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Seit Tagen sterben in der Oder massenhaft Fische.

© Soeren Stache/dpa/ZB

Update

Massenhaftes Fischsterben in der Oder: Hohe Quecksilberwerte in Wasserproben – Deutsche Behörden von Polen nicht über Gift-Fund informiert

Wegen eines Fischsterbens entlang der Oder warnen Behörden vor Gesundheitsgefährdungen. In Polen trat das Problem im Juli auf, doch eine Meldung blieb aus.

Überall liegen tote Fische am Ufer. Die Kadaver treiben bäuchlings an der Wasseroberfläche. Es sind verheerende Bilder und Videos von der Oder, die im Internet kursieren. Sie dokumentieren das massenhafte Fischsterben am Grenzfluss, das auch für Menschen gefährlich sein könnte – und nun die deutsch-polnische Nachbarschaft belastet. Denn östlich der Oder waren die Probleme seit Längerem bekannt.

Nachdem am Mittwoch zunächst die Stadt Frankfurt (Oder) Alarm schlug, warnten am Donnerstag auch die brandenburgischen Landkreise Oder-Spree, Märkisch-Oderland, Barnim und Uckermark vor einer Gesundheitsgefährdung bei Kontakt mit dem Oder-Wasser. „Aktuell ist in der gesamten Oder ein Fischsterben zu beobachten“, teilte die Regionalleitstelle Oderland am Donnerstagvormittag über die Katastrophenschutz-App Katwarn mit.

Solange unklar sei, um welche Stoffe es sich handelt, und in welcher Konzentration diese in der Oder und in den Nebengewässern vorkommen, dürfe in der Oder nicht gebadet werden. Zudem sollten Bürger in dem Grenzfluss und seinen Nebengewässern kein Wasser entnehmen, nicht angeln, keine Fische aus dem Wasser verzehren und auch keine Tiere daraus trinken lassen.

Das Fischsterben in der Oder hatte in den vergangenen Tagen Angler und Behörden in Brandenburg an der Grenze zu Polen beunruhigt. Auch das Landeskriminalamt (LKA) in Brandenburg ermittelt zum Fischsterben im Grenzfluss. Es sei eine Wasserprobe entnommen worden, die das Landeskriminalamt auswerte, sagte eine Sprecherin des Polizeipräsidiums in Potsdam am Donnerstag. Wann ein Ergebnis vorliegen werde, sei unklar.

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Das Landesamt für Umwelt berichtete, es seien am Dienstag Proben aus der automatischen Messstation in Frankfurt/Oder zur Analyse in das Landeslabor Berlin-Brandenburg gebracht worden. Die Einrichtung sei über die Dringlichkeit der Auswertung informiert, hieß es.

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Erste Analyse-Ergebnisse zeigten am Donnerstag übereinstimmend, dass eine starke Welle organischer Substanzen durch Frankfurt an der Oder gegangen sei und sich seitdem flussabwärts fortsetze, aktuell bis Schwedt. Die Auswirkungen auf das Ökosystem ließen auf synthetische chemische Stoffe, sehr wahrscheinlich auch mit toxischer Wirkung für Wirbeltiere schließen. Am Freitag werden laut Ministerium die ersten Ergebnisse der organischen Spurenstoff-Analyse erwartet.

Am Abend berichtete der RBB, Mitarbeiter des Landeslabors hätten hohe Werte von Quecksilber in den Wasserproben gefunden. Die Werte seien so hoch, dass das Testergebnis nicht darstellbar sei und die Testung wiederholt werden müsste. Ob das in den Proben aus der Oder nachgewiesene Quecksilber ursächlich für das massenhafte Fischsterben ist, sei aber nach wie vor nicht geklärt, so der RBB.

Die deutschen Behörden wurden von polnischer Seite nicht gewarnt

Dass die Untersuchung so lange dauert – und auch dass Brandenburgs Bevölkerung erst spät vor einer möglichen Gefahr gewarnt wurde, liegt offenbar an ausgebliebenen Meldungen der polnischen Behörden. Nach Berichten polnischer Medien hatten Angler in Polen bereits Ende Juli tote Fische am Ufer gefunden. Inzwischen sind es nach Behördenangaben Tausende, die zunächst in Niederschlesien, inzwischen aber auch in der Wojwodschaft Lubuskie, weiter nördlich, gefunden wurden.

Inspektoren des Gewässeramts in Niederschlesien hatten den Berichten zufolge bereits Ende Juli Wasserproben an drei Stellen entnommen. Anfang August teilte das Gewässeramt in Wroclaw (Breslau) mit, der hohe Sauerstoffgehalt im Wasser weiche von den typischen Sauerstoffkonzentrationen im Sommer ab. Es sei möglich, dass eine Substanz mit stark oxidierenden Eigenschaften ins Wasser gelangt sei. Zudem wurde an zwei Stellen die giftige Substanz Mesitylen nachgewiesen.

Tritt ein solcher Fall auf, greift der Alarmplan Oder. Die polnische Seite ist danach verpflichtet, die deutschen Behörden zu informieren. Das jedoch geschah laut dem Brandenburger Landesamt für Umwelt nicht. Bis frühestens Mittwoch sei keine Meldung aus Polen eingegangen, sagte ein Sprecher auf Tagesspiegel-Anfrage. Zu diesem Zeitpunkt trieben längst auch auf der deutschen Seite die Fische tot im Wasser.

Frankfurts Oberbürgermeister sieht "Staatsversagen"

Die Verantwortlichkeiten hätten „offenkundig versagt“, sagte Frankfurts Oberbürgermeister René Wilke (Linke). Nicht nur seien Meldungen aus Polen ausgeblieben. Auch der Bund als Eigentümer der Bundeswasserstraße und das Land Brandenburg hätten es „nicht geschafft, den entstandenen Problemen in einer angemessenen Frist zu begegnen“.

Wilke meint damit auch die tausenden toten Fische, die die Stadt nun wie der Landkreis Märkisch-Oderland selbst beseitigt. Danach werde deutlich um Antworten bitten. „In meinen Augen handelt es sich um Staatsversagen, das nicht ohne Folgen bleiben kann“, sagte Wilke.

Brandenburgs Umweltminister übt Kritik

Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel (Grüne) kritisierte die zuständigen Behörden in Polen. Man habe zwar Kontakt mit der polnischen Seite, sagte Vogel am Donnerstag Radioeins vom RBB. Allerdings sei man über die Ereignisse in Opole, die offenbar am 27. oder 28. Juli stattgefunden hätten, bisher nicht offiziell informiert worden.

Man wisse „nur von Dritten und aus Medien, dass in größerem Umfang Lösungsmittel freigesetzt wurden, die möglicherweise für das Fischsterben mitverantwortlich“ seien, sage der Minister. „Es ist festzustellen, dass die vereinbarten Meldewege nicht eingehalten wurden und wir deswegen auch viele Informationen nicht haben, die wir hätten haben sollen.“ In jedem Fall sei es eine seltsame Erscheinung, dass der Sauerstoffgehalt in der Oder in den vergangenen Tagen trotz der hohen Temperaturen merklich gestiegen sei, sagte Vogel.

Polnische Umweltbehörde geht von Industrie als Verursacher aus

Am Donnerstag teilte die polnische Umweltschutzbehörde mit, das Fischsterben sei wahrscheinlich von einer Wasserverschmutzung durch die Industrie ausgelöst worden. „Alles deutet darauf hin, dass die Verschmutzung der Oder, die zum Sterben zahlreicher Fische geführt hat, industriellen Ursprungs sein könnte“, sagte die stellvertretende Leiterin der Behörde, Magda Gosk.

Die Umweltbehörde versuche, mit Drohnenüberflügen potenzielle Verschmutzungsquellen aufzuspüren und festzustellen, wie der Zustand des Flusses sei. Man untersuche, um welche Substanz es sich handelt und „vor allem, wer diese Substanz wo in die Oder eingeleitet hat“, sagte Gosk weiter.

Fischereiverband rechnet mit "mehreren Tonnen tote Fische"

Kritik kommt auch von Lars Dettmann, Landesgeschäftsführer des Fischereiverbandes Brandenburg/Berlin. „Es ist eine große Schweinerei, dass man das in Polen schon Ende Juli mitbekommen und nichts gesagt hat“, sagte er. Menschen und Behörden in Deutschland seien deshalb zu lange „völlig ahnungslos“ gewesen. Die Menge der toten Tiere entlang des Flusses sei enorm. „Ich gehe davon aus, dass wir locker mehrere Tonnen tote Fische haben.“

Doch wie groß der Schaden genau sei, lasse sich schwer abschätzen. „Die Oder ist ein Fluss. Die Masse der toten Fische wird mit ihr runter treiben.“

Zugleich ist die Hoffnung der Fischer: Wie die Kadaver könnte auch ein mögliches Gift mit der Strömung den Fluss wieder verlassen. „Die Erfahrung zeigt, dass das gerade in Flüssen relativ kurzfristige Erscheinungen sind“, sagte Dettmann. Kurzfristig sei das katastrophal, aber langfristig oft weniger gravierend.

In Polen haben sich die Wasserwerte wieder normalisiert

Dafür sprechen auch Meldungen aus Polen. Neuere Wasserproben aus der Oder in Niederschlesien sind nach Angaben des Gewässeramts in Wroclaw unbelastet. Seit dem 1. August sei die giftige Substanz Mesitylen in Proben nicht mehr nachgewiesen worden, teilte die Behörde am Donnerstag mit. Der physische und chemische Zustand des Wassers werde aber weiter täglich untersucht.

Zudem würden auch die Fische vor dem sich ausbreitenden Gift fliehen, erklärte Verbandsgeschäftsführer Dettmann. Sie schwömmen dann in unbelastete Nebenflüsse. Ein Vorteil dabei sei, dass die Oder keine Stauwehre habe.

Dass das Schlimmste ausbleiben könnte, zeigte dem Fischer eine Meldung aus Brieskow-Finkenheerd, südlich von Frankfurt (Oder). Dort habe ein Fischerkollege zwischen den toten Tieren bereits wieder junge Fischbrut entdeckt.

Dettmann hofft trotzdem auf eine schnelle Aufklärung des Vorfalls durch die polnischen Behörden. „Ich möchte eine Adresse haben, an die ich die Schadenersatzforderung schicken kann. Denn was da tot treibt, ist der zukünftige Ertrag von Fischern gewesen.“ (mit dpa)

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