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Mit viel Herz. Archemed-Gründer Peter Schwidtal, zeigt Vereinsunterstützerin Senta Berger das Kinderoperationszentrum in Asmara.

© Peter Müller/Archemed

Medizinische Hilfseinsätze: Berliner Ärzte retten Kinder in Eritrea

Kinderärztinnen aus Berlin zieht es immer wieder ans Horn von Afrika – mit dem Verein „Archemed“.

Wenn man die Kinderärztinnen nach ihren Erfahrungen in Eritrea fragt, beginnen die Augen zu leuchten. Carolin Meinus und Katharina Marggraf lieben ihre Tätigkeit an der Berliner Charité in Mitte. Aber alle halbe Jahre zieht es sie für zwei Wochen ans Horn von Afrika, wo sie ganz Existenzielles erleben. „Die Herzlichkeit der Menschen, die noch das wenige, was sie haben, teilen – und schwerkranke Kinder wieder quicklebendig zu sehen, das berührt mich immer sehr“, sagt die 37-jährige Carolin Meinus, die sich in Berlin in der Klinik für Pneumologie und Allergologie um kleine Patienten kümmert und Anfang kommender Woche wieder in Barentu behandelt. „Mitzuerleben, mit wie vergleichsweise wenig Mitteln dank unserer tollen einheimischen Kollegen vor Ort welche Hilfeleistungen vollbracht werden können, ist einfach großartig“, sagt die 35-jährige Kinderärztin für Neonatologie Katharina Marggraf.

Um regelmäßig für den Hilfsverein Archemed in einem der ärmsten Länder der Welt helfen zu können, nehmen Ärztinnen, Hebammen, Medizintechniker, Pfleger und andere Mitarbeiter des Gesundheitswesens sogar extra Urlaubstage.

„Eine Berufung und eine Bereicherung“

Der Verein leistet weit mehr, als schwerkranke Kinder und Mütter zu behandeln. Er bewirkt auch, Vorurteile infrage zu stellen. Eritrea assoziiert man hierzulande vor allem mit Negativschlagzeilen. Doch als Peter Schwidtal das Sechs-Millionen-Einwohner-Land kennenlernte, fand er vieles relativ gut organisiert. Dies habe die Aufbauarbeit erleichtert, sagt er. Vor mehr als 20 Jahren war der heute 61-jährige Internist das erste Mal durch Zufall dort. Schwidtal hatte zuvor afghanische Flüchtlinge in Pakistan untersucht, um zu entscheiden, wer zur Behandlung nach Deutschland solle. Da hörte er von der Not in Eritrea. Er liebe seinen Beruf, sagt der Mediziner aus Möhnesee, doch das Engagement in Afrika und sein Einsatz als Archemed-Vorsitzender sei für ihn auch als Christ „eine Berufung und eine Bereicherung für das eigene Leben“ – und Afrika eine „große Liebe“ geworden.

Kaum zu glauben, was eine kleine, private Initiative – mit viel weniger Ressourcen als eine große Organisation wie etwa Ärzte ohne Grenzen – in einer völlig anderen Welt aus eigener Kraft auf die Beine gestellt hat. Die Kernkompetenz von Archemed liegt in der Perinatalmedizin, das bedeutet, dass Babys sicher in Kliniken auf die Welt kommen und Früh- und Neugeborene gut betreut werden können. Mittlerweile sind die deutschen Mediziner nicht nur in der Hauptstadt Asmara, sondern auch in Provinzkliniken in Keren, Mendefera und Barentu tätig.

„Das Wichtigste ist, dass wir mit den Kollegen auf Augenhöhe arbeiten, denn schließlich kennen sie sich mit den Gegebenheiten am besten aus“, betont auch Carolin Meinus. Zudem bilden die Berlinerinnen das medizinische Personal in den Projektkliniken in Eritrea aus. Sie schulen angehende Ärzte für Kinderheilkunde, deutsche Experten nehmen die Facharztprüfung ab. „Und wo es erforderlich ist, bauen wir Infrastruktur, Neugeborenen-Intensivstationen, Operationssäle und sogar ganze Kliniken aus“, berichtet Peter Schwidtal. Archemed wird von privaten und unternehmerischen Spendern unterstützt, von Stiftungen, und es gibt auch Fördermittel des Bundes und der EU. Aber nie genug. Mitunter finanziert das Land die Grundkosten wie etwa den Rohbau, Archemed steuert dank Spenden den Rest bei. Nie sei er mit Kriminalität oder Korruption konfrontiert gewesen, sagt Schwidtal.

Schauspielerin Senta Berger ist "Archemed-Botschafterin"

Manchmal steht Archemed der Zufall zur Seite. Einmal gelang es der Hilfsorganisation, bei der ZDF-Spendengala „Ein Herz für Kinder“ berücksichtigt zu werden. Die Laudatio hielt Senta Berger. Schwidtal sprach die Schauspielerin später beherzt an. Und einige Zeit später schrieb diese in der Projektbroschüre als Archemed-Botschafterin über Eritrea: „Ich habe Frauen gesehen, die mit ihren zu früh geborenen Kindern – manche von ihnen nur so groß wie eine Hand – versuchen, die rettende Kinderstation zu erreichen, damit es den Ärzten gelingt, ihr ,Frühchen’ am Leben zu erhalten. Ich habe hochschwangere Frauen gesehen, die tagelange Fußmärsche auf sich nehmen müssen, um Hilfe zu bekommen.“ Die Lebensumstände – und das nachhaltige Wirken von Archemed – beeindruckten Senta Berger.

Eine international vernetzte Hilfsorganisation mit Verwaltungspersonal wie Ärzte ohne Grenzen bietet unterschiedlichsten Medizinern aus den Wohlstandsgesellschaften dieser Welt die Chance, ganz existenzielle Aufgaben überall auf dem Globus zu übernehmen. Bei Archemed sind es wiederum immer wieder dieselben Menschen, die über eine lange Zeit als verlässliche und geschätzte Vertrauenspersonen die Ansprechpartner sind. „Wir sind stolz darauf, eine der wenigen Nicht-Regierungsorganisationen zu sein, die im ansonsten sehr autark agierenden Land Hilfe von außen leisten darf“, sagt Schwidtal. „Wir hören immer wieder von den höchsten Stellen, dass die Helfer von Archemed nicht als NGO, sondern als Freunde der Menschen Eritreas empfunden werden.“

Mit diesem Vertrauensvorschuss und dem nachhaltigen Engagement sei es gelungen, die Kliniken und Abteilungen jeweils mit Paten und Partnern anderer deutscher Krankenhäuser aufzubauen, wie die Kinder-Herzchirurgie, die Kinder-Chirurgie, die Neurochirurgie. Es gibt ein Klumpfuß- und ein Diabetes-Hilfsprojekt, das Perinatalzentrum Berantu, die Neonatologie Mendefera. Es gibt eine Augenchirurgie, eine Kinderorthopädie, eine Kinderurologie und -onkologie. Auch das staatliche Waisenhaus wird unterstützt. Gerade operiert Mi-Young Cho, Leitende Oberärztin der Sektion Neugeborenenchirurgie im Deutschen Herzzentrum Berlin, in der Kinder-Intensivstation in Asmara.

Neonatologie-Schwester Kathrin Meusel aus Berlin schaut in der Provinzklinik von Barentu nach einem Baby.
Neonatologie-Schwester Kathrin Meusel aus Berlin schaut in der Provinzklinik von Barentu nach einem Baby.

© privat

All die Versorgungen helfen laut Archemed beispielsweise dabei, Müttern zu ermöglichen, für die Familie Geld zu erwirtschaften, statt sich um ein schwerkrankes Kind kümmern zu müssen. Verhütung, Familienplanung, auch da werde aufgeklärt. Die stellvertretende Vorsitzende von Archemed, Anne Rieden, engagiert sich gemeinsam mit der lokalen Frauenunion offenbar erfolgreich gegen Beschneidung der Mädchen.

Nun sind die Archemed-Experten dabei, Telemedizin etwa in Kooperation mit Histologen in Potsdam zu etablieren. Und das Teleteaching – die Ausbildung der Mediziner in Eritrea dank großer Konferenzbildschirme – wird gerade ausgebaut. Jedes Jahr reisen 250 Mediziner, Schwestern und Pfleger aus Europa nach Eritrea, um dort ehrenamtlich tätig zu sein.

Stolz ist Schwidtal auch darauf, dass er Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) für einen Eritrea-Besuch begeistert habe. Dieser kehrte mit der Idee zurück, mit Kliniken aus ganz Deutschland nach Archemed-Vorbild solche Patenschaften auf Augenhöhe zu vermitteln. Damit noch mehr Ärztinnen wie Carolin Meinus und Katharina Marggraf sich ein ganzes Leben lang zurückerinnern werden an Szenen wie diese: Als eine sterbenskranke Mutter mit Lungenembolie, die ihr hilfloses Baby erst zu ihren Füßen abgelegt hatte, das Kleine schließlich doch noch stillen konnte. Da leuchteten ihre Augen so wie die der Kinderärztinnen von der Charité.

- Kontakt für Kliniken und Mediziner, Geld- oder Sachspender: Archemed, Grüner Weg 12, 59519 Möhnesee, Telefon: 02924 972 910. E-Mail: archemed@online.de, Internet: www.archemed.org

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