun habe: In der sächsischen Oberlausitz leben rund 40 000 (Ober-)Sorben, in der brandenburgischen Niederlausitz etwa 20 000 Wenden oder (Nieder-)Sorben.

Eine davon ist Babette Zenker, die Leiterin des niedersorbischen Heimatmuseums in Dissen, einer kleinen Gemeinde bei Cottbus. Sie weiß, dass Bräuche auch mit den jeweiligen Orten zu tun haben. „Bei uns muss man das Osterwasser vor Sonnenaufgang aus einem Fluss schöpfen, der von Ost nach West fließt“, sagt sie. „Das ist praktisch, weil die Spree hier von Ost nach West verläuft.“

Babette Zenker kann wunderbar über die Sorben erzählen. „Stary lud“, das „Alte Volk“, war so eng mit der Natur verbunden, dass Ostern mit Abstand sein wichtigstes Fest war: Beginn des Frühlings und der Feldarbeiten. Nach der Christianisierung kam die Geschichte der Kreuzigung und Auferstehung hinzu, die Frauen begannen bereits nach Weihnachten, an den langen Winterabenden in den Spinnstuben, sorbische Passions- und Auferstehungslieder einzustudieren. Die werden auch heute wieder gesungen.

„Ostereier gestalten ist wie mentales Training zum Runterkommen“

Der Karfreitag, an dem man in Gedenken an das Leiden des Jesus von Nazareth jegliche Arbeit ruhen lassen sollte, war traditionell dem Anfertigen der Ostereier vorbehalten. „Ostereier gestalten ist wie mentales Training zum Runterkommen“, sagt Zenker: Wie geschaffen für den stillen Freitag vor Ostern.

Im Dissener Heimatmuseum haben sich aber auch schon an den Tagen davor viele Besucher in der Wachstechnik versucht. „Wir kommen jedes Jahr, weil es so gemütlich ist“, sagt Sonja Müller. Ihre neunjährige Tochter Finja ist bereits eifrig bei der Sache: Sie trägt heißes Kerzen- und Bienenwachs mit einer Stecknadel und einer echten Feder von der letzten Weihnachtsgans auf das zuvor ausgeblasene Ei auf. Nach jeder Reihe legt sie es in eine andere Farbe, dadurch entstehen schöne Nuancen. Beim Abwachsen an einer brennenden Kerze hilft Mama.

Alles Unikate. Am Karfreitag wurden bei den Sorben traditionell die Ostereier für die Patenkinder gefertigt.
Alles Unikate. Am Karfreitag wurden bei den Sorben traditionell die Ostereier für die Patenkinder gefertigt.

© picture alliance / dpa

Drei Eier wurden früher am Ostersonntag an jedes Kind verschenkt – allerdings nicht von den Eltern, sondern von den Paten. „Jedes sorbische Kind hatte damals drei bis fünf Paten, um seine Existenz zu sichern, wenn die Eltern früh starben, was damals häufig vorkam“, erzählt Babette Zenker. „Dazu erhielten die Kinder auch noch eine sogenannte Ostersemmel und einen Pfefferkuchen – wer reiche Paten hatte, sogar ein Geldstück.“

Mit den Eiern trugen die Kinder dann ein geselliges Spiel aus, das „Waleien“: Man ließ die Eier in eine Grube beziehungsweise eine schiefe Ebene aus Sand hinunterkullern – im Bemühen, das vorherige Ei zu berühren. Zenker ist überzeugt, dass das Spiel dem einstigen Brauch der Sorben, Eier über die Felder zu rollen, um diese fruchtbar zu machen, entstammt. Schließlich seien die Männer früher aus dem gleichen Grund mit Pferden um die Felder geritten. Erst nach der Christianisierung habe man das Osterreiten als „Übergabe der frohen Botschaft von der Auferstehung“ an die Nachbargemeinde umgedeutet.

Osterfeuer brennen überall

Das Osterreiten wird in der Niederlausitz nur in Zerkwitz bei Lübben gepflegt, in der Oberlausitz an vielen Orten. Die Osterfeuer hingegen brennen überall. Wer in der Osternacht, eigentlich bereits am Sonnabend nach Einbruch der Dunkelheit, auf der Autobahn von Berlin nach Cottbus oder Dresden fährt, dem bietet sich ein phänomenales Schauspiel: Überall lodern die Flammen gen Himmel, obwohl das Feuer eigentlich erst gegen Mitternacht entzündet werden darf.

Viele Deutsche hätten den Brauch übernommen, ohne die Herkunft zu ahnen, sagt Babette Zenker. Sie hat kein Problem damit, dass die Sorben vor allem zu Ostern in den Fokus der Öffentlichkeit rücken. Herbert Schirmer hingegen bedauert die, wie er sagt, Reduktion des Sorbischen auf Eier und Tracht: „Die Sorben haben ja großen Anteil an Literatur, Bildender Kunst, Musik und Wissenschaft.“

Schirmer kann das einschätzen – er war der letzte Kulturminister der DDR im nur wenige Monate bestehenden Kabinett von Lothar de Maizière und viele Jahre lang Beauftragter für sorbisch-wendische Angelegenheiten im Landkreis Dahme-Spreewald. Er wohnt in Lieberose, einer 1500-Einwohner-Stadt zwischen Cottbus und Frankfurt (Oder), die vor einigen Wochen Aufsehen erregte.

Gesetz soll die Kultur erhalten

Ihre Stadtverordneten stimmten mit knapper Mehrheit gegen eine Aufnahme in das sogenannte sorbische Siedlungsgebiet, dessen Schutz im brandenburgischen Sorben/Wenden-Gesetz geregelt ist. Das Land hatte das Gesetz 2014 novelliert, um die Kultur und Sprache der nationalen Minderheit noch besser zu schützen. Zuvor hatten sich 27 Städte, Gemeinden und Gemeindeteile in Südbrandenburg zum Siedlungsgebiet bekannt, jetzt sollen weitere folgen, unter anderem die Städte Lübben und Calau.

Dass Lieberose diesen Schritt nicht gehen wollte, obwohl dort immer Sorben lebten, habe auch etwas mit alten Ressentiments zu tun, die besonders von den Nationalsozialisten propagiert wurden. Die These, wonach alles Slawische minderwertig sei, fiel vor allem in der Niederlausitz auf fruchtbaren Boden. Hier waren die Wenden meist arme Bauern, ihre Frauen bestenfalls als Ammen für reiche Berliner geeignet. In der Oberlausitz hingegen übten die Sorben „achtbare Berufe“ als Fabrikanten oder Kaufleute aus. Das hatte Auswirkungen – nicht nur für die Erhaltung der Sprache sondern auch auch auf das Selbstwertgefühl.

„Man muss die Menschen dort abholen, wo sie herkommen“

Aber auch in der Niederlausitz gibt es immer mehr Menschen, die sorbische Kultur als Bereicherung verstehen, sagt Babette Zenker: „Ich bin stolz, in zwei Kulturen groß geworden und zu Hause zu sein“. Im Dissener Heimatmuseum werde durchaus auch mit wissenschaftlichem Anspruch an der Geschichte des „Alten Volks“ gearbeitet, berichtet sie. Aber Berührungsängste mit Folklore habe sie dennoch nicht: „Man muss die Menschen dort abholen, wo sie herkommen.“

Denn Spaß machen soll es ja auch. Die männliche Jugend zum Beispiel darf in der Osternacht nicht nur das Feuer schüren, sondern auch Schabernack treiben. So werden Bauern, die beim Zampern, einem sorbischen Fastnachtsbrauch, knausrig waren, die Grundstückseinfahrten und Hoftore versperrt oder die Mädchen beim Osterwasserholen überrascht.

Denn das Osterwasser verleiht angeblich nur dann Fruchtbarkeit, Gesundheit, Schönheit und ewige Jugend, wenn das Mädchen nicht gesehen wird und – wenn es weder auf dem Hinweg noch auf dem Rückweg ein einziges Wort spricht. Ein schwieriges Unterfangen, wie viele sorbische oder wendische Großmütter ihren Enkeltöchtern augenzwinkernd erklärten: „Ich habe es nicht ganz geschafft und bin deshalb nur fruchtbar, gesund und schön geworden. Aber eben auch alt.“

Tipps für Kurzentschlossene:

Das Heimatmuseum Dissen lädt Kurzentschlossene am morgigen Sonntag zu einem Familientag beim „Alten Volk“. Eltern und Kinder können bei dieser besonderen Führung viel Interessantes über das Leben der Slawen im frühen Mittelalter erfahren. Wer Ostereier nach sorbischem Brauch gestalten möchte, der kann dies im Heimatmuseum Dissen auch noch in der Ferienwoche nach Ostern von Dienstag bis Donnerstag von 9 bis 16 Uhr tun. Nach Dissen gelangt man mit dem Auto über Vetschau oder Cottbus. Oder mit dem Regionalzug nach Cottbus und von dort aus weiter mit dem Bus.

Ein traditionelles sorbisches Ostersingen findet am Sonntag bei Sonnenaufgang, etwa sieben Uhr, in Jänschwalde bei Cottbus statt. Von Berlin aus muss man mit dem Auto gegen fünf Uhr losfahren oder am Tag vorher anreisen.

Informationen über weitere Veranstaltungen zu Ostern im Spreewald finden Sie unter www.spreewald-info.de das

Zur Startseite