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Seitens der Briten gab es rund um das Ehrenmal an der Straße des 17. Juni reichlich Spekulationen.

© M. Gambarini/dpa

Mauerbau vor 59 Jahren: Das Geheimnis des sowjetischen Ehrenmals in Berlin-Tiergarten

Nach dem Mauerbau war das Ehrenmal Spielort bunter Spekulationen. So zum Beispiel die der Briten, im Ehrenmal könnten sich Rotarmisten verstecken.

Ein lauschiger Sommerabend im Tiergarten, kurz nach dem 13. August 1961: Ein Liebespaar hat es sich auf einer Parkbank, nicht fern vom Sowjetischen Ehrenmal, gemütlich gemacht, ganz mit sich selbst beschäftigt. Plötzlich taucht aus dem Dunkel ein britischer Soldat in voller Kampfmontur auf, fragt barsch, was man hier mache. Doch rasch erkennt er, dass von dem Parkbankidyll keine Gefahr ausgeht, ein kurzes „Sorry!“ und er ist weg.

So tragisch der Mauerbau heute vor 59 Jahren auch war, er wurde doch auch von Umständen, Begebenheiten, Vorfällen begleitet, die uns heute komisch, vielleicht sollte man sagen, tragikomisch, ja absurd erscheinen, und dazu musste man nicht unbedingt mit vorgehaltener Waffe beim Tête-à-Tête gestört werden.

Der junge Mann von der Parkbank, heute ehemaliger Ministerialrat im Bundesforschungsministerium und nach 1990 Leiter von dessen hiesiger Außenstelle, kann da noch mit anderen Erlebnissen aufwarten.

Zum Beispiel wie er vom Mauerbau erfuhr: Christoph Lammich war kurz zuvor als Gastreferendar aus Kiel nach West-Berlin gekommen, wohnte mit zwei anderen Referendaren im Hansaviertel, zur Untermiete in der Wohnung eines Rias-Wirtschaftsredakteurs.

In der Nacht auf den 13. August spielten sie dort Skat, als ein Kollege erschien und aufgeregt von der Abriegelung Ost-Berlins berichtete. Das war kaum zu glauben, aber wenig später rief der Pressesprecher von Telefunken an, der nicht wusste, dass der Rias-Mann vorübergehend den Wohnort gewechselt hatte. Und diesem wollte er mitteilen, was gerade über seinen Ticker lief: Ost-Berlin dicht.

Rotarmisten im Ehrenmal kaserniert?

Für den jungen Rechtsreferendar Lammich war es nicht das einzige mauerbedingte Zusammentreffen mit der britischen Schutzmacht. Man hatte ihn damals im Bauamt Tiergarten eingesetzt, in dem sich Tage nach dem Mauerbau der britische Stadtkommandant anmeldete. Große Aufregung also in Rathaus und Bauamt, dessen schon älterer Leiter den Jungjuristen bat, Protokoll zu führen.

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Es war dann doch nicht Generalmajor Sir Rohan Delacombe, der erschien, nur zwei Offiziere, der ältere offenbar von höherem Dienstgrad, bewehrt mit einem Offiziersstab zum Zeichen seiner Würde. Das Anliegen des Briten, wie sein Adjutant übersetzte: Man wolle gern wissen, was im Sowjetischen Ehrenmal vor sich gehe. Man vermute, dass dort in den Kasematten Rotarmisten kaserniert seien. Ob es Bauunterlagen gebe?

Ein Verdacht der Briten: Rotarmisten sollten im Ehrenmal untergebracht gewesen sein.
Ein Verdacht der Briten: Rotarmisten sollten im Ehrenmal untergebracht gewesen sein.

© imago images/Christian Spicker

Das musste der Bauamtsleiter verneinen. Schließlich hatte die Rote Armee das am 11. November 1945 eingeweihte Ehrenmal in Eigenregie errichtet und kaum dafür bei den Berliner Behörden einen Bauantrag gestellt. Aber war es damit nicht genau genommen ein Schwarzbau? Er habe da eine Idee, antwortete also der Bauamtsleiter mit ernster Miene, während er innerlich wohl feixte: Nach deutscher Bauordnung könnten ohne Genehmigung errichtete Gebäude abgerissen werden.

Bemerkte der hohe Gast die Ironie? Abriss – das wäre eher ein casus belli statt eine Lösung der britischen Sorgen. Aber der Offizier ließ sich nichts anmerken. Er habe sich freundlich für die „complete information“ bedankt, mild gelächelt, sei mit einem freundlichen „Bye, bye!“ gegangen, erinnert sich Lammich.

Jahrelanges Fingerhakeln zwischen Briten und Sowjets

Für ihn und das Bauamt Tiergarten war die Angelegenheit damit erledigt, für die Briten aber nicht, die ein jahrelanges Fingerhakeln mit den Sowjets begannen, von dem auch das erwähnte Liebespaar betroffen war.

Soldaten Ihrer königlichen Majestät zäunten das Ehrenmal mit Stacheldraht ein und ein Zug Infanterie wurde abkommandiert, der das Bauwerk samt der dort als Ehrenwache stehenden Rotarmisten bewachen sollte, vorgeblich, um es vor eventuellen Übergriffen durch wütende West-Berliner zu schützen. In den ersten Wochen mussten die Soldaten dort wohl in Zelten campiert haben, erst Ende Oktober 1961 meldete der Tagesspiegel den Bau winterfester Unterkünfte.

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Die Sowjets protestierten wiederholt gegen den unerbetenen Schutz, zeitweise nutzten sie für den An- und Abtransport ihrer Ehrenwache sogar Schützenpanzer. Die wurden von den Amerikanern, von britischer Seite um Amtshilfe gebeten, schon mal am Checkpoint Charlie abgewiesen.

Auch ein geschichtsträchtiger Ort der Hauptstadt: der Checkpoint Charlie.
Auch ein geschichtsträchtiger Ort der Hauptstadt: der Checkpoint Charlie.

© Fabian Sommer/dpa

Die Briten bestanden auf der kürzesten Strecke durch West-Berlin, und die begann nun mal am Übergang Invalidenstraße. Erst im August 1965 wurde das mittlerweile auf acht Mann geschmolzene Bewachungskommando komplett zurückgezogen. Fortan patrouillierten dort nur noch zwei britische Militärpolizisten.

Heute ist der Verdacht der Briten unvorstellbar

Spaziert man heute über das Areal des Ehrenmals, so kann man sich die britischen Sorgen nur mit der damaligen, wohl teilweise an Hysterie grenzenden Aufgeregtheit erklären. Wo hätte die Rote Armee ihre Kolonnen verstecken sollen? Die beiden schmalen, einen kleinen Innenhof umschließenden Gebäude im hinteren Bereich, eines heute von der Berliner Polizei genutzt, würden nicht mal für eine Kompanie reichen.

Auch der Keller unter dem Hauptmonument, in dem die Steuerung der Außenbeleuchtung untergebracht ist, ist zur Kasernierung heimlicher Kohorten untauglich. Weitere unterirdische Kasematten, beim Bau des Ehrenmals zwecks künftiger Eroberung West-Berlins angelegt? Unwahrscheinlich.

Es gibt dort einfach keine geheimen Räume, auch die vom Bundestag beschlossene, im Juni unter der Leitung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen begonnene Grundsanierung des Ehrenmals hat bislang keine Überraschungen gebracht.

Die Spuren der Zeit werden dabei wegpoliert, die bronzene Hauptfigur wird gereinigt und konserviert, die Anlage durch drei Rampen rollstuhlgerecht. Bis zum Jahresende sollen die Arbeiten beendet sein, und es ist davon auszugehen, dass dem deutschen Baurecht dabei Genüge getan wird.

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