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Mark Twain in Berlin: Die Siegessäule? „Ein Schandfleck!“

Mark Twain liebte Berlin, aber nicht alles hat ihm gefallen. Andreas Austilat hat den Besuch des Autors an der Spree nachgezeichnet.

Einem Kaiser sollte man nicht widersprechen, schon gar nicht einem wie Wilhelm II., oder? Jedenfalls war das der Eindruck, den Mark Twain bei der einzigen Begegnung mit Seiner Majestät gewonnen hatte, am 20. Februar 1892 im Haus des kaiserlichen Generaladjutanten Maximilian von Versen in der Mauerstraße, der mit einer Cousine Twains verheiratet war. Der Kaiser selbst hatte gedrängt, den auch von ihm gern gelesenen Autor kennenzulernen, der mit seiner Familie seit Monaten in Berlin lebte. An sich günstige Voraussetzungen für einen gelungenen Abend, Twain hatte sogar genaue Instruktionen erhalten, was die Hofetikette von ihm verlange, und doch …

Das Gespräch war irgendwie auf das amerikanische System der militärischen Pensionen gekommen, das Wilhelm sehr gelobt hatte, nur war Twain nicht dieser Meinung und tat dies auch kund. Die Pensionen seien prinzipiell gut, aber zu einem „System des Stimmenkaufs“ ausgeartet, „eine Quelle der Korruption (…) und nebenbei auch eine Gefahr“. Twain hatte Contra gegeben, das schien der Kaiser nicht zu vertragen, richtete den ganzen Abend nicht mehr das Wort an ihn.

Aber vielleicht bildete Twain, Opfer seiner Vorurteile und der im Vorfeld erhaltenen Ermahnungen, sich das alles nur ein, beklagte sich doch später Wilhelm in seinen Memoiren, dass Twain viel zu still gewesen sei, und ließ ihm noch Jahre später eine Botschaft nach New York überbringen, die auf den verunglückten Abend Bezug nahm: „Richten Sie Mr. Twain meine herzlichsten Grüße aus. Fragen Sie ihn, ob er sich an unser Essen erinnert, und fragen Sie ihn, warum er so wortkarg war.“

Die Episode war, wenn man so will, der gesellschaftliche Höhepunkt des Berlin-Besuchs des amerikanischen Humoristen – und damit zugleich einer der Höhepunkte in dem Buch „A Tramp in Berlin“, das Tagesspiegel-Redakteur Andreas Austilat jetzt in dem deutsch-amerikanischen Verlag Berlinica veröffentlicht hat. Bisher, mit Blick aufs amerikanische Publikum, nur auf Englisch, doch wäre ihm zu wünschen, dass es auch hierzulande Leser findet, und das fällt auf Deutsch nun mal leichter.

Der Reiz des Werks geht übers Anekdotenhafte hinaus, liefert in der Schilderung von Twains Berliner Erlebnissen ein Porträt des Schöpfers von Tom Sawyer und Huckleberry Finn wie auch eines von Berlin im späten 19. Jahrhundert, ergänzt durch alte Zeitungsartikel, die damals Twains Besuch gewidmet wurden, wie auch durch Berliner Texte des Autors selbst, die teilweise noch nie veröffentlicht wurden – so etwa das Fragment eines Romans über Wilhelmine von Preußen, die Schwester Friedrichs II., die spätere Markgräfin von Bayreuth und Gründerin der dortigen Oper.

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Auch die Stadt an der Spree hat, bei aller Liebe, Twains Spottlust entzündet, etwa in der satirischen Erzählung „Wie man in Berlin eine Wohnung mietet“, in der er, nun ja, reichlich zugespitzt die Erlebnisse mit seiner ersten Berliner Wohnung verarbeitet. Die lag in der Körnerstraße 7 in Tiergarten, das Haus musste schon wenige Jahre nach Twains Berlinbesuch einem Fernmeldeamt weichen. Eine „Berliner Gedenktafel“ erinnert heute an den berühmten Gast, der sich mit seiner Familie in der alles andere als mondänen Gegend nicht sehr wohl fühlte und daher bald ins damalige Hotel Royal Unter den Linden Ecke Wilhelmstraße wechselte – das schien ihm damals standesgemäßer. Im Baedeker von 1891 wurde das Haus als „vornehm“ gepriesen und auch erwähnt, dass dort nur Wein serviert werde, keinesfalls Bier. Der Gerstensaft galt als vulgär.

Von Oktober 1891 bis zum März 1892 weilte Twain mit seiner Familie in Berlin, kehrte nur in den Sommern 1892 und 1893 noch für jeweils wenige Tage zurück. Auch wenn er schon am Anfang meist überschwänglich über Berlin geurteilt hatte, seine Ironie selten schmerzte – mit dem Abstand fiel selbst seine Kritik an Dingen, die ihm hier missfielen, noch viel milder aus. Über die Siegessäule hatte er anfangs noch gelästert, der „goldene Engel“ sei „ein Schandfleck, zumindest was seine auffälligsten und aggressivsten Züge betrifft“. Später gab er sich versöhnlich: „Die Siegessäule ist nur von hinten so dürftig.“

— Andreas Austilat: A Tramp in Berlin. New Mark Twain Stories & an Account of Twain’s Berlin Adventures. Berlinica, 167 Seiten, 23 Euro (Hardcover) oder 12 Euro (Softcover), über Amazon oder jede Buchhandlung bestellbar

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