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Berlin: Marco Riedel (Geb. 1960)

Früher zog er von einer Frau zur anderen, jetzt herrschte Ruhe im Karton

Was die Welt braucht: Eine Kopfgarage. Noch nie davon gehört? Eine sehr nützliche Sache! Reingehen, Klappe runterlassen, Kopf parken. Die Stille genießen oder die passenden Sounds. Ein Viertelstündchen friedlich wegdämmern. Dann wieder auf die Rennbahn Leben.

Marco Riedels Installationen wollten die Welt im Kopf neu entstehen lassen, nicht durch Worte, durch Töne. Hinhören, wo andere nur hinsehen. Jede unserer Bewegungen ist auch Klang, harmonisch, disharmonisch. Das Ego eine Melodie, von der wir hoffen, dass sie im großen Weltkonzert nicht verloren geht.

Marco wusste immer schon, dass er Künstler werden wollte, aber einer, der Konkretes schafft. Da kam er bei seinem Lehrer, Horst Antes, genau an den Richtigen. Antes hat ihn immer darin bestärkt, gegenständlich zu denken. Antes selbst hatte ja eine leidenschaftliche Vorliebe für Kopffüßler, Kunstfiguren von sehr menschlicher Art, ohne Hals, wenig Brust und Bauch. Ein Kopf spaziert durch die Welt. Kinder malen so. Getriebene. Menschen, die eine Ahnung von der Schräglage des Universums haben.

Berühmt wurde Marco nicht mit seinen Zeichnungen und Sound-Installationen. Er war nicht gerade ein Genie der Selbstvermarktung, zumindest was seine Kunst anging. Dazu war er zu unstet in seinem Wesen. Von früh auf wollte er weg, vor allem weg von den Eltern. Der Vater, Vertreter von Luxusküchen, hatte sehr präzise Vorstellungen von dem, was sein Sohn alles nicht tun durfte. Besser hätte er ihn nicht zur Rebellion erziehen können.

Marco bekam Fernweh, sein Bruder wurde Prediger bei den Adventisten, jeder entzog sich auf seine Weise. Der Ort der Träume für Marco: San Francisco. For those who come to San Francisco / summertime will be a love-in there. Die Party zog sich über einige Jahre hin. Zwischendurch ging er mal auf Weltreise. Wie es dazu kam? Er stand am Strand von San Francisco und dachte sich, da drüben ist Australien, da muss ich hin! Am nächsten Tag ging’s los. Der Soundtrack seines Lebens: Einmal um die ganze Welt / und die Taschen voller Geld / dass man keine Liebe und kein Glück versäumt. / Viele fremde Länder seh’n / auf dem Mond spazieren geh’n, / davon hab ich schon als kleines Kind geträumt.

Der Traum schien endlos weiterzugehen. Er verliebte sich, zog mit seiner Frau nach Ibiza. Aber das war nicht nur Urlaub vom Leben. Marco hat immer auch gearbeitet. Er hatte ja ein großes handwerkliches Talent. „Ich brauch’ einen Schrank!“ – „Bau ich dir.“ „Ich brauch’ einen Tisch, ein neues Bett!“ – „Bau ich dir.“ „Bettwäsche?“ – „Näh ich dir.“

Im Privaten war er nicht ganz so zuverlässig, was die Fertigstellung anbelangte. Da blieb schon mal einiges nur Versprechen. Als Handwerker hat er gutes Geld verdient. Mit seiner ersten Frau ging es weniger gut. Er zog nach Berlin und erfand sich neu.

Wäre Peter Pan je zum Herrenausstatter gegangen, hätte er sich eingekleidet wie Marco. Zuoberst der grüne Hut, ein Zauberhut versteht sich. Oder die weiße Melone, in der sich ein Kaninchen hätte verbergen können, oder der graue Zylinder, alles handgefertigt. Immer vom Feinsten. Die Anzüge von Herrn von Eden, Seidenhemden, gern auch mit Weste. Er war der bestangezogene Mann der Stadt. Das Auto? Ein schiffsgroßer Citroën. Mit dem gondelte er im letzten Jahrzehnt seine große Liebe durch die Gegend, Natalie. „Glaubst du an Gott, Papa?“ – „Natalie ist meine Göttin.“

Über die kurvigen Landstraßen des Lebens die Prinzessin direktemang ins Paradies chauffieren, zwischendurch gut essen, ein wenig monologisieren über Gott, die Welt und alle ausstehenden Projekte. Das Leben war schön.

Früher zog er von einer Frau zur anderen, jetzt herrschte Ruhe im Karton. Und wenn sie ihm einen Drucker hinterherschmiss, weil er sich dann doch mal wieder stur anstellte, hat er ihn brav am nächsten Tag repariert. Im Job lief es gut. Sein Plan, das schöne Leben zu leben, schien aufzugehen, auch wenn er unstet blieb. Sobald er da war, war er eigentlich auch schon wieder weg, gedanklich. Das nächste Ding, der nächste Termin, Tagträume. Er war körperlich greifbar, aber nicht immer präsent. Vielleicht hat er seine Kinder deshalb so sehr geliebt, weil er selbst eins blieb. Melody Paula Penthesilea heißt die eine Tochter, Nicco Llentrisca die andere, benannt nach dem Strand Cala Llentrisca auf Ibiza, die Zauberbucht, breathe and be calm.

Das Ende? Wie im bösen Märchen: Er wollte ein Nuss schlucken, die ging nicht durch. Der Krebs hatte gestreut. Das Lymphom im Hirn ließ seinen Kopf schier platzen, aber die Medikamente stimmten ihn friedlich, fast fröhlich. Natalie war bei ihm, Tag und Nacht. Melodie d’amour, Serenade der Liebe / Choochoo Kolibri, Dich vergess’ ich nie / Melodie d’amour, Du erfüllst mich mit Sehnen / Choochoo Kolibri, sing die Melodie.

Seine Asche wird über die Welt verstreut, portionsweise an allen seinen Lieblingsplätzen. Ein Löffelchen unter die Birken, ein Löffelchen nach Mexiko, ein Löffelchen nach Finnland, eins nach San Francisco. So wird er überall zu Hause sein und nirgends. Einen schönen Gruß an alle anderen dort, im Nimmerland. Gregor Eisenhauer

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