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Peter Eichelmann hat sich allein fürs DRK mehr als 100 Mal Blut lassen.

© Thilo Rückeis

Medizinische Versorgung in Berlin: Die letzte Blutspende

Peter Eichelmann hat allein fürs DRK mehr als 100 Mal Blut gespendet. Jetzt ist Schluss - er hat die Altersgrenze erreicht. Der Bedarf in Berlin und Brandenburg liegt bei rund 650 Blutkonserven – am Tag.

Eigentlich ist alles wie immer: Die Fahrt von Tegel nach Steglitz, das Warten, bis das Team mit dem Technikaufbau fertig ist, Blutdruck messen, Fragebogen ausfüllen, Arztgespräch. Peter Eichelmann kennt die Abläufe auswendig. Über 100 Mal hat er beim Kreisverband des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Steglitz schon Blut gespendet, die vielen Spenden seit seiner Jugend gar nicht mitgerechnet. Heute ist trotzdem ein besonderer Tag. Zum letzten Mal wird der Rentner sein Blut für andere hergeben. Sein 73. Geburtstag steht kurz bevor, danach ist Spenden nicht mehr möglich. Aufgeregt? "Nö".

Fünf bis sieben Liter Blut fließen im Körper eines erwachsenen Menschen. Es erneuert sich ständig, deswegen kann man Blutverlust in kleineren Mengen ausgleichen. Ab einem Liter Verlust droht Lebensgefahr. Aber wie fühlt sich jemand, der sich sechs Mal im Jahr einen halben Liter abzapfen lässt? Die Antwort kommt prompt: "Sehr gut!" Peter Eichelmann gehört zu den wenigen Menschen, die über Jahrzehnte regelmäßig spenden. Allein in der Klingsorstraße in Steglitz waren es über 50 Liter – oder zweieinhalb Eimer.

Angefangen hat er schon als 21-Jähriger. Der gebürtige Hamburger war lange in der Schifffahrt tätig und in ganz Europa unterwegs. Wenn die Mannschaft an Land ging, gehörte Blutspenden irgendwie dazu. "Wir sind einfach in die Krankenhäuser vor Ort gegangen." Mitgezählt hat Eichelmann damals nicht. Erst in den letzten drei Jahrzehnten, führt das DRK Buch über ihn und sein Blut. Zum Glück gibt es nur Positives zu berichten. "Ich habe nichts, außer vielleicht ein bisschen Übergewicht", sagt Eichelmann lachend. Keine Krankheit hat ihn je geplagt.

Blutspenden ist nicht sehr beliebt

Ob das mit den vielen Blutspenden zusammenhängt, vermag er nicht zu sagen. Aber subjektiv fühlt er sich wohler, wenn er spendet. "Ich kann das nur jedem empfehlen." In seinem Freundeskreis wirbt Eichelmann seit Jahren für die Spende, mit mäßigem Erfolg. "Viele könnten, machen es aber nicht." Keine Zeit, keine Lust, bekommt er oft zu hören. Nicht einmal heute, bei seinem letzten Mal, wollte ihn einer seiner Bekannten begleiten. Woher rührt die weit verbreitete Zurückhaltung? "Viele Menschen beschäftigen sich erst mit dem Thema, wenn in der eigenen Familie Bluttransfusionen nötig sind", erklärt Kerstin Schweiger, Pressesprecherin des DRK-Blutspendedienstes NordOst. Persönliche Betroffenheit erhöht die Spendenmotivation immens. Theoretisch könnten 33 Prozent der Bevölkerung in Deutschland Blut spenden: Sie sind zwischen 18 und 72 Jahre alt und erfüllen die strengen Gesundheitsvoraussetzungen. Doch nur drei Prozent tun es auch.

Beim DRK, dem größten deutschen Blutspendedienst, legen sich rund 1,9 Millionen Menschen freiwillig auf die Liege. Drei Millionen Vollblutspenden kommen so jährlich zusammen. Die treuesten Spender werden regelmäßig geehrt. Im letzten Jahr schafften in Berlin 60 Spenderinnen und Spender des DRK die Hundertermarke. Frauen sind bei dem Wettbewerb allerdings benachteiligt, denn sie dürfen nur viermal pro Jahr. Bei Männern sind bis zu sechs Spenden erlaubt.

Dass Blutspenden gut für die Gesundheit ist, ist bisher nicht bewiesen. "Mir ist keine wissenschaftliche Studie bekannt, die das belegen würde", sagt Schweiger. Es gibt aber Forschungsansätze, die der Frage nachgehen, ob bei regelmäßiger Blutspende das Schlaganfallrisiko abnimmt. Einen Gesundheitsvorteil haben treue Spender wie Peter Eichelmann auf jeden Fall: Sie sind unter ständiger ärztlicher Kontrolle. Und wer in zwölf Monaten mindestens dreimal zum Blutspenden kommt, kann beim DRK sogar einen erweiterten Gesundheitscheck in Anspruch nehmen. "Dabei werden unter anderem die Cholesterinwerte und der Nierenwert erhoben", erklärt Schweiger. Der Spender bekommt die Auswertung auf Wunsch zugeschickt. Eichelmann schätzt den Service: "Man sieht auf einen Blick, dass alles im grünen Bereich ist."

Allein für Berlin und Brandenburg werden an einem normalen Werktag rund 650 Blutspenden benötigt

An Blutspenden mangelt es übrigens zur Zeit in Deutschland noch nicht. Zwar steigt der Bedarf jedes Jahr, aber das kann mit dem Spendenaufkommen bislang abgedeckt werden. Trotzdem warnt das DRK vor Engpässen. Wie passt das zusammen? "Wir verlieren durch das Alterslimit jedes Jahr sehr viele Stammspender", erklärt Pressesprecherin Schweiger. Leute wie Peter Eichelmann eben. Dazu kommt das Problem der alternden Bevölkerung. Immer weniger junge potenzielle Spender wachsen nach. "Langfristig könnte das ohne neue Spender ein ernstes Problem werden." Allein für Berlin und Brandenburg werden an einem normalen Werktag rund 650 Blutspenden benötigt. Und Blutspenden dürfen weder importiert noch exportiert werden, das erlaubt der deutsche Gesetzgeber nicht. Auch die WHO fordert, dass jedes Land sich selbst versorgen können muss. Die meisten europäischen Länder schaffen das mittlerweile. In Asien und Afrika liegt das Ziel noch in weiter Ferne.

Gute Nachrichten gibt es immerhin aus der Medizinforschung. Blutkonserven können heute viel sparsamer und effizienter eingesetzt werden als noch vor einigen Jahren. Transfusionen werden, wo möglich, ganz vermieden. Blutarmut etwa wird oft schon im Vorfeld einer geplanten Operation behandelt, so dass ein möglicher Blutverlust während der OP weniger dramatisch für den Patienten ist. Trotzdem muss der DRK-Blutspendedienst die Einsätze seiner fünf mobilen Teams in Berlin sehr genau planen, um den Bedarf der Hauptstadt decken zu können. "Regelbedarf plus Notfallbevorratung" lautet die Formel.

Homosexuelle Männer dürfen immer noch kein Blut spenden

Auch für Anschläge, Unfälle oder Naturkatastrophen muss die Region jederzeit gerüstet sein. Nach dem Terroranschlag am Breitscheidplatz wurde innerhalb von kurzer Zeit viel Blut benötigt. Die Berliner Kliniken forderten es für die Schwerverletzten direkt beim DRK an. "Das hat sehr gut geklappt", sagt Schweiger. Zum Glück, muss man sagen. Denn das Blutmanagement ist eine große logistische Herausforderung. Gespendetes Blut ist nur 42 Tage haltbar. Auf der Website des DRK Nord-Ost (www.blutspende-nordost.de) gibt es neuerdings ein Blutspende-Barometer. Hier können Spendenwillige nachsehen, ob ihre Blutgruppe gerade benötigt wird. Schweiger rät dazu, den Service zu nutzen: "Denn eine Blutgruppe, die heute ausreichend vorhanden ist, kann in zwei Wochen schon wieder knapp sein." Vor allem Feiertage und Ferien erschweren die Planung. Weniger Menschen spenden rund um Ostern. Zeitversetzt schlägt sich dieser Knick im Vorrat nieder.

Ein Problem ist auch, dass manche gerne spenden würden. Man lässt sie aber nicht, das deutsche Transfusionsgesetz schließt Risikogruppen von der Blutspende aus. Definiert werden diese Gruppen von der Bundesärztekammer. Ausgenommen sind: Häftlinge, Drogenabhängige, Prostituierte und pauschal auch alle Männer, die "Sex mit Männern" haben. Ist das noch zeitgemäß? "Inzwischen diskutieren Experten, diese Bestimmung zu lockern", sagt Schweiger. Noch aber gelten die Richtlinien, und die Blutspendedienste müssen sich danach richten.

Endlich ist es so weit: Peter Eichelmann liegt auf dem roten Behandlungsstuhl, vorsichtig piekt eine Schwester ihm die Nadel in den Arm. Es dauert heute ein paar Minuten länger als gewohnt, bis der schaukelnde Plastikbeutel vollgelaufen ist. "Ich war wohl doch aufgeregt." Hinterher, bei Kaffee und belegten Brötchen, gibt’s noch einen Blumenstrauß zum Dank. „Aber erst mal hinsetzen“, mahnt eine Helferin. Der halbe Liter weniger kann sich durchaus beim Kreislauf bemerkbar machen. Selbst bei so gestandenen Spendern wie ihm.

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