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Knapp 30 Prozent der ambulanten Kinderärzte in Berlin könnten bald in Rente gehen.

© imago images/Westend61

Medizinische Versorgung gefährdet: Berlin hat zu wenig Kinderärzte

Berlins Pädiater warnen vor einer Unterversorgung in der Kinder- und Jugendmedizin in den kommenden Jahren. Das betrifft Kliniken sowie Praxisärzte.

In Berlin wird es laut Bevölkerungswachstumsprognosen in Zukunft immer mehr Kinder und Jugendliche geben, doch deren medizinische Versorgung wird immer schlechter. Überfüllte Kinderkliniken, Ärztemangel und fehlende Fachangestellte – darauf machen Klinikleiter und Ärzteverbände schon seit einigen Jahren aufmerksam, doch es wird noch schlimmer, warnen sie.

Bei einer gemeinsamen Veranstaltung der Berliner Gesellschaft für Pädiatrie (BGKJ), dem Berufsverband der Kinderärzte (BVKJ) und dem Verband der leitenden Kinder- und Jugendärzte Deutschlands (VLKKD) machten die Verbände erneut auf eine drohende Unterversorgung in der Kinder- und Jugendmedizin aufmerksam.

Man steuere auf eine "Katastrophe" zu

„In den letzten 30 Jahren haben wir ein Viertel unserer Kinder- und Jugendabteilungen in den Krankenhäusern verloren“, sagte Jochen Scheel, Geschäftsführer der Gesellschaft der Kinderkrankenhäuser (GKind) bei der Veranstaltung zur "Kinder- und Jugendgesundheit in der wachsenden Stadt" am Mittwochabend im Vivantes Klinikum im Friedrichshain. In Berlin versorgen laut Statistischem Bundesamt acht Fachabteilungen für Kinder- und Jugendmedizin in der Regel rund 39.500 Patienten, das entspricht in etwa 4.940 Patienten pro Fachabteilung.

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Arbeitsbelastung und Bettenmangel seien schon jetzt deutlich spürbar, doch nun steuere man auf „eine Katastrophe“ zu, sagte Scheel. Ab 2023 werden statt rund 2.000 Kinderkrankenpflegekräfte bundesweit nur noch circa 600 bis 700 Kräfte die Pflegeschulen verlassen. Berlin bilde im Vergleich zu Hamburg deutlich weniger aus. Scheels ausdrücklicher Appell an die Politik: „Sorgen Sie dafür, dass auch zukünftig ausreichend gut ausgebildete Kinderkrankenpflegekräfte zur Verfügung stehen.“

Knapp 30 Prozent der Kinderärzte sind über 60

Ähnlich dramatisch sieht es in der ambulanten Versorgung bei den Kinder- und Jugendärzten aus. Neben den medizinischen Fachangestellten, „ohne die kein Kinderarzt eine Praxis betreiben kann“, sagte Reinhard Bartezky, Landesvorsitzender vom BVKJ, drohe auch ein eklatanter Mangel bei den niedergelassenen Pädiatern. Schon jetzt sei es für viele Berliner Eltern schwer, eine wohnortnahe Praxis zu finden. Knapp 180 niedergelassene Kinderärzte übernehmen die reguläre Versorgung in der Millionenmetropole, das sei ohnehin schon zu wenig. Rausgerechnet sind hier etwa 150 Praxissitze, die beispielsweise Spezialambulanzen sind und keine alltäglichen Behandlungsaufgaben ausführen.

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Hinzu komme, dass knapp 30 Prozent der ambulanten Pädiater über 60 Jahre alt seien. „Viele davon werden bald nicht mehr arbeiten“, sagte Bartezky. So sei es eine Forderung der unterschiedlichen Verbände, die Zahl der Medizinstudienplätze aufzustocken, bundesweit auf 6.000. Mit circa 325 Studienplätzen pro Semester bildeten Berlins Universitäten viel zu wenige Mediziner aus. „Vor der Wende gab es allein in West-Berlin mehr Studienplätze als momentan für die gesamte Stadt“, bilanzierte Bartezky.

Kinderarzt: "Wir verhindern Krankheiten"

Unabhängig davon fordern die Pädiaterverbände eine zügige Verabschiedung der neuen Approbationsordnung vom Bundestag, die dazu beitragen soll, dass es mehr Haus- und Kinderärzte gibt, ebenso einen Ausbau der Weiterbildung in der ambulanten Pädiatrie und eine Abkehr vom Fallpauschalen-System, das die zeit- und personalaufwendige Kindermedizin benachteilige. „Wir betreiben Präventionsmedizin. Wir verhindern Krankheiten bevor sie entstehen. Dadurch spart der Staat enorme Kosten“, sagte Bartezky.

Kinderärzte verhindern durch präventive Medizin wie Impfen, dass Krankheiten entstehen.
Kinderärzte verhindern durch präventive Medizin wie Impfen, dass Krankheiten entstehen.

© imago images/Westend61

Bei den Kinderkliniken geht derweil schon die Sorge um eine erneute Bettennot im Herbst um, wenn Erkältungsinfekte gewöhnlich zunehmen. Während der RSV-Welle im vergangenen Jahr mussten vielfach junge Patienten in Kliniken in Brandenburg verlegt werden. An der Personalproblematik habe sich seitdem nicht viel verändert.

Die Versprechungen aus dem Koalitionsvertrag „für eine bedarfsgerechte und auskömmliche Finanzierung“ in der Kindermedizin, Notfallversorgung und Geburtshilfe müssten daher zügig umgesetzt werden, erklärten die Vertreter der unterschiedlichen pädiatrischen Verbände.

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