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Berlin: Margarete Winkes (1947)

Bewundern allerdings gehörte nicht zu ihrem Repertoire.

Mit Wut, sagte sie, fing alles an. Da sollten doch, mitten in Charlottenburg, Hochhäuser aufgestellt, meterhohe Lärmschutzwände hochgezogen, Billigläden etabliert werden! Die Kastanien und Linden, Jahrhunderte alt, würden verschwinden. Nicht mit ihr.

Natürlich hat sie nicht allein gekämpft in der Bürgerinitiative Stuttgarter Platz. Aber sie war besonders laut, besonders zäh. Besonders nervig. Wenn jemand dachte, der Punkt ist jetzt aber echt ausdiskutiert, dann grätschte sie noch mal rein. Nächste Runde. Streiten war für sie Kultur. Schlagfertig, aber ohne die Fähigkeit, über sich selbst zu lachen. Sie fetzte sich gern und ließ gar nicht gern los. Keine Kompromisse!

Die Wut reichte für mehr als zehn Jahre. Für ihre erfolgreiche Hartnäckigkeit hat die Initiative den Umweltpreis des BUND bekommen. Das war Margarete Winkes wichtig, dass der Kampf honoriert wurde. Außerdem hatte sie den Platz ja jeden Tag vor Augen, lebte als Mieterin mit ihrem Mann und Mitstreiter direkt vis-à-vis. Wobei es ihr um weit mehr als persönliches Wohlbefinden ging. Es ging um die Stadt, die Gesellschaft, die Natur.

Genau wie in ihrer eigenen Architektur. „Werkfabrik“, so nannten sie das 1979 gegründete, kollektiv organisierte Büro. Damit war schon mal klar: Es ging hier um die Sache, nicht um die Person. In einer immer mehr vom Starkult geprägten Branche war das von Bedeutung.

„Man wollte kein Zeichenknecht sein in einem großen Büro“, sagt Hendrikje Herzberg, die Anfang der 80er in die Werkfabrik einstieg. „Man wollte was anderes leben.“ Nie gelang das besser als in den 80er Jahren, als die Internationale Bauausstellung neue Ideen forderte und förderte. Sie haben gebaut und umgebaut, die Heinrich-Zille-Schule, Kitas, Krippen, immer im Kontext des ganzen Bezirks, sie haben Wege gesucht, Vorhandenes neu und anders zu nutzen. Der Schule aus der Kaiserzeit nahmen spielerische Formen die Strenge, in einem schnöden Hinterhaus bildeten sich nach dem Zusammenlegen der Kleinstwohnungen neue Gemeinschaften. „Soziale Baukunst“, so nannten sie das, und von dem Gedanken ließen sie sich auch bei der Ergänzung von Plattenbauten in den 90er Jahren leiten.

An der TU in den frühen 90ern fiel sie auf. Fünf Jahre lang hat sie dort gelehrt. Eine Frau, hübsch, blond, links, mit weißer Bluse und Hosenanzug inmitten eines Altherrenvereins. Erfrischend unakademisch sei sie aufgetreten, stets habe sie die gesellschaftliche Bedeutung des Bauens in den Blick genommen, so erinnert sich ein ehemaliger Student. Bewundern allerdings gehörte nicht zu ihrem Repertoire. Ob Kleihues, Gehry, Chipperfield, die Arbeit berühmter Kollegen hat sie aufs Heftigste kommentiert.

Sie hatte ein Fahrrad, knallrot natürlich, aber radelnd wurde sie nie gesehen. Ansonsten hielt sie nichts von Besitz. Auch wenig vom Reisen, es sei denn, es hatte was mit Arbeit zu tun.

Familie? Hatte sie nicht, so wenig wie ihr Mann. Von denen, die es gab, hatten sie sich gelöst, vielleicht war es auch umgekehrt, die Verhältnisse blieben diffus. Klar muss sie einen Erzeuger gehabt haben, aber von dem hat sie nie erzählt.

Sie brauchten keine Familie, sie hatten ja sich. Wie siamesische Zwillinge beschreiben Weggefährten die beiden, die sich schon als Jugendliche in der rheinischen Heimat gefunden hatten.

Einen Umweg sind beide gegangen, Margaretes Mann, HP, lernte erst Maurer, bevor er an die Werkkunstschule ging, sie machte eine Ausbildung zur Kauffrau im Sanitärgroßhandel, holte dann das Abitur nach. Zusammen sind sie nach Berlin gegangen und nahmen die Liebe zum Karneval mit. Dafür hat sie sogar mal ihre Stammkneipe am Stuttgarter Platz verlassen, ist in die „Ständige Vertretung“ gereist, hat gesungen und getanzt. Zusammen haben die beiden an der TU studiert, zusammen haben sie ihr Büro eröffnet und für die Arbeit gelebt. Ihre Bauprojekte waren ihre Kinder, sagt einer, der sie kannte. Und ihre Enkel, ergänzt eine andere.

Sie wollten gemeinsam im Atlantik bestattet werden. Dann starb HP lange vor ihr, 2010. Was das für sie bedeutete, darüber sprach sie nicht. Margarete bewahrte seine Asche bei sich zu Hause auf, bis sie selber tot war.

Fünf Leute haben sich jetzt, ein paar Monate später, im „Lentz“ versammelt, dem Gasthaus am Stuttgarter Platz, das ihr Wohnzimmer war, wo sie jeden Abend saßen. Die Weggefährten wollen erzählen von Margarete Winkes, warum sie wichtig war für sie und für die Stadt, die Architektur. Sie haben mit ihr gearbeitet und gekämpft und von ihr gelernt. Sie haben sie im Krankenhaus besucht, als sie dort schwerkrank lag. Normalerweise würde man sie als ihre Freunde bezeichnen. Aber das, sagen sie alle, waren sie nicht. Margarete Winkes hielt die anderen auf Abstand, keine Berührung, keine Umarmung, in ihre Wohnung hat sie niemanden gelassen. Wenn einer ihr Blumen brachte, sagte sie: Leg sie vor die Tür. Telefonieren ja, stundenlang, jeden Tag, streiten und kämpfen bis ganz zum Schluss, aber da ging’s ums Politische, nicht ums Persönliche. Wie es ihr geht? Alles gut. Bloß keine Schwäche zeigen. Am Ende musste die Tür aufgebrochen werden. Susanne Kippenberger

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