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Berlin: Margot Schamberger (Geb. 1926)

Verehrer gab es genug, aber mit einem zusammenleben, das wollte sie nicht

Sie liegt im Gras. Die Sonne steht senkrecht am Himmel. Spritzendes Wasser, Kindergeschrei, mütterliche Plaudereien vermengen sich zu einem entfernten Rauschen. Bis sie dicht über ihrem Gesicht eine Stimme hört: „Margot, darf ich dir einen Freund vorstellen?“ Auf ihrer Stirn bildet sich eine kleine Falte. Matt hebt sie den Kopf und legt eine Hand zum Schutz vor dem gleißenden Licht über die Augen. Vor ihr steht ein junger fremder Mann. Er starrt auf ihre langen biegsamen Beine und auf ihre Hände, diese schmalen, gotischen Finger, die sie ihm ein wenig nachlässig entgegenstreckt.

„Die Hände waren das Pendant zu ihren hinreißenden Beinen und das Erste, was mir an Margot auffiel“, sagt der junge Mann von damals, „daraus entstanden ist eine lange Freundschaft, keine Liebesbeziehung. Verehrer gab es genug, aber mit einem länger zusammenleben, das wollte sie nicht. Vielleicht umgab sie sich deshalb so gern mit schwulen Männern.“

Immer strebte Margot Schamberger danach, unabhängig zu bleiben, eine unabdingbare Eigenschaft in ihrem Beruf. Zu Beginn des Krieges begann sie eine Banklehre, die sie in kürzester Zeit abschloss. Nach dem Krieg fing sie erneut an bei der Berliner Volksbank, stieg schnell auf zur Chefin der Personalabteilung, einem Bereich, der seinerzeit ausschließlich Männern vorbehalten war. Reibungslos verlief ihre Arbeit nicht, aber sie besaß eine hohe Sachkenntnis und eine außerordentliche Begabung und Menschenkenntnis.

An den Abenden legte sie das Bankkostüm ab, zog ein schönes Kleid an und ging aus, auf Bälle und zu Berlinale–Empfängen, samstags in eine Diskothek in der Nähe des Kurfürstendamms, wo sie in den Sonntagmorgen hineintanzte und anschließend in einem Lokal frühstückte, um sich erst dann ins Bett zu begeben.

Sie besuchte Oper und Konzerte, vor allem jedoch liebte sie das Theater, in den Achtzigern die Inszenierungen Peter Steins an der Schaubühne, nach der Maueröffnung die Stücke auf Ost-Berliner Bühnen. Am Deutschen Theater und am Maxim-Gorki- Theater war sie Mitglied des Fördervereins. Sie las unentwegt, vorzugsweise politische Literatur und Bücher über die jüngere Geschichte. Sie aß gern und lud Freunde zum Essen ein, nicht zu sich nach Hause, stets ins Restaurant. Jedes Jahr in der Osterzeit bereitete ein Freund ein opulentes Frühstück, bis zu 18 Personen tafelten um den langen Tisch, füllten die Gläser immer wieder, bis in den späten Nachmittag hinein.

Jäh brach dieses Leben ab, sie tanzte nicht mehr, saß selten im Konzert oder im Theater, zog sich zurück. Die Schmerzen waren zu stark. Zweimal operierte man sie an der Hüfte, Linderung brachten die Eingriffe nicht, mühsam nur noch konnte sie danach gehen, keiner ihrer herrlichen Schuhe wippte mehr am Ende dieser unerhört langen Beine. Immer öfter sagte sie Verabredungen ab, bestellte sich auch für kurze Wege ein Taxi. Ihre zarten Finger begannen, sich zu krümmen, hielten kaum noch einen Stift, Arthrose kroch in die Gelenke.

In ein Heim wollte sie auf keinen Fall, wollte ihre Tage nicht ausschließlich mit alten Menschen verbringen. Ans Meer zog es sie. In den fünfziger Jahren war sie auf einem Frachter die norwegischen Fjorde entlanggefahren und träumte seither davon, diese Reise zu wiederholen. Ihr Freund kaufte die Schiffskarten, sie war voller Vorfreude, ging noch mal zum Arzt, der keine Bedenken hatte. Als sie aus der Praxis kam, verletzte sie sich den Fuß.

„Ich mache alles mit den Beinen“, sang Curt Bois in den zwanziger Jahren. Margots Freund legte das Chanson noch einmal auf, zu ihrer Beerdigung. Tatjana Wulfert

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