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Berlin: Margarete von Zahn (Geb. 1924)

Als Agentin kam sie nicht infrage

Margarete von Zahn, Medizinstudentin, wird von ihrem Anatomieprofessor Hermann Stieve in dessen Büro gebeten. „Hier“, sagt er, „ist die Asche ihrer amerikanischen Tante Mildred Harnack“, und überreicht Margarete eine Urne. „Ich habe sie während der Hitlerzeit vor dem Sezieren bewahrt.“

Margarete glaubt fest daran, dass Hermann Stieve sich damals in Lebensgefahr begeben hat. Bis sie Ende der achtziger Jahre Folgendes erfährt: Hermann Stieve versuchte nachzuweisen, dass der weibliche Eisprung auch außerhalb der Regel stattfinden kann. 1931 äußerte er sich über die Schwierigkeiten seiner Forschungsarbeit: „Es ist ungemein schwer, Eierstöcke von wirklich gesunden Mädchen aufzutreiben.“ Nachdem die Nazis an die Macht gekommen waren, schnellten die Zahlen der zum Tode Verurteilten in die Höhe. 1938 vermerkte Stieve: „Durch die Hinrichtungen erhält das Anatomische Institut einen Werkstoff, wie ihn kein anderes Institut der Welt besitzt. Ich bin verpflichtet, diesen Werkstoff entsprechend zu bearbeiten, zu fixieren und aufzubewahren.“ Stieve erhielt 269 Körper toter Frauen, auch den von der Literaturwissenschaftlerin und Widerstandskämpferin Mildred Harnack aus der Haftanstalt Plötzensee.

Margarete gab ungern Interviews. 2005 machte sie für den Südwestrundfunk eine Ausnahme, „Mildreds Asche“ lautet der Titel des Features. „Ich fühlte mich ganz sicher, in einer Hülle“, antwortet sie darin auf die Frage, wie sie die NS-Zeit erlebt hatte. Neun ihrer berühmten Familienmitglieder waren ermordet worden.

Bis 1933 war Margaretes Welt noch in Ordnung. Sie lebte mit ihren Eltern im Haus des Großvaters, des Theologen Adolf von Harnack, am Grunewald; ihr Vater war Ministerialrat, ihre Mutter Schriftstellerin und Frauenrechtlerin, die erste Frau, die an der Friedrich-Wilhelms-Universität aufgenommen worden war, Matrikelnummer 1.

An den Abenden saß die Familie im Salon, die Kinder brachten Theaterstücke zur Aufführung, zu denen sich regelmäßig die Nachbarn einfanden, die Bonhoeffers, die Delbrücks, die Plancks, die Dohnanyis. Jeden Sonntag hielt der Großvater für die Familienmitglieder und das Personal eine Hausandacht ab. Margarete lernte, dass Frauen nicht nur an den Herd und zu den Kindern gehören, dass es sich lohnt, aufzubegehren. Dabei jedoch protestantisch beherrscht zu bleiben, die Gefühle zu bändigen. Ein Leben lang wirkte sie ein wenig steif, erschien fast bieder mit ihren Locken, der Brille; erst auf den zweiten, dritten Blick enthüllte sich das Widerspenstige ihres Wesens, ihr Humor. Sie konnte laut und unbändig lachen.

Nach 1945 erging es Margarete wie den meisten Berlinern: Für ein paar Karotten, einige Kartoffeln, fuhr sie aufs Land, tauschte bei den Bauern das Meißner Service ein. Die Villa war verschwunden; heute führt dort die Stadtautobahn entlang.

Nach dem Medizinstudium eröffnete Margarete eine Praxis in der Clayallee, in der sie 30 Jahre lang Patienten betreute. Sie spendete für „Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges“, für Albert-Schweitzer-Kinderdörfer, half, wem immer sie konnte.

So auch ihrem Cousin, dem Physiologen Adolf-Henning Frucht. Er hatte nach dem 13. August 1961 entdeckt, dass an seinem Institut in Lichtenberg biologische und chemische Waffen getestet wurden. Und beschloss, die Informationen der CIA zugänglich zu machen. Er glaubte damit einen neuen Krieg verhindern zu können. Mit Hilfe seiner Cousine Margarete aus West-Berlin schmuggelte er die Dokumente über die Grenze und so erreichten sie den amerikanischen Geheimdienst. Gut, dachten die Leute von der CIA, diese Frau können wir weiterhin gebrauchen. Sie wurde in einem abgedunkelten Lkw abgeholt, zu einem verborgenen Ort gefahren und dort an einen Lügendetektor angeschlossen. Man wollte testen, ob sie möglichen Verhören der Gegenseite standhalten würde. Aber der Zeiger des Detektors schlug zu weit aus, als Agentin kam sie nicht in Frage.

Adolf-Henning Frucht wurde verraten und musste zehn Jahre nach Bautzen. Während dieser Zeit gehörte Margarete zu den wenigen, die regelmäßig Pakete an seine Familie schickten, bunte Postkarten von ihren Reisen schrieben, niemals einen Geburtstag vergaßen.

Einen Mann, eigene Kinder, hatte sie nie. Im Alter entschloss sie sich jedoch, mit der Familie ihres Neffen zusammenzuziehen. „Tante Gritli“, riefen seine zwei kleinen Töchter oft, „spielst du mit uns?“ Und Tante Gritli ließ alles stehen und liegen.

Unabhängig, eigenwillig, so beschreiben die Menschen Margarete. Auf dem Friedhof liegt sie rechts neben ihrem Vater, wie schon ihre Mutter. Traditionell jedoch, darauf wies das Bestattungsinstitut noch einmal ausdrücklich hin, wird eine Frau links neben dem Mann beerdigt. Aber diese Vorschrift hätte auch Margarete zweifellos ignoriert. Tatjana Wulfert

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