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Das Zentrum und der Blick nach Brandenburg - die wachsende Region verlangt nach einer Gesamtplanung.

© imago/Jochen Tack

Manifest für Berlin: Experten stellen 14 Vorschläge für eine bessere Stadtplanung vor

Berlin soll Grüner werden, mehr auf den Schienenverkehr und Zusammenarbeit mit Brandenburg setzen. Ein Bündnis hat eine Agenda erarbeitet.

Tempelhofer Feld, Blankenburger Süden, Elisabeth-Aue - gescheiterte Projekte und Planungspannen verbauen den Weg zu neuen Siedlungen und zur Weiterentwicklung Berlins. Es besteht die Gefahr, Stadt und Umland zu zersiedeln.

Hinzu kommt ein Wirrwarr um Kompetenzen: Die Verkehrsplanung für die wachsende Stadt mit ihren neuen Quartieren wird von einem anderen Ressort als die neuen Siedlungen geplant.

Zudem gibt es häufig Streit und unterschiedliche Auffassungen über Neubau zwischen Senat und Bezirken - und zwischen dem Land Berlin und den Brandenburger Gemeinden. Die Planung der wachsenden Stadt stockt.

Ein Bündnis aus elf Verbänden und Institutionen will Abhilfe schaffen. Gelingen soll das mit einem Manifest, bestehend aus 14 Thesen, mit dem Titel: "Unvollendete Metropole".

Initiator ist der Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin (AIV), dessen Vorstand hatte einen Wettbewerb ausgerufen, in dem Ideen zur Weiterentwicklung Berlins gesucht wurden - anknüpfend an eine ähnliche Initiative vor einem Jahrhundert zu Groß-Berlin. Das Manifest entstand aus den Einreichungen und Debatten, die auf den Wettbewerb folgten.

"Unser Aufruf formuliert Ziele und hat den Anspruch ernst genommen zu werden", sagte AIV-Chef Tobias Nöfer. Mit der Politik sei man "im Gespräch". Die Bereitschaft mitzumachen sei da. Dabei verlangt das Bündnis sogar: Die "Fusion von Berlin und Brandenburg wieder in den Blick zu nehmen".

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Und das sind die wichtigsten Thesen: Der öffentliche Verkehr soll ausgebaut werden, vor allem der Schienenverkehr. Die Planung der Trassen soll hier dem Städtebau vorausgehen. Es soll nicht wie bisher erst die Siedlung und dann den Bahn-Anschluss entstehen. Außerdem sollen vor allem die Flächen an den wichtigen Ein- und Ausfallstraßen Berlins und an Bahnhöfen für den Bau von Häusern genutzt werden.

Den "Siedlungsstern zum strahlen bringen", nennen das die Planer - wobei Berlin der Fixtern ist, und Straßen die Strahlen, tief ins Umland reichen. Auf diese Weise, werde verhindert, dass Ackerland für Einfamilienhäuser geopfert wird.

Mehr Grün statt überall Autos

Die Hauptstraßen in der Stadt wollen die Experten aber "neu denken" und "aufteilen". Die autofixierte Stadt soll zurückgebaut werden, damit "urbane Lebensräume" entstehen, Alleen mit Bäumen und Platz für die Menschen.

Das "Grüne" und "Blaue", also Parks und Wasserläufe, müsse gesichert und vermehrt werden. Die Bundesstiftung Baukultur hat dem Bund empfohlen, die Mittel für deren Erhalt und Pflege zu verdoppeln, berichtet deren Chef Reiner Nagel. Die Menschen hätten "auch durch den Lockdown" sowie wegen des Klimaschutzes "gestiegene Erwartungen".

Innerhalb des S-Bahn-Rings muss die Kanalisation erneuert werden

Auch gelte es, die regionalen Lebensmittelkreisläufe zu aktivieren, also auch regionale Produkte in die Regale der Läden bringen. Bei der Verbesserung der Gewässer müsse Berlin die Zusammenarbeit mit Brandenburg verbessern.

Innerhalb des S-Bahn-Ringes müsse eine "Trennkanalisation" für Abwässer aufgebaut werden, damit bei Starkregen nicht wie zurzeit das Abwasser aus den Kanälen quillt und in den Grünanlagen der Stadt versickert und den Boden verschmutzt.

Die Zivilgesellschaft soll stärker eingebunden werden bei der Planung von Großprojekten. Der Tempelhofer Flughafen müsse "nochmal Thema werden". Mehr Austausch mit anderen Metropolen sei wichtig, möglicherweise eine dritte Internationale Bauausstellung, aber mit "Werkstattcharakter" und nicht als Leistungsschau des Bauens.

Denn in Berlin laufe Planung anders als in Hamburg nicht von oben, also "top-down", sondern von der Basis aus mit Initiativen zusammen ("bottom-up").

Rolle der Bezirke neu definieren

Eine "aktive Hauptstadtpolitik" fordert das Manifest, das sich nicht auf das Schlossareal, die Wilhelmstraße und den Spreebogen beschränkt. Bund und Länder müssten sich hier ihrer Funktion bewusst werden.

Seit 100 Jahren ein ungelöstes Problem sei die "Aufgabenverteilung zwischen Senat und Bezirken. Eine Verwaltungsreform sei nötig mit Änderung der Landesverfassung. Keine Schwächung der Bezirke soll damit einhergehen, im Gegenteil Berlin sei die Stadt der "vielfältigen Zentren". Diese gelte es zu definieren und zu stärken.

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Das alles könne in einem "städtebaulichen Programm" münden, das die Gefahren der unkoordinierten Entwicklung vorbeugt: dem Flächenfraß und der Zersiedlung offener Landschaften, etwa durch Ausweisung neuer Einfamilienhäuser im "Sprenggürtel".

Außerdem auf der Agenda: Sozial und funktional vielfältige Wohnviertel und eine Neukonzeption des Kommunalwirtschaftlichen Städtebaus.

Die Spitzenkandidaten aller Parteien waren schon da

Und wie reagiert die Politik? Die Spitzenkandidaten für die Wahl zum Regierenden Bürgermeisters im Herbst waren haben sich die Ausstellung zu den Wettbewerbsergebnissen im Kronprinzenpalais bereits angesehen, sagte Planer Harald Bodenschatz. Es laufen Gespräche.

Vor wenigen Tagen hatte die Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch sich bereits für die Weiterentwicklung des Siedlungssterns und einer neu aufgelegten gemeinsamen Landesplanung von Berlin und Brandenburg ausgesprochen.

Der bisher letzte Versuch das Baugeschehen Berlins besser zu steuern, liegt Dekaden zurück: Als kurz nach der Wende Berlin ein rasantes Wachstum vorausgesagt wurde.

Der Zuzug der letzten Jahren, die Klage über fehlende Wohnungen und Bildungseinrichtungen, vollgestopfte Bahnen und Staus auf den Straßen, zeigt die Dringlichkeit einer Art planerischen Masterplans für die Region. Das Manifest steckt gleichsam Eckpfeiler ein für einen koordinieren überregionalen Städtebau.

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