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Ihrer Zeit voraus. Hilda Heinemann nutzte die Macht und Gestaltungsmöglichkeiten als First Lady, um mehr Gerechtigkeit für Menschen mit Behinderung zu erkämpfen.

© imago stock&people

Matinee im Schloss Bellevue in Berlin: Ex-First-Lady Hilda Heinemann als Vorkämpferin der Inklusion geehrt

Hilda Heinemann setzte sich bereits früh für Menschen mit Behinderung ein und stieß dabei auf viele Hürden. Nun würdigte das der Bundespräsident.

Als noch niemand daran dachte, setzte sich Hilda Heinemann für behinderte Menschen ein. Die deutsche First Lady der frühen 1970er Jahre erregte manchen Anstoß mit ihrem unkonventionellen Auftreten. Längst weiß man, wie richtig und wegbereitend ihr Handeln für die Inklusion war.

Am Montag ehrten Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender sie im Schloss Bellevue zu ihrem 125. Geburtstag mit einer Matinee. Gekommen waren Freunde und Angehörige von Hilda Heinemann, darunter ihre Enkelin Christina Rau, die als Ehefrau des ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau ebenfalls gezeigt hat, wie viele Gestaltungsmöglichkeiten das inoffizielle Amt einer First Lady haben kann.

Heute wird es fast für selbstverständlich genommen, dass es zum Bundespräsidenten noch eine versierte Vollzeitkraft gratis dazu gibt. Wenn eine Karrierefrau wie Elke Büdenbender einen anspruchsvollen Beruf wie den der Verwaltungsrichterin ruhen lässt, dann ist völlig klar, dass sie das nicht tut, um sich im Schloss Bellevue um die Blumen-Arrangements zu kümmern.

Als Hilda Heinemann an der Seite von Gustav Heinemann von 1969 bis 1974 die erste Dame war, sah man das noch anders. Umso erstaunlicher wirkt von heute aus betrachtet der Weg, den die studierte Lehrerin und Mutter von vier Kindern gegangen ist. Sie lebte nach dem Motto: „Man erreicht nur etwas im Leben, wenn man es versteht, bewusst unbequem zu sein.“

In ihrer Begrüßungsansprache zitierte Elke Büdenbender aus einem Nachruf über Hilda Heinemann, in dem stand: „Sie hat sich freiwillig und mit viel Phantasie einen Haufen Arbeit gemacht.“ Vor allem habe sie es verstanden, vielen Menschen eine Stimme zu geben, denen damals nur ein Platz am Rande der Gesellschaft zugestanden worden sei.

"Sie brach Regeln mit innerer Überzeugung und manchmal auch mit Vergnügen"

Umrankt von einem Musikprogramm mit Liedern wie „Anything Goes“ und „Ich weiß, was ich will“ ließ am Montag Gisela Mettele, Professorin für Geschlechtergerechtigkeit, die Zeit der frühen 1970er Jahre auferstehen. Hilda Heinemann erlebte diese Zeit bewusst als eine des Aufbruchs, in der es galt, Neues zu wagen.

Das hat sie mit Verve getan, oftmals wohl auch zum Kummer des Protokolls, wenn sie etwa in Kreuzberger Kinderläden über antiautoritäre Erziehung diskutierte oder das Geld, mit dem eigentlich zu Weihnachten Süßigkeiten für Diplomatenkinder gekauft werden sollte, lieber einsetzte, um kranke Kinder in Berliner Heimen zu bescheren.

Für manche waren solche Änderungen wohl auch ein Schreck. Als sie einen Appell von Amnesty International gegen die Folter an die Vereinten Nationen unterzeichnete, schickte das damals Schockwellen durchs Auswärtige Amt. „Sie brach Regeln mit innerer Überzeugung und manchmal auch mit Vergnügen“, sagt Gisela Mettele. Sie habe kein Problem damit gehabt, mit Obdachlosen zu sprechen, mit Strafgefangenen, mit Drogenabhängigen und vor allem mit behinderten Menschen.

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Bis heute ist die Rolle der First Lady rechtlich nicht ausdefiniert, aber damals ging man noch eher davon aus, dass die Frau ein schmückendes Anhängsel sei. Dabei hatten beispielsweise auch Wilhelmine Lübke und Elly Heuss-Knapp die Gestaltungsmacht des inoffiziellen Amts schon erkannt und genutzt.

Unter anderem hatten sie sich fürs Müttergenesungswerk eingesetzt, das neuerdings auch für Väter und pflegende Angehörige da ist. Auch Daniela Schadt, die sich an der Seite von Joachim Gauck als First Lady engagiert hat, war beim Matinee anwesend.

Heinemann kämpfte für Gerechtigkeit und Humanität

Wie ihr Mann Gustav Heinemann pflegte Hilda Heinemann ein Bürgerverständnis, das sich nicht an Bildungsabschlüssen orientierte. Lehren aus der Zeit des Nationalsozialismus machten sich in der Wahrnehmung von behinderten Menschen damals durchaus noch bemerkbar. Hilda Heinemann nutzte ihren Einfluss, um mehr Gerechtigkeit und Humanität zu erreichen.

Sie wollte der Ausgrenzung und Benachteiligung ein Ende bereiten. Allerdings gab es zum Teil erhebliche Widerstände gegen die von ihr tatkräftig unterstützten Wohnstätten für Erwachsene mit Behinderungen. Bevor sie 1972 das bundesweit erste Wohnstättenwerk für Erwachsene mit geistigen Beeinträchtigungen in Dahlem eröffnete, mussten Betroffene teils in Siechenheimen und Obdachlosenunterkünften leben.

Heinemann gründete unter anderem eine Stiftung zum Zweck der Eingliederung von geistig behinderten Erwachsenen in die Arbeitswelt.
Heinemann gründete unter anderem eine Stiftung zum Zweck der Eingliederung von geistig behinderten Erwachsenen in die Arbeitswelt.

© picture-alliance / dpa

An einer Podiumsdiskussion zum Thema „Menschen mit Behinderung in unserer Gesellschaft“ nahm auch der Schauspieler Stefan Urbanski teil, der als erstes Mitglied mit Down-Syndrom 2019 in den Vorstand der Lebenshilfe berufen wurde. Zum Theater RambaZamba kam er über seine Liebe zum Puppenspiel. Er wünsche sich, „dass Politiker mehr mit Behinderten reden sollten, was sie überhaupt wollten und leisten könnten“, sagte er.

Andrea Schönfisch, die in der Personalabteilung der Mosaik-Werkstätten arbeitet, berichtete, dass es auch heute noch Erfahrungen von Ausgrenzung gibt – in ihrem Fall, als als sie sich bei einem Pharmaunternehmen beworben habe. Das Gespräch sei gut gelaufen bis zu dem Punkt, an dem sie ihre Behinderung erwähnte. Für die Zukunft wünscht sie sich mehr Chancen, um zu zeigen, was in ihr steckt, zum Beispiel durch Praktika oder Probearbeit.

„Wir können mehr, als viele denken", sagte auch Stefan Urbanski. Er freut sich darauf , dass er bald mit seiner Freundin in eine Wohnstätte der Lebenshilfe in der Utrechter Straße zusammenzieht. Dort würden auch neue Freundschaften geknüpft. „Sie ist und war eine Lebenshelferin“, sagte er über Hilda Heinemann.

Beim anschließenden Empfang wurden neue Projekte geplant und Erinnerungen ausgetauscht. Christina Rau, die sich von Berlin aus nach wie vor für die Kindernothilfe engagiert, denkt auch ganz privat sehr gern an ihre Großmutter zurück: „Am Ersten Advent hat sie immer ein großes Enkeltreffen organisiert, damit wir zusammen die Weihnachtslichter bestaunen konnten.“

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