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Mit den Corona-Schnelltests wurden in der Pandemie viele Millionen Euro verdient. Nicht immer zu Recht.

© IMAGO / IlluPics

Update

Massenhaft falsche Rechnungen in Testzentren: Justiz prüft Untreue-Verdacht gegen den Vorstand der Berliner Kassenärzte

Wurden Hinweise auf Betrug in Corona-Testzentren nicht durch die KV gemeldet? In jedem Fall wurde es Abrechnungsbetrügern in der Pandemie leicht gemacht.

Angesichts massenhafter Betrugsfälle in Corona-Testzentren prüft Berlins Staatsanwaltschaft, ob auch der Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) wegen Untreue belangt werden kann.

Allein in Berlin sollen vor allem im Pandemiejahr 2021 allein 30 Millionen Euro Schaden entstanden sein. Damit sind Steuergelder gemeint, die zwar von den Betreibern einiger Corona-Zentren abgerechnet wurden, für die aber keine oder inkorrekte Tests durchgeführt wurden. Umfangreich hatte „Spiegel TV“ zuerst darüber berichtet.

Das Landeskriminalamt (LKA) ermittelt in circa 400 Verfahren, die sich im Einzelfall auf mehrere der damals errichteten Ad-Hoc-Zentren erstrecken: In 25 Prozent der fast 2400 Berliner Teststellen soll womöglich falsch abgerechnet worden sein.

Rechne man die erwarteten Schäden auf ganz Deutschland hoch, wäre ein Zehntel der von der Bundesregierung für die Schnelltests bereitgestellten 10,5 Milliarden Euro durch Betrug an Kriminelle gegangen.

Vorwurf der Ermittler: Die formal zuständige KV habe offenkundige Verdachtsfälle nicht der Polizei gemeldet. Dem widerspricht die KV. Sie teilte mit, man habe durchaus Verdachtsfälle gemeldet und weise den Vorwurf der Untreue auf das Schärfste zurück.

Bis Juli 2021 gab es zwölf Euro pro Test, danach 8,50 Euro

Der frühere Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der seit der zweiten Coronawelle ab Herbst 2020 zunehmend unter Druck geriet, unterstützte die auch von Laien betriebenen Teststationen mit viel Geld. Das nutzten Figuren des Clan-Milieus und Männer, die im In- und Ausland der Bandenkriminalität verdächtigt werden.

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Bis Juli 2021 gab es zwölf Euro pro Test, danach 8,50 Euro. Die KV erhält zudem einen „Verwaltungskostenersatz“ in Höhe von 3,5 Prozent, der später auf 2,5 Prozent gesenkt wurde. Aber: Je mehr Geld die Teststellenbetreiber bei der KV abrechneten, desto mehr Geld blieb bei der Organisation selbst hängen.

Um eine Corona-Teststelle einzurichten, mussten weder echte Ausweise noch Führungszeugnisse hinterlegt werden. Für einen Schnelltest in einem solchen Ad-hoc-Zentrum war auch kein medizinisches Personal erforderlich. Es bewarben sich neben wenigen Ärzte so dann auch Betreiber von Spätis, Imbissen, Automatencasinos, Shisha-Bars.

Ein Teststellen-Anbieter habe mehr als 160 Einträge in seiner Polizeiakte gehabt, bestätigte der auf Abrechnungsbetrug spezialisierte Chefermittler, Jörg Engelhard, dem Tagesspiegel. Zwar mussten sich die Betreiber der Zentren online in der Senatsgesundheitsverwaltung registrieren. Aber schon, wenn einer von ihnen mehrere Stationen anmeldete, ließ sich nur schwer zuordnen, wo er welche Corona-Tests durchführen ließ.

Nur wenige Stellen wurden geprüft

Wer in der Verwaltung registriert war, konnte der KV seine Arbeit in Rechnung stellen. Theoretisch konnte dabei jedes Testzentrum zahlreiche Fälle erfinden. Geprüft wurden nach Hinweisen personalbedingt nur ganz wenige Stellen durch Polizei und Ordnungs- beziehungsweise Gesundheitsämter.

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Die KV ist eine Körperschaft öffentlichen Rechts, ihr müssen alle 9000 Berliner Praxisärzte angehören, die gesetzlich Versicherte versorgen. Die KV verwaltet die Honorare der Krankenkassen und regelt die ambulante Versorgung. Minister Spahn beauftragte die Kassenärzte deshalb auch damit, die Arbeit der Zentrenbetreiber abzurechnen und mit den staatlichen Geldern zu bezahlen.

Rund 590 Millionen Euro hat die KV an Steuergeld bislang insgesamt für die Ad-Hoc-Zentren ausgezahlt. Noch laufen in ganz Berlin zahlreiche Teststellen.

In Berlins Abgeordnetenhaus hatte die CDU schon im Juni 2021 gefragt, warum die damals amtierende Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) kaum auf die zahlreichen Betrugshinweise reagiert habe. Wie berichtet, reagierte Kalayci damals knapp: Für die Abrechnung sei die KV zuständig, für das Aufklären von Straftaten wiederum die Polizei.

Das Büro der heutige Gesundheitssenatorin, Ulrike Gote (Grüne), teilte mit: Kontrollen der Testzentren seien durch die bezirklichen Ordnungsämter, die Gesundheitsämter und das LKA erfolgt – letzterem habe man auch eingehende Beschwerden zu Teststellen gemeldet.

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